Deutschland entspannt sich: der Umgang mit der eigenen Nation, ob in Politik oder in der Popkultur, normalisiert sich seit einiger Zeit zusehends. Hier Auslandseinsätze der Bundeswehr, dort Schwarz-Rot-Gold auf der Bühne. Die Initiatoren von "I Can't Relax In Deutschland" verweigern sich der Lockerheit.
Köln (mmö) - Die Normalisierung des Deutschseins kam schleichend, aber konsequent. Ausgerechnet die rot-grüne Koalition in Berlin sorgte in den letzten Jahren für ein nachhaltig anderes Bild des eigenen Landes. Die Beteiligung des "Präventiv"-Krieges im Kosovo, die immer wieder auch mit chauvinistischen Untertönen geführte Diskussion um eine Radioquote als Maßnahme zum Schutz der deutschen Musikindustrie (gegen die"übermächtige amerikanische Konkurrenz") oder die betonte Normalisierung des eigenen Verhältnisses zum Vaterland von Vertretern des Musik-Business sind nur einige Erscheinungen dieses Trends. Eine neuartige 'Wir sind wieder wer'-Stimmung macht sich breit und umgeht geschickt die unführbare "Schlussstrichdebatte". Deutsch sein ist normal geworden, die Neue Deutsche Welle stürmt die Charts. Welch ein Sinnbild.
Doch wo immer es Versuche gibt, die Zukunft zu begehen, indem die Vergangenheit abgeschüttelt wird, da formiert sich in Deutschland Widerstand. Das hat Mia. ebenso schmerzlich erfahren müssen wie der Außenminister Joschka Fischer. Im künstlerischen Bereich gibt es seit jeher Bands, die sich lautstark gegen ein unreflektiertes Verhältnis zur Bundesrepublik wehren. Auch abseits von vorschnell indizierten antideutschen Punksongs. VertreterInnen dieser musikalischen Linken verbindet jetzt das Projekt "I Can't Relax In Deutschland", dessen Buch und CD heute erscheinen. Diese Veröffentlichung soll "Gegenpositionen zur momentanen deutschnationalen Selbstfindung bündeln", und zeigen, dass viele KünstlerInnen "sich nicht vor den deutschen Karren spannen lassen, sondern keinerlei positiven Deutschlandbezug haben und Popkultur nicht als national gewachsenes oder zu konstruierendes Kulturgut begreifen."
Die CD kompiliert mehr oder minder bekannte Indie-Bands, die ihren Support für die Sache mit mehr oder wenig exklusiven Stücken demonstrieren. Kettcar beziehen stellvertretend für alle Kollegen von Grand Hotel Van Cleef mit "Einer" vom letzten Album Stellung. Ebenso Tocotronic, die sinnigerweise ihr großartiges "Aber Hier Leben, Nein Danke" beisteuern. Die Sterne, Die Goldenen Zitronen die Nürnberger The Robocop Kraus melden ebenso ihre Bedenken an wie Kante, Superpunk und Muff Potter. Wer neue, politisch korrekte Bands sucht, wird bei Räuberhöhle, Saalschutz, Rhythm King And Her Friends oder Egotronic fündig. Musikalisch ist für jeden was dabei: Gitarren, Indie-Sound und Elektroarschtritte für gegen Deutschland. Einige, wie Knarf Rellöm, lassen auch in ihren Texten deutlich werden, was nicht geht: sie rufen den "No-Deutschland-Sound" aus.
Da die vom Kölner Musiklabel Unterm Durchschnitt, der Leipziger Kulturinstitution Conne Island, den geschätzten Kollegen vom Beatpunk Webzine, Guess I Was Punk, dem Musikerinnen-Netzwerk Propellas und der Black Star Conspiracy getragene Initiative mehr sein soll als ein Einwurf gegen die neue nationale Bequemlichkeit, sondern vielmehr eine tiefgehende und weitreichende Diskussion unter der Leitfrage: "Wohin, Deutschland?" beginnen soll, erscheint zur CD ein kleines Büchlein. Hierin werden Positionen zur momentanen Situation kompiliert und Denkanstöße zum Weiterreden gegeben. Die Sinistra!-Gruppe aus Frankfurt, Martin Büsser, Autor und Schreiber für Intro und Testcard, sowie der Autor Roger Behrens vermitteln hoch anspruchsvoll das "Wissen zum Dancefloor".
Das ist dann manchmal selbst für studierte Seelen was zum zweimal Lesen, was die MacherInnen allerdings nicht als "elitäre Marotte" ausgelegt wissen wollen. Der Standpunkt, den sie vertreten, ist nicht einfach, zumindest nicht so einfach wie der Trend, gegen den sie sich wenden. Eine anspruchsvolle Auseinandersetzung findet statt für diejenigen, die sich durch das schicke rote Büchlein quälen. Danach kann man selbst gut weiterdiskutieren. Vielleicht ja sogar mit den Bands, denn im Oktober bestreiten einige der auf dem Sampler vertretenen Bands ein paar Termine. Kante und Spillsbury machen am 02. Oktober den Beginn in Berlin, am 07. spielen Peters und TGV in Freiburg, einen Tag später stehen Kante, Kettcar und TGV in Frankfurt auf der Bühne. Termine für Hamburg, Köln und München kommen noch.
Die Tracklist:
- Gegenstück (Monochrom)
- Einer (Kettcar)
- Aber Hier Leben, Nein Danke (Tocotronic)
- Achtung (Räuberhöhle + Saalschutz)
- Fin De Millinaire (Die Goldenen Zitronen)
- I'm Disco (Rhythm King Discontent Mix)
- Wipe That Sound (Mouse On Mars)
- The Daily Match (Lali Puna)
- Punkt9 (Muff Potter)
- Diskretion Deluxe (Peters+Egotronic)
11.Concerned Your Secular Friends (Robocop Kraus) - My Love Is Still Untold (Kante)
- Warum Nicht 2 (Bernadette La Hengst)
- Sorglos (Die Sterne, Studioversion)
- Slow Down For A Fast Trip (Von Spar)
- Buisness Of Strangers (Stella)
- Arme Kleine Deutsche (Knarf Rellöm)
- Noch Nie / Nicht Mehr (T.Raumschmiere)
- Matula (Superpunk, live)
- Things (Lawrence)
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