laut.de-Kritik
Einmal liegt der groovende Frührentner-Club daneben.
Review von Michael SchuhEs ist in 25 Jahren viel geschrieben worden über New Order, und hält man nun, zum Erscheinen des neunten Studioalbums, einmal kurz inne, erscheint es einem fast, als wäre das meiste davon erst seit 2001 verfasst worden. Damals erschien "Get Ready", das erste New Order-Lebenszeichen nach acht Jahren Pause, und fortan war ständig von Pop-Titanen die Rede, von ewig jungen Alten, die den wirklich Jungen mal so richtig gezeigt hätten, wozu man im Alter noch fähig sein kann, oder besser: zu welchen Taten einen das Alter erst ermächtigt. Ja, wahrscheinlich würde man sich sogar nur wissend zurücklehnen, wenn inzwischen eine empirische Studie vorläge, die die Zahl der tendenziell negativen Rezensionen zum Album "Get Ready" in 2001 veröffentlichten, europäischen Tages- und Wochenzeitungen auf verschwindende fünf Prozent bezifferte.
Die Formel für diesen unerklärlichen Erfolg kannten auch die vier Musiker nicht, wovon die mediokren Studioalben "Republic" (1993) und "Technique" (1989) durchaus glaubhaft Zeugnis ablegen. So ließ sich natürlich gut reunieren und komponieren, eine Erwartungshaltung existierte ja nicht. Wie sollte sie auch nach so langer Zeit, noch dazu bei einer Band, die für viele nur einen einzigen Hit hatte, für andere dagegen den einzigen Hit überhaupt, "Blue Monday", großer Gott! Wie ein Schatten legte sich jene Pionierleistung nach Erscheinen 1983 nicht nur über die Dancefloors, sondern bald auch über die Band selbst, die dennoch tapfer weiter strampelte, wie sie es schon einmal tun musste, 1980, nach dem Tod von Joy Division-Sänger Ian Curtis unter dem neuen Namen New Order.
"You've gotta lift that heavy load, you've gotta get back in control" heißt es nun forsch an einer Stelle des neuen Albums, und vielleicht spielen Sänger Bernard Sumners Worte ja tatsächlich mit dem neuen Erwartungsdruck an seine Band. Sollte es den überhaupt gegeben haben. Denn "Waiting For The Sirens' Call" ist eine völlig unaufgeregte, mitunter hochklassige Fortsetzung des beliebten Vorgängers. Davon kündet schon das erneut ruhige, elektronische Intro des Openers "Who's Joe", der auch anschließend so stark nach "Crystal" klingt, dass manche gar keinen Unterschied bemerken werden. Wenn im zweiten Song dann die Gitarren stärker durchschlagen, wie seinerzeit auch im folgenden "60 Miles An Hour", zeigt das einiges von der Chuzpe und dem Vergnügen, mit dem der groovende Frührentner-Club mittlerweile sein Erbe verwaltet.
Aus der Spur fallen New Order eigentlich nur einmal, und dieser Faux Pas ist letztlich das Überraschendste am neuen Album. Der recht flache, mit Trance-Sounds ausgestattete Techno Pop von "Guilt Is A Useless Emotion" will so gar nicht zum Rest der Platte passen und wäre 2001 keine B-Seite gewesen. Dass auch Basser Peter Hook diesen Song am liebsten überall, nur nicht auf dem Album gesehen hätte, ist daher durchaus verständlich. Und es wirkt schon ein wenig ironisch, wenn den Jungs gerade ein experimentierfreudiger Song misslingt, und der von allen Außenstehenden ersehnte, melancholische New Order-Gitarrenpop in Songs wie "Who's Joe" oder "Waiting For The Sirens' Call" begeistert. Oder in "Morning Night And Day". Oder in "Turn".
Dennoch spricht es für New Order, dass sie dieses Mal vier Produzenten engagierten, um sich noch einmal selbst zu fordern. Selbst wenn dies, wie auch der Wechsel im Line Up (Gitarrist Cunningham für Keyboarderin Gilbert), zum Glück kaum vernehmbar ist. Noch immer begrüßen einen die Songs, wie es die einzelnen Bandmitglieder wohl im Proberaum tun, mit einem jovialen "Hey Now What You Doing". Da wirkt kein Dancehall-Beat aufgesetzt oder reißerisch ("I Told You So"), kein Xylophon überzogen ("Krafty") und keine Frauenstimme fehl am Platz ("Jetstream"). Überhaupt "Jetstream", der Song mit der New Yorker Scissor Sisters-Sängerin Ana Matronic am Mikro; hier klingen New Order tatsächlich noch einmal neu und dabei so affirmativ catchy wie seit "True Faith" nicht mehr. Die schroffe Punk-Verabschiedung "Working Overtime" lässt dagegen eher Wehmut nach dem genialen "Rock The Shack" aufkommen.
Warum das neue New Order-Album trotz kleiner Schönheitsfehler sicher ein weiteres Mal als herausragendes, der Jugend ein Beispiel gebendes Alterswerk angepriesen wird (obwohl es der Jugend mit Interpol, Franz Ferdinand, Bloc Party oder Maximo Park doch gar nicht schlecht geht), muss andere Gründe haben. Wahrscheinlich ist es die natürliche Zuneigung zu vier grundsympathischen Musikern, die mit Joy Division und New Order bereits zwei Legenden auf ihren Schultern verteilen, die mit "Blue Monday" das Pflicht-Accessoire eines jeden DJ-Koffers geschaffen haben, und die sich nun in Manchester die Hände reiben, wie all diese jungen DJs bei ihnen Schlange stehen, um die neuen New Order-Songs remixen zu dürfen. Songs, deren Melodien mittlerweile mit einem Schuss innerer Ruhe und Ausgeglichenheit versehen sind, wie sie nur von Menschen kommen können, die mit sich und der Welt im Reinen sind. Oh, mögen sie nie mehr zanken.
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