laut.de-Kritik
Musikalische Hommage an das gute alte Amerika.
Review von Joachim GaugerIrgendwann ist immer das erste Mal. Mittlerweile 60-jährig schafft Bob Dylan, was ihm bislang verwehrt blieb: Sein Album Nummer 43 (!) erobert Platz eins der deutschen WOM-Charts. Der Mann, der Jahrzehnte lang als Aufrührer und Revolutionär galt, als Anwalt der Schwachen und Unterdrückten, steht nun an der Spitze des Establishments. Das ist doch was.
Allerdings hat "Love And Theft" mit dem wütend aufbegehrenden Blues-Rock früherer Tage auch nicht mehr viel gemein, nicht nur weil die Mundharmonika ganz fehlt. Abgesehen von einigen traurigen Country-Blues Balladen, die so oder so ähnlich auch schon auf dem Vorgänger "Time Out Of Mind" zu hören waren, sind eigentlich kaum Ähnlichkeiten zu früheren Veröffentlichungen des Altmeisters auszumachen. Vielmehr handelt es sich bei der Scheibe, die Dylan mit seiner aktuellen Tourband eingespielt hat, um eine Hommage an die Countrymusik des guten alten Amerika und ihre vielfältigen Ausprägungen.
Das geht los mit "Tweedle Dee And Tweedle Dum" im Rockabilly-Stil mit einem rollenden Rhythmus, der unweigerlich die Vorstellung einer Zugfahrt durch die Weiten des Landes hervor ruft. Nicht nur der Sound klingt nach Memphis, auch der Titel: Elvis Presley hatte ganz am Anfang seiner Karriere einen gleichnamigen Song im Programm. Dass Dylan, der ja nach einer schweren Erkrankung im Jahr '97 erklärt hatte, er sei "unterwegs gewesen, Elvis zu treffen", keine verlorene Idylle wieder beleben möchte, zeigt allein der Text des Songs: Dum und Dee sind nämlich zwei hoffnungslose, in Drogenhändel verstrickte Loser, die sich schließlich gegenseitig ans Leder gehen.
"Mississippi" klingt, als sei Dylan wie Randy Newman in New Orleans aufgewachsen, "Summer Days" ist wieder Rockabilly mit einem Schuss Western Swing. "Bye And Bye", ein Lobgesang auf die Liebe, verpackt die Melodie von "Blue Moon Revisited" in reinsten 60er-Jahre Swing, und mit "Floater" sind wir endgültig beim Shuffle-Country in Nashville angelangt.
In der Folge finden sich Bluegrass-, Cajun-, Western-Bar-Themen und Balladen wie "Moonlight" oder "Po' Boy", in denen sich Dylan als großer Songwriter und auch als stilsicherer Sänger (!) präsentiert. Wie überhaupt die ganze Platte von großer Liebe zur Musik und ihren Traditionen belebt ist. Und wenn dieses Zeitdokument auch womöglich bald in meinem Plattenschrank verstaubt, so bereitet es mir doch diebische Freude, einer Platte, die die Charts anführt, fünf Punkte zu geben (wahrscheinlich ein einmaliges Erlebnis).
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