laut.de-Kritik

Warum wart ihr so wütend? Und warum seid ihr jetzt so entspannt?

Review von

Puh, das war knapp, liebe Thermals. Ich wollte schon ganz schlecht über euch schreiben. So, von wegen, ihr hättet euren Biss verloren, den Indiepunk, den ihr auf den ersten drei Alben so wundervoll von rumpeliger Adrenalinsuppe zu rauer Hochgefühlsmusik perfektioniert habt, verraten und verkauft für elf kraftlose Stücke auf eurem vierten Album. Für eine Platte, die der Abgesang auf euch selbst ist mit Titeln wie "When I Died", "We Were Sick", "I Let Go" oder "How We Fade". Für eine Musik, zu der ihr an eurem eigenen Totenbett sitzt und eure Hüllen, einst integer und stark, beweint.

Doch dann habe ich euch verstanden. Es muss so sein, wie es ist. "Now We Can See" nimmt seinen Platz ein in diesem Periodensystem des Bandlebens, das eure Kreativität ordnet. Wart ihr zu Anfang noch rumpelig, ja fast tollpatschig, wie ein kleines Kind, das gerade laufen lernt, reiftet ihr mit der Zeit über eine wütende Jugend, mit "Fucking A" vertont, um mit dem biblisch-imposanten "The Body, The Blood, The Machine" euer Coming of Age zu feiern. Gereift, aber nicht erwachsen wart ihr, fragend, fürchtend, wie man so ist, als junger Erwachsener. Und jetzt habt ihr Einsicht gewonnen in die wichtigen Dinge des Lebens. "Now We Can See" erzählt aber nicht von Altersweisheit, auch wenn eine gewisse Gelassenheit durchklingt.

Gewiss, es gibt auch rauere Momente auf "Now We Can See", mal klingen sie subtiler durch, wie bei "When I Was Afraid" mit seinem harten Rhythmus, mal brechen sie sich offener Bahn, wie beim ungestümen "When We Were Alive". Man erkennt euch natürlich immer wieder: der verzerrte Gesang von Hutch, die abgehackten Akkorde, die kontrollierten Feedbacks, die Pausen, in denen nur Gitarre und Gesang ertönen. Dieser unbändige Wille zur großen Melodie im kleinen Garage-Rahmen wie beim Titeltrack.

Und warum ist es so? Warum wart ihr so wütend? Und warum seid ihr jetzt so entspannt? Es hängt, auch wenn es vorhersehbar sein mag, mit den veränderten Verhältnissen in den USA zusammen. Natürlich bemühen wir Europäer immer gerne den Vergleich von Bush (Dunkelheit) und Obama (Licht). Weil wir uns politisch für überlegen halten, in unserer altweltlichen Arroganz. Aber ihr deutet es selbst an. Und in Gesprächen mit Musikern aus den Staaten klang es während der acht Jahre immer durch: George Bush und seine Administration prägen unser Land zum Schlechten. Sie streuten Angst, Zweifel und Homeland Security. Obama hingegen habt auch ihr immer zur Lichtgestalt erhoben, die nicht nur die USA, sondern die ganze Welt wieder aus dem Tunnel führen kann.

Und genau so klingt eure Musik, liebe Thermals. Wie der erschlaffende Muskel nach Ewigkeiten der Anstrengung. Wie ein Lachen nach oktroyierter Ernsthaftigkeit. Wie Aufatmen nach vorsichtigem Luftanhalten. Aber sicher seid ihr euch selbst nicht, ob sich jetzt alles zum Guten wendet. Ob der Erlöser auch wirklich das Heil bringt. Und so singt ihr, unverhohlen ironisch: "We were born in the desert / We were reared in a cave / We conquered in the sun / but we lived in the shade / Yeah baby we were savage / we existed to kill / Our history is damaged / at least it was a thrill / But now we can see! / Now that our vision is strong / we don't need to admit we were wrong."

Ich gönne euch diesen Frühling. Von ganzem Herzen. Nicht, weil ich als altkluger Europäer in dem Dualismus Gut/Böse das bessere Ende für euch in der Gegenwart sehe, sondern einfach, weil ich beim Hören von "Now We Can See" spüre, dass ihr im Reinen mit euch seid. Und weil eine Platte, die unter diesem Umstand entsteht, einfach gut klingt.

Trackliste

  1. 1. When I Died
  2. 2. We Were Sick
  3. 3. I Let It Go
  4. 4. Now We Can See
  5. 5. At The Bottom Of The Sea
  6. 6. When We Were Alive
  7. 7. I Called Out Your Name
  8. 8. When I Was Afraid
  9. 9. Liquid In, Liquid Out
  10. 10. How We Fade
  11. 11. You Dissolve

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LAUT.DE-PORTRÄT The Thermals

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21 Kommentare

  • Vor 15 Jahren

    The Thermals - Now We Can See

    "Now We Can See" – Ein latentes Gefühl des Aufbruchs, passt zum aktuellen gesellschaftlichen, subkulturellen Wesenszustand in mancherlei Gegenden in den USA (wohl allen voran auf dem Unicampus oder hinter dem stylischen Grau des aktuellen Macbooks), den der noch recht junge Regierungswechsel mit sich gebracht hat. Bei aller Euphorie und Heiterkeit ist jedoch ein Aspekt allseits inklusive:
    Der skeptisch-ironische Unterton, der miese Spielverderber in jedem von uns, der Zweifler, der dem ganzen Zirkus dann doch nicht seinen unabdingbaren Glauben schenken mag, und das Thema letztendlich mit einem einsichtigen "damn, maybe we just can't..." konnotiert.

    So, oder eben so ähnlich, dürften wohl die gängigsten, spontanen Interpretationsversuche des Albumtitels "Now We Can See" lauten, den uns die Thermals diesen Monat kredenzt haben. "Absicht?", so stellt sich die Frage an das geistige und stimmliche Oberhaupt des sympathischen Dreiers aus Portland, Hutch Harris. "Nein.", meint dieser "aber es stimmt, der Wahlausgang rundet die Sache passend ab." Also, es geht doch. Es geht immer. Und es geht gut. Und es geht gut ab.

    Nunja, zurück zum Wesentlichen, der Musik: Der Wiedererkennungswert der Thermals bleibt eine Bank, bereits nach wenigen Sekunden weiß selbst der Laie, dass Idefix Idefix, und nicht Rantanplan oder Struppi ist. Verwechslungen ausgeschlossen, das hier sind die Thermals. Viel zu paradox, wie monoton-dynamisch die Stücke von Bitdrummer (...) durchgeklopft werden, der sich Mitte letzten Jahres zu den Thermals gesellte, und diese Position nahezu übergangslos besetzt. Viel zu herzerwärmend schnörkellos, wie die wunderbare Kathy Foster die himmelhochjauchzenden Melodiebögen dezent, aber gekonnt auf den rechten Weg schickt, und leider viel zu selten ihr sympathisches Organ im Background erhebt. Und einfach nur viel zu gut, mit welcher Leidenschaft und Authentizität Hutch Harris mit Stimme und Saite, aus Kehle und Amp bellt, wütet, provoziert, lobpreist, schimpft, klagt und lehrt. Alchemie des Rock. Zusammen ergibt das jenen unvergleichlichen Brei aus unverfälschtem, simplen Sound, intelligenten Lyrics, und vor allem Melodie, Melodie, und Melodie. Also, um es auf den Punkt zu bringen: Genau das, wofür man die Thermals liebt.

    Halt! Langsam. Denn: Seit ihrem Credo "The Body, The Blood, The Machine" hat sich eben doch etwas getan. Allen voran der Produzentenwechsel: Fast könnte man nach inzwischen drei Vorgängeralben und einer beachtlich gewachsenen Fangemeinde meinen, man hätte sich bei den Thermals mit dem Gedanken abgefunden, ein Album unter keinerlei Umständen anders zu produzieren als mit dem Fischer-Phone in der Besenkammer. Offensichtlich weit gefehlt, denn siehe da: Man nimmt deutlich Abstand vom eigens geprägten "NoFi"-Sound, die ganze Nummer gewinnt an hörbarer Qualität, Klangschärfe und akustischem Volumen. Einbußen? Hand aufs Herz, ein Stückchen Seele. Um nicht zu sagen, in etwa das Gefühl - um an dieser Stelle mal ganz sachlich/faktisch plausibel zu argumentieren - das der Stereotyp der thermal'schen Hörerschaft verspürt,
    wenn der alljährliche Wechsel seiner Chucks ansteht. Man freut sich glühend auf die Neuen, ihren frischen Look, voll Neugier, sehnsüchtiger Erwartung und Spannung packt man sie aus dem Karton, nimmt die frische Farbe in Augeschein, freut sich wie ein Schneiderlein. Und gleichzeitig bricht es einem das Herz, die alten, fußergonomisch perfekt ausgelatschten, zahlreiche physische und mentale Kerben und Flicken anhaftenden, treuen Treter nostalgiedurchtränkt an den gedanklichen Nagel hängen zu müssen.

    Und, noch etwas. Da ist doch irgendwie noch etwas. Während man auf den Vorgängern noch mit Bedachtheit das Gaspedal bis zum Anschlag durchzudrücken gepflegte, bleibt "Now We Can See" unter dem Strich ein gutes Stück ruhiger und kompakter, kein einziger Song knackt Minutenmarke Vier. Allerdings, wer zum Teufel sagt bitteschön, dass man Hymnen über das Leben, über den Tod, über Menschen, über die Menschheit, über die umfassende Gesamtheit der Dinge nicht auf knappe dreißig Minuten voll rundem Plastik drucken kann, und dabei noch mit jeglicher erdenklicher entspannten Selbstverständlichkeit, als würde man über Waschpulver oder Dental-Hunderiegel singen? „When I Died“? „When we were Alive“? „ You Dissolve“? „How we Fade“? Eben, ätsch.

    Hach ja... der Sound der Thermals. Dieses unheimlich Fidele, das doch irgendwie positiv betrübt klingt, wie bei einem Abschied von jemandem, den man gewiss wiedersehen wird, die ein oder andere Freudenträne gerne in Kauf nimmt. Anhand des golden scheinenden, hellen Lichts der Gloria des Augenblicks die Vergänglichkeit von Allem und Nichts zu erklären. Wenn sich melancholische Euphorie und euphorische Melancholie die Klinke in die Hand geben, und dabei ein magischer, subtiler Moment süßlich-herber Schönheit entsteht. Versteht mich nicht falsch, ich meine damit keinen transzendenten, abgrundtiefen Soul(s)trip irgendeiner Postrockband aus dem kanadischen Outback - Es handelt sich hier nachwievor um die fröhlichen, frischen drei Menschen aus Oregon. Mal heiß, mal kalt, so ist‘s halt im Leben. Man ist jederzeit thermalen Schwankungen ausgesetzt. Gott sei Dank, denn alles andere ist? Genau, langweilig.

  • Vor 15 Jahren

    Gefällt. :) Nur der "Soul(s)trip" funktioniert so natürlich nicht, wenn der Text im Radio vorgelesen werden soll.

  • Vor 15 Jahren

    heute kam das album endlich.

    auch mit einem gang zurückgeschaltet ein sehr schönes werk. hutch hat in meinen augen im unterschied zu so vielen "indie-bands" (oh je, schublade galore) einfach die perfekte stimme, um seine texte stilsicher ins mikro zu rotzen.

    einen nachfolger von "a pillar of salt" habe ich zwar noch nicht ausgemacht, der kommt aber bestimmt noch !