laut.de-Kritik
Dekonstruktive Mucke zwischen Discobrüller und Ballade.
Review von Giuliano BenassiSchon das Cover sorgt für Aufmerksamkeit. Was wird der Kerl mit dem wirren Gesichtsausdruck dem armen Reh antun? Streicheln und liebkosen? Das Schlachtmesser zücken und das Fleisch in den Backofen schieben? Oder auf Feinheiten verzichten und die Zähne im seinem Hals versenken?
Interessanter ist zunächst die Musik, die dahinter zum Vorschein kommt. Enik ist ja kein unbeschriebenes Blatt, wirkte er doch bereits 2004 auf dem Funkstörung-Album "Disconnected" mit. Bei seinem Solodebüt spannt er den Faden aber noch ein Stück weiter.
Dekonstruktiv könnte man seinen Ansatz nennen, also etwas zunächst in seine Bestandteile zerlegen und anschließend wieder zu einem neuen Ganzen zusammen fügen. Eine Fummelei, die verdammt viel Klebearbeit erfordert, wie der Opener "Rebro" beweist: Ein schiefer Gitarrenriff geht in einen funkigen Bass über, dann setzt Hintergrundgesang ein, bevor Eniks tiefe, verzerrte, aber ungewöhnlich warme Stimme aus den Lautsprechern quillt. Schlagzeug, Beats, Discoeffekte – alles dabei.
Vergleiche ließen sich viele ziehen. Tom Waits, ein bisschen Giant Sand, David Bowie, doch der Münchener lässt so viele Elemente und Stimmungen in seine Musik einfließen, dass die Liste viel zu lang würde. So besitzt die erste Singleauskopplung "Why Do You Love Me" das Zeug zum Diskobrüller, während sich hinter dem Titeltrack eine Ballade mit Akustikgitarre und Cellobegleitung verbirgt.
Ähnlich vielfältig geht es in den Texten zu. Die Titel gebenden Zeilen muten schon fast poetisch an: "I'm a stranger in autumn / I was born in spring / I forgot the name / Of the seasons in between". Klarer formuliert ist dagegen der Beginn von "Kids": "I want to fuck a posh girl / Just to smell her bathroom in the morning".
"I can"t see any borderline" erklärt Enik sich selbst in "Small Finger". Ob eher tanzbar wie "Warm Space" und "Awake", lose assoziiert wie "The Stolen Eyelight" und "Smashing The Glass" oder ruhig wie "Unealthy Smoke", "Uncomfortably" und das abschließende "Safe" – das Album besticht gerade dadurch, dass durch die Klangvielfalt der rote Faden nicht verloren geht. Das ist beeindruckend. Umso mehr, weil es sich hier um ein Debütalbum handelt, das dazu noch selbst produziert und zu einem guten Teil selbst eingespielt ist.
Was ist nun mit dem Reh? Die Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Wenn Enik es laufen lässt, gut. Ansonsten ist gegen einen Rehrücken mit Rotweinsoße nicht viel einzuwenden.
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