laut.de-Kritik
Auf dem schmalen Grat zwischen Melancholie und Kitsch.
Review von Joachim GaugerEs dürfte sich herum gesprochen haben: Elton Johns neues Album ist eine Art Fortsetzung von "Captain Fantastic and the Brown Dirt Cowboy" aus dem Jahr 1975 und thematisiert, mal mehr, mal weniger deutlich, die Geschichte des Sängers und seines Texters Bernie Taupin. Da der eine in London lebt und der andere auf einer Farm in Kalifornien ist auch nicht weiter verwunderlich, dass die Lyrics den Hörer mal in die Staaten, mal nach England auf den alten Kontinent entführen.
"Wouldn't You Have Any Other Way (NYC)" etwa beschreibt die Magie der Metropole New York, während "Across The River Thames" selbstredend in London spielt. Allerdings ist letzterer Track überhaupt nicht auf dem Album enthalten, obwohl seine Lyrics im schön gestalteten Booklet abgedruckt sind - wiederum eine Analogie zu dem Klassiker aus dem Jahr '75.
Musikalisch knüpft Elton John einerseits mit reichlichem Pianoeinsatz und einfachen Songstrukturen ebenfalls an die alten Zeiten an, andererseits aber auch an "Songs From The West Coast" von 2001. Dort bereits hatte der exzentrische Brite seinen Sound deutlich abgespeckt, hatte die zuvor überreichlich verwendeteten Streicher durch Bläser ersetzt und die Synthies überhaupt nicht.
Und wiederum nimmt Elton John einige urtypisch amerikanische Elemente in seinen Sound auf. Besonders die flotteren Songs weisen meist Country- oder Blues-Einflüsse auf, "I Must Have Lost It On The Wind" wird sogar von einer Mundharmonika eröffnet. Aus diesen verschiedenen Stilmitteln ergibt sich auch ein rhythmischer Abwechslungsreichtum, der bei Elton John keineswegs selbstverständlich ist.
Die meisten Titel dieses schönen und insgesamt recht ruhigen Albums aber sind Balladen. Die sind gewiss nicht jedermanns Sache, Rezensent Kai Kopp beklagte in seiner Besprechung des Vorgängers die "schunkelige Soße", die der Brite da anrühre. Eines aber muss man Elton John zugute halten: kaum einer balanciert so gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen Kitsch und süßlich-schöner Melancholie.
Beispielhaft sei hier "The Bridge" genannt, die der Sänger als Sinnbild eines Lebens schildert, das manchem zu lang und beschwerlich ist. Zu viele habe er springen sehen, gerettet wurde von denen keiner mehr. Nur die Elton John-typischen Piano-Dreiklänge umspielen die so simplen wie einprägsamen poetischen Bilder: lange nicht mehr hat das Singer/Songwriter-Gespann mit so einfachen Mitteln so viel erreicht.
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