laut.de-Kritik
Unheilvolles Privat-Cabaret. Lodernd wie ein Höllenfeuer.
Review von Michael SchuhRaum abdunkeln, Kerzen anzünden, Freunde ausladen: Tom Waits ist zurück. Kaum kriecht das Maultier mit neuen Songs aus der Höhle, ziehen wir uns instinktiv in unsere ganz persönliche Dunkelkammer zurück. Das mag an dem Wunsch liegen, auch das Gewürm fühlen zu wollen, das dem Meister beim Komponieren über die Schrottplatz-Tröten fleucht. Oder schlicht an seinem Programm: Unheilvolles Privat-Cabaret mit einer Stimme, die von ganz woanders her zu stammen scheint. Rasselnd. Gurgelnd. Lodernd wie ein Höllenfeuer.
Dem Druck, das Grammy verzierte "Mule Variations"-Album zu toppen, scheint jedenfalls auch Tom Waits nur mit einem Doppel-Release beizukommen. Die Songs zu "Alice", von Gauger euphorisch zur Bürodecke gelobt, entstanden bereits 1992. Die schrägen Songskizzen über die Schattenseiten menschlicher Existenz in "Blood Money" schrieb der Meister im Jahr 2000 für die Musical-Inszenierung "Woyzeck".
Passend zur Tragik der in den Wahnsinn abgleitenden Bühnen-Hauptfigur Franz Woyzeck suhlen sich auch Waits' Songs in düsterer und sehnsuchtsgetränkter Stimmung. In "Everything Goes To Hell" verfeinert das Saxophon eine perkussive Glockenspiel-Ballade. Hinreißend gleiten "The Part You Throw Away" und "All The World Is Green" schwelgerisch durch romantische Finsternis. Wie schon beim letzten Album begeistert auch "Blood Money" mit der kaleidoskopartigen Aufreihung intim vorgetragener Geschichten.
Klar klingt Tom noch immer wie ein ins Schnapsfass gestolperter Jahrmarkt-Hallodri, der in seiner Freizeit Emus frisst, wenn er nicht auf Billardtischen schläft. So muss man sich zumindest den Mann hinter der vokalen Leistung bei "God's Away On Business" vorstellen. "I'd sell your heart to the junkman baby for a buck, for a buck", keucht Waits. Ein Song-Monster, das einem das Fehlen eines Rumpel-Rockers der Marke "Big In Japan" leichter macht. Tom Waits 2002, das ist noch immer ein Karneval der Absonderlichkeiten, da wird Vaudeville Theater-Feeling mit Waits'scher Rauhbein-Poesie veredelt.
Manche Textzeile scheint gar der politischen Weltbühne unserer Zeit näher zu sein als der des Theaters, für die sie konzipiert wurde. "Misery Is The River Of The World" ist ein dunkles Manifest, das jahrhundertealte und bis heute gültige Menschheitsprobleme in drei Minuten zusammen fasst. Das Fazit kann bei Tom Waits natürlich nur wie folgt lauten: "The ship is sinking!". Seufz. Lass mich mit an Bord sein, Tom.
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