laut.de-Kritik
Daß Waits verbraucht sei, ist ein Gerücht, als Vogelscheuche kann er allemal noch dienen
Review von1993 ließ Tom Waits bei dem Musical The Black Rider die Knochen klappern, 1999 hat er sich in einem Hühnerstall eingenistet, um zwischen landwirtschaftlichem Gerät seine neue Platte "Mule Variations" aufzunehmen. Um den Gastgeber für die Ruhestörung zu entschädigen, ließ er ihn ins Mikro krähen, der Verewigung wegen. Chocolate Jesus -featuring the rooster - schmilzt in der Hand, nicht im Mund und erzählt doch nur über das Geschäftsleben von Waits Schwiegervater. Kleine Leute und kleine Geschichten, kein Icecream Man, keine Pianobar, kein L.A.
Zwischen surreal und rural stuft Waits seine Musik ein - surrural, ganz einfach. Dabei steht die Platte in guter Tradition altbekannter Stücke: Hymnisch-herzergreifend in Goergia Lee, scheppernd mit drive als Godzilla in Big In Japan oder eben doch katertröstend in Cold Water. Für Abwechslung ist gesorgt, zumal Waits nicht müde wird, neue Instrumente zu entwickeln mit denen er konsequent gegen die Melodie vorgeht, die doch so eingängig wäre. Da Noten aber sowieso zeitlos und in der Welt sind, wird gekratzt und sei es mit der Stimme. Was daraus resultiert ist eine Platte, die im Gegensatz zum schokoladenen Heiland überhaupt nicht schmilzt, sondern mehrfachen Genuß unbeschadet übersteht. Aber auch das ist ja nichts Neues, seitdem Tom Waits sich als Kneipenmusiker verabschiedet hat, um 1983 mit dem Album Swordfishtrombones in den amerikanischen melting-pot der Musik einzutauchen.
Daß er verbraucht sei ist ein Gerücht, denn als Vogelscheuche kann er allemal noch dienen. So abgebildet stellt sich Tom Waits in den Wind, was hängen bleibt, bleibt hängen, was vorbeifliegt ist nicht weiter interessant. Und warum das Ganze? Weil er ein Dickkopf ist, so seine Frau, die Köchin der Musik: "I didnt marry a man, I married a mule." Ein Maultier, das schon einiges mitgemacht hat, es sei ihm gedankt, denn wenn er Musik aufnimmt, ist das wie Leute zum Essen einladen. Denen würde er nie eine Tomate in die eine Mundhälfte stopfen, ein Stück Brot in die andere, sie nach Hause schicken und sich für die Gesellschaft bedanken.
2 Kommentare mit 4 Antworten
Dieser Kommentar wurde vor 5 Monaten durch den Autor entfernt.
Fast alle seine nach FRANKS WILD YEARS entstandenen Songs spielen vor einem ländlichen Hintergrund, der auch einen maßgeblichen Einfluss auf seine Musik hat. Die Metropolen- Tristesse ist passė. Waits Platten haben jetzt eine ähnliche Roheit wie die von Leadbelly oder Robert Johnson. Einige Songs klingen fast wie weiße Gospel-Lieder. Ponies und Mules tauchen auf. Sie sind uralte Metaphern der amerikanischen Folklore. Auffällig ist, dass Waits mit seinen Texten so eine Art Lokaljournalist geworden ist. Viele Ideen scheinen aus dem Lokalteil einer Zeitung zu stammen. Waits interessiert Perkussion. Um die perkussive Klangwelt zu verstärken, verwendet er gefundene Alltagsklänge. Die Musik klingt zunehmend düster, roh, knöchern und ungehobelt. Krach, Elektronik und immer komplexere Arrangements verstellen den einfachen Zugang zu den Songs. Die Schönheit der einzelnen Kompositionen muss sich der Hörer nun unter einem immer höher auftürmenden Berg akustischen Schrotts mühevoll freikämpfen. MULE VARIATIONS ist hiervon allerdings weniger betroffen. Im Gegenteil, das Album enthält sogar einige zugänglichsten Tracks, die Waits je veröffentlicht hat - z.B. "Hold On", "House Where Nobody Lives", "Picture In A Frame", "Chocolate Jesus", "Georgia Lee", "Take It With", "Come On Up To The House". 5/5
Das mag alles sein, aber was bringen die ganzen tollen Texte und Kompositionen, wenn der Gesang dabei so klingt, als würde ein altersschwacher Pandabär ein vierstöckiges Mehrfamilienhaus gebären?
Das ist wirklich die schönste Beschreibung für den Gesang seiner zweiten Schaffensphase, die ich jemals gehört habe!
@rnorpho:
Atmosphäre?
Gruß
Skywise
Bei dieser Stimme wäre sicherlich ein Produzent wie Finneas O' Connell gefragt gewesen, der sagt 'Hey Tom, laß es lieber sein...' Aber es liegt einfach nicht in der Natur von Tom Waits, seiner Musik begünstigend gegenüberzustehen. Das reicht bis in die Tage zurück als er mit Bones Howe zusammen arbeitete. Es ist eigentlich eine Schande, dass er nie einen fähigen Produzent hatte.