15. März 2005

"In Michigan spielen wir vor 8.000 Leuten ... alles Frauen!"

Interview geführt von

Riot Grrls waren meine Heldinnen Mitte der Neunziger. Natürlich hat sich Courtney (Love, Hole-Sängerin und Cobain-Witve), in den Vordergrund des medialen Interesses gedrängt. Doch die, die die Szene wirklich voran trieb, war Kathleen Hanna, Sängerin bei Bikini Kill. Sie schrieb einen Text, der Riot Grrls außerhalb des Strudels der Mainstream-Medien manifestierte. Nachdem sich ihre Band 1998 auflöste, bastelte sie zunächst alleine weiter an ihrer Musik.

Doch das sollte nicht ewig so bleiben: "Johanna war schon seit ungefähr zehn Jahren eine Freundin Kathleens. Johanna hat damals ein Fanzine gemacht, von dem Kathleen ein Fan war. Ich traf über Sadie (Bennings, Ex-Keyboarderin bei Le Tigre) auf sie. Zu der Zeit habe ich Projektionen für Le Tigre gemacht. So habe ich von der ersten Show an für Le Tigre gearbeitet. Und dann bin ich auch zur Band gestoßen", beschreibt JD die Aktivitäten der drei Le Tigres vor ihrem Zusammenschluss als Band.

Inzwischen hat JD als vollwertiges Mitglied mit der Band zwei Platten aufgenommen. Als ich sie an die Strippe bekommen, sitzt JD in ihrer WG in Brooklyn. "Ich habe gerade mit meiner Mitbewohnerin Tony Hawks auf der Playstation gespielt", begrüßt sie mich. Ihre liebliche Mädchenstimme, die JD hier an den Tag legt, verwundert mich. Immerhin halten sie viele für einen Mann. JD erzählt mir ein wenig über die Anfänge von Le Tigre. Mein Gott: Gäbe es als Pendant zum Schlafzimmerblick eine Schlafzimmerstimme, dann hat JD diese ab sofort aufgesetzt. Ein wenig rauh und übermüdet, dabei aber wie ein borstiger Vamp klingt die - mit ihrem Oberlippenbart sonst so männlich wirkende - Künstlerin.

Ich weiß nicht, ob du diese Frage beantworten kannst, aber ich versuche es einfach mal: Kathleen hat mit Bikini Kill ja Gitarren-Rock gespielt. Nun macht ihr eindeutig elektronische(re) Musik. Warum habt ihr euch für den Schritt hin zur Elektro-Musik entschieden?

Ich denke, dass Kathleen sich schon immer für Sampler und die Idee, die Musik anderer Musiker zu sampeln, interessiert hat. Schon bei Bikini Kill hat sie Versatzstücke anderer Songs in die Stücke einfließen lassen. Als Bikini Kill sich dann auflösten, wollte sie weiter Musik machen, hatte aber keine Band, mit der sie spielen konnte. Also begann sie, elektronische Musik zu machen, denn das ist solo einfacher. Das ist wohl, wie Kathleen zu elektronischer Musik kam.

Nachdem Le Tigre schließlich zu dritt waren, muss sich die Band weiter entwickelt haben ...?

Vor allem hat sich die Performance geändert. Wir haben uns spezielle Outfits zugelegt und Choreografien für Tänze überlegt. Wir haben eine Performance gemacht, keine Rock-Show mehr.

Ist also der Gesamteindruck, den man von euch als Band hat, wichtiger für euch, als die Musik, die ihr dem Publikum präsentiert?

Ja, definitiv! Wir waren alle Künstler, bevor wir bei Le Tigre gespielt haben. Wir waren visual artists, Kathleen war auf einer Fotografie-Schule und Johanna auf einer Zeichenschule. Wir hegten also alle ein Interesse für die verschiedensten Medien der Kunst. Wir sehen uns eindeutig als Künstler. Das ist ein Grund, warum ich finde, dass unsere Band so andersartig ist.

Wie wichtig ist dann Style oder Image für euch?

Wir sind queer/feminist/radical art. Also ist das schon sehr wichtig für uns. Aber ich denke nicht, dass unser Image, das wir für alle anderen haben - vor allem die Medien- oder Mainstreamkultur - für uns irgend eine Bedeutung hat. Wir sind nur daran interessiert, unser Leben als die Aktivisten zu leben, die wir sind. Wir machen das für unsere Freunde und unsere Community.

Wie wichtig ist es euch, mit eurem Auftreten zu provozieren?

Ich denke nicht, dass wir versuchen, die Menschen zu provozieren. Wir sind nur wir selbst und das ist etwas, das sehr interessant ist. Vielleicht empfinden uns Leute als Ärgernis oder so. Aber wir kreieren solch eine Atmosphäre nicht absichtlich. Wir versuchen nur, uns in dieser merkwürdigen Kultur, die um uns herum herrscht, sichtbar zu machen. Wir fühlen uns aber sehr positiv.

Wie hat sich die Szene seit den Neunzigern und der damals großen (Medien-)Präsenz der Riot Grrls verändert?

Riot Grrl wurde definitiv von den Mainstream-Medien kreiert. Ich meine, es gab definitiv Riot Grrl-Bands und so. Aber es war schon ein bisschen aufgeblasen. Ich denke, dass die selbe Art von Kultur immer noch existiert. Sie ist nur in den Mainstream-Medien nicht mehr so präsent. Deshalb denken die Leute, es würde nicht mehr existieren. Aber jede, die daran beteiligt war, ist immer noch eine Feministin. Vielleicht arbeiten die, die früher Fanzines gemacht haben, inzwischen fürs Spin Magazine oder so. Riot Grrls sind vielleicht ein bisschen älter geworden und haben inzwischen richtige Jobs in den Medien, der Pop-Kultur oder der Kunst. Aber sie sind immer noch in Bewegung, das ist ziemlich aufregend.

Ich erinnere mich noch an ein Bikini Kill-Konzert für "Girls Only". Ein wahnsinniges Erlebnis, immerhin zog sich die Vorband Team Dresh auf der Bühne fast komplett aus. Und im Publikum der Berliner SO 36 standen fast nur kanadische und amerikanische Lesben.

Gebt ihr immer noch Konzerte, auf die keine Männer dürfen?

Ja, das machen wir. Wir spielen ein Festival, das "Michigan Women's Music Festival", da kommen 8.000 Leute, alles Frauen. Das gibt es schon seit 35 Jahren, und immer sind da nur Frauen. Das ist eine super intensive Stimmung, das ist fantastisch. Ich finde das wirklich cool.

Aber könntet ihr euch vorstellen, das auch bei den Gigs auf eurer Tour noch Mal zu machen?

Ja, wir spielen ja diesen Sommer!

Ob das wirklich heißt, dass es im Sommer Konzerte geben wird, auf denen Männer nicht willkommen sind? Ob das Universal mitmacht? Raubt dieser Schritt nicht auch einige künstlerische Freiheiten, die Le Tigre augenscheinlich unheimlich wichtig sind?

Ihr seid zu einer Major-Plattenfirma gegangen. Warum habt ihr euch dafür entschieden?

Wir wollten mehr Leute erreichen. Als wir die Stücke zur neuen Platte geschrieben haben, ist uns aufgefallen, dass es mit diesen Songs möglich wäre, damit zu einem Major zu gehen. Denn die Platte war so viel reibungsloser und klang so viel dynamischer. Wir haben den Vertrag mit dem Major auch erst unterschrieben, als die Platte schon fertig war. Es war also nicht so, dass die Platte smoother wurde, weil wir dadurch das Geld hatten. Weil wir aber trotzdem Indie bleiben wollten, haben wir unseren Back-Katalog noch mal auf unserem neuen Indie-Label Le Tigre Records rausgebracht. Wir sind damit sehr glücklich. Denn so bleiben wir in der Indie-Community. Aber wir fühlen uns auch ziemlich sicher und sind sehr glücklich darüber, auf Universal zu sein. Es war großartig. Sie haben uns und unsere Wünsche - inhaltlich und künstlerisch - respektiert. Wir erreichen mehr Leute und haben trotzdem nichts aufgegeben.

Was sind dann eure weiteren Pläne mit eurem Label Le Tigre Records?

Im Moment haben wir darauf nur unseren Back-Katalog rausgebracht. Aber wir hoffen drauf, dass wir in der Zukunft auch Platten von anderen Leuten rausbringen werden. Doch im Moment können wir daran noch nicht denken.

Für wie wichtig haltet ihr das Internet?

Es war für uns eigentlich nie so wichtig, bis wir unsere neue Website online gestellt haben. Erst da bekam es eine wirkliche Bedeutung für uns. Dort konnten wir unsere Sicht der Dinge erzählen. Wir können da viele Infos über die Band posten. Wie wir begonnen haben, was für Equipment wir benutzen, all dieses Zeug. Wir bieten auch den Leuten Hilfe an, denen etwas widerfahren ist, die zum Beispiel sexuell missbraucht wurden. Das ist wirklich gut und aufregend. Wir antworten auch auf die Fragen, die uns die Leute in ihren Mails schicken.

Vornehmlich geht es der Band also um die Integration der Fans übers Internet. Doch zu einem anderen Punkt: der Integration des Protests in die Kultur. Oder viel mehr, der Möglichkeit, Unmut und politische Meinung wirklich über Kunst verbreiten zu können. Der Le Tigre-Song "New Kicks" stellt sicher einen sehr gutes Beispiel auf diesem Gebiet dar.

Wie seid ihr auf die Idee zu "New Kicks" und dem zugehörigen Video gekommen?

Alles begann mit den Drum- und Keyboard-Samples und solchem Zeug. Wir hatten die Instrumente schon fertig aufgenommen und wussten nicht, was wir mit den Vocals machen sollten. Wir versuchten alle, darauf zu singen, aber es hörte sich nicht gut an. Dann waren wir auf dieser Kundgebung am 13. Februar 2003 in New York, die sich "The World Says No To War" nannte. Jemand nahm die Veranstaltung mit einem Minidisc-Recorder auf. Und als wir einen Tag da saßen und ein Brainstorming machten, wie man nun die Vocals zu diesem Song gestalten sollte, haben wir festgestellt, dass diese Aufnahmen das beste wären, was man über die Musik legen könnte. Wir probierten es, und es passte perfekt. Als dann die Wahlen in Amerika immer näher rückten, haben wir entschieden, dass wir ein Video zu dem Song machen wollen. Der sollte dann in der Community verteilt werden.

Ist das also ein moderner Protestsong?

Ja, definitiv! Aber es ist mehr als ein einfacher Protestsong. Viel mehr noch ehren wir damit die Proteste, die es schon seit ein paar Jahren gibt und die nicht so gewürdigt werden, wie sie es eigentlich verdienen. Es sind so viele Leute, die daran teilnehmen. Doch die Medien verbreiten ein anderes Bild.

Denkst du, dass Kunst allgemein eine Form des Protests sein kann?

Ich denke schon. Definitiv! In den Monaten vor der Wahl haben so viele Bands Songs, Platten, Compilations aufgenommen und Live-Shows gespielt, die sich gegen den Krieg und gegen Bush gerichtet haben. Oder sie wollten die Leute dazu kriegen, überhaupt zu wählen. Und das war definitiv eine Form von Protest. Wir werden oft gefragt, ob wir denken, dass sich die meisten einfach nur einer Erfolg versprechenden Sache anschließen. Aber das ist Quatsch. Das ist doch eine gute Sache, der beste Zug, auf den sie aufspringen können. Jeder sollte sich gut genug fühlen, seine politische Ansicht in seiner Kunstform kund zu tun.

Geht es bei Le Tigre also viel mehr ums Ganze, als noch zu Bikini Kill-Zeiten? Oder hat man früher einfach den bösen Mainstream-Medien geglaubt und so das Bild bekommen, den Grrls da drüben in Amerika gehe es vor allem um die Emanzipation der Frau? Natürlich ging es noch nie nur um diese eine Sache. Trotzdem muss noch eine Frage zum Thema Frauen erlaubt sein:

Findest du, dass Musik von Frauen einen feministischen Aspekt haben muss?

Denkst du, dass man ... fragende Pause

Denkst du, dass Frauen, ...

Ah, jetzt versteh ich. Wir wollen nicht darüber urteilen, was andere Frauen tun oder wie sie ihre Kunst auffassen. Wir werden so oft gefragt: 'Wie findet ihr Britney Spears?' oder so. Wir wollen keinen Scheiß über andere erzählen oder jemanden runter machen, für die Art, wie sie Musik macht, oder wie sie ihr Leben lebt. Wir sind nur froh darüber, dass es uns gibt, geben kann! Wir können nur hoffen, dass wir viele Leute erreichen.

Kann man nur hoffen, dass sie auch dich erreichen, wenn sie demnächst nach Europa auf Tour kommen. Und an alle Jungs: Da sich Le Tigre definitiv darauf besonnen haben, dass ihr Aktivismus durchaus auch das andere Geschlecht angeht, werdet ihr wohl bei den Gigs nicht draußen bleiben müssen.

Das Interview führte Vicky Butscher.

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