laut.de-Kritik
Wenn er battelt, brennt die Luft, wenn er feiert, knallen die Korken ...
Review von Philipp GässleinZehn Jahre Curse im deutschen Rapgeschehen sind ein triftiger Grund, sich selbst abzufeiern. Nun ist das Zelebrieren der eigenen Person im Hip Hop nicht wirklich ungewöhnlich. Einen draufzusetzen hieße, den großen US-Vorbildern zu folgen und ein Doppelalbum zu releasen - oder aber sich seine Statue in Gestalt eines Mixtapes selbst zu setzen.
Wieder einmal beweist sich der Rapper bereits beim Titel der Sammlung als Meister des Wortspiels, fasst doch "Einblick Zurück" seine Lieblingsthemen gekonnt zusammen: melancholische Selbstreflektionen und das Auskotzen der gequälten Künstlerseele. Sein Talent dafür hat er oft genug unter Beweis gestellt. Vier Soloalben sind käuflich erwerbbar. Wieso also sollte man für dieses Repertoire noch einmal Geld berappen?
Diese Antwort kann der Titel alleine natürlich nicht geben. Ein Blick auf die Tracklist hilft da schon eher weiter: Neben zahllosen Klassikern von den eigenen Platten mischen die Chefköche DJ Kool GQund DJ Kitsune auch Featureperlen und Gastbeiträge in den stattlichen 78 Minuten-Brei. Als gutes Hip Hop-Arbeitstier produzierte Curse in den vergangenen zehn Jahren nämlich Tracks wie Katholiken Nachwuchs. In der schnelllebigsten aller Musikbranchen kommt sein Nimbus nicht von ungefähr.
Da darf natürlich "Ich Lebe Für Hip Hop" nicht fehlen, der Smashing Hit mit u.a. GZA und DJ Tomekkaus dem Jahr 2001, oder die zwei Gastbeiträge auf Plattenpapzts Produzentenalben. "Rappresentieren", das Azad-Feature auf "Leben", der Battletrack "Unfuckwitable" von DJ Desues "Art Of War", der Gratisdownload "Nichts Wird Mehr So Sein Wie Es War" anlässlich der Anschlägen vom 11. September ... 37 Tracks ohne In- und Outro, der Mindener geht wahrlich in die Vollen, um Rapdeutschland von seinem Genie zu überzeugen. Wenn dann jedoch "Ich Fang Grad Erst An", einer der zwei Exklusivtracks, verklungen ist, rauchen die Ohren und das Hirn meldet eine kritische Überlastung des Arbeitsspeichers. Warmstart. Auf ein Neues.
Seinen Anspruch, ein raptechnisches Universalgenie zu sein, unterstreicht der Labelchef auf dieser Compilation eindrucksvoll. Natürlich müssen sämtliche Liebes- und Liebeskummertracks mit drauf sein, die sind lyrisch eh über alle Zweifel erhaben. Doch ihn darauf zu reduzieren, was oft versucht und in "Scheiß Auf Curse" auch süffisant quittiert wird, wäre angesichts solcher Burnertracks wie "Zehn Rap Gesetze" oder "Rap" schlicht unfair. Außer ihm und Tone gibt es in Deutschland wohl keinen, der in sämtlichen angegangenen Sparten ausnahmslos Meisterstücke abliefert. Curse erhebt seine Stimme selten umsonst: Wenn er battelt, brennt die Luft, wenn er feiert, knallen die Korken, wenn er trauert, blutet das Herz, und wenn er Sinnfragen stellt, möchte man am liebsten Funeral For A Friend einlegen und zur Rasierklinge greifen.
Auch das Abmischen der beiden Turntable-Halbgötter klappt weitgehend reibungslos. Einigen Tracks verpasst das Duo ein aufpoliertes Gewand, an anderen Stellen lassen sie Shouts und Grüße diverser Rapgötter mit einfließen. An manchen Stellen holpern die Übergänge zwar deutlich, auch sinngemäß, aber es gibt wohl auch dankbarere Aufgaben, als 40 Beatwechsel perfekt über die Bühne zu bringen.
So hat "Einblick Zurück" durchaus eine Daseinsberechtigung, selbst für jene Apostel, die alle Soloalben besitzen. Die aktuelle Scheibe "Sinnflut" lässt der Mindener ebenso außen vor wie die Collabo mit dem Wu-Tang Mastermind auf dessen "World According to RZA"-Album. Das Rapertoire macht auch so schon genug Spaß, Namedropping ist definitiv nicht nötig.
Dem Meister in seiner Vielfalt zu lauschen ist ein Hochgenuss für Liebhaber der deutschen Wortakrobatik, und ganz besonders auch für jene, die sich mit diesem Genre bislang nicht auseinandergesetzt haben. Deutscher Hip Hop braucht Curse auch in Zukunft, selbst wenn der dafür noch mal zehn Jahre Depression auf sich nehmen muss.