laut.de-Biographie
Console
Im oberbayerischen Weilheim treiben eifrige Klangforscher ihr Unwesen. Dafür ist die dortige Musikszene seit dem Startup ihres berühmtesten Kindes The Notwist Anfang der Neunziger berühmt. Ebendort lebt und arbeitet seinerzeit auch der "Mad Professor" Martin Gretschmann. Mitte der 90er Jahre beschäftigt er sich in der Hauptsache damit, seine Wohn- und Küchengeräte zu einem Local-Area-Network zu vernetzen.
Diese dirigiert er per Logic Audio zu einem bizarr pulsierenden Orchester. Unter Zuhilfenahme von Synthies, Drummachines und anderem Spielzeug firmiert er als Console und programmiert 1997 das Debüt "Pan Or Rama" beim Weilheimer Label Payola. Fast zur gleichen Zeit gelingt ihm ein entscheidender wissenschaftlicher Durchbruch: Der Tüftler und Bastler Gretschmann bringt ein 56K-Modem zum Singen.
Zusammen mit dessen Freunden - ein paar Kochtöpfen, einem Videorecorder und einer Haustürklingel - wagt er 1998 mit dem zweiten Album "Rocket In The Pocket" einen mutigen, aber nie verpatzten Spagat zwischen E- und A-Musik. Er verwischt die Grenzen zwischen analog und digital und driftet dabei nicht selten in verwirrend schöne Klanggezerre und -geschiebe ab, findet aber immer zurück zur Auflösung im Heil der Melodie. Ein wahres Genie eben, dieser Gretschmann. Nebenbei vertont er auch Hörspiele für den Bayerischen Rundfunk.
Aus Mangel an versierten IT-Fachleuten verpflichten ihn die Notwist-Boys fest für ihre Band als Netzwerkadmin. 1999 kommt das Console-Stück "14 Zero Zero" zu ansehnlichen Clubhit-Ehren. Ein Klagelied des geplagten Computers an den User mit dem welken Charme von "Living On Video" des 80er-Acts Trance-X.
Das Spex-Mag verlieh Console dafür den Preis "Single des Jahres 99". Auch das Majorlabel Virgin wird nun aufmerksam und lizensiert, aus Mangel an einem neuen Console-Album, das ältere "Rocket In The Pocket"-Werk und packt dort besagten Clubknaller mit drauf. Nach einem Console-Gig im März 2000 in Zürich brechen gemeine Unholde in den Console-Tourbus ein und stehlen Gretschmanns gesamte Hard- und Software.
Weil bei einem Console-Liveset zumindest die Grundstrukturen der Stücke von der Festplatte rattern, bedeutet dies das vorzeitige Ende der Tour. Aber damit nicht genug: Unter den gestohlenen Sachen soll auch eine Festplatte mit Ideen für die neue CD gewesen sein und ein Backup wurde angeblich auch nicht angelegt ...
Ein kleiner Rückschlag, der den sympathischen Klangwissenschaftler aber nicht von seiner Arbeit abhält. Gretschmann produziert und remixt nämlich auch andere Acts, unter anderem Hochkaräter wie Blümchen (sic!!!) und im Jahre 2001 die erklärten Helden Depeche Mode. Im selben Jahr bittet ihn schließlich sogar Björk, den Song "Crabcraft" für ihr neues Album "Vespertine" zur Verfügung zu stellen. Björk-Fan Gretschmann ist sehr entzückt und reist mit dem Liedgut im Gepäck zur kleinen Isländerin nach London, wo der Song praktisch nur in "Heirloom" umbenannt und mit Björks Stimmchen verziert wird.
Im Februar desselben Jahres gelangen Console zu der Ehre, im Pariser Museum Centre Pompidou einen Auftritt vor bestuhltem Publikum aufzuführen, wie es vorher bereits Klangkünstler der Marke Sonic Youth oder Tarwater getan haben. Mit dabei ist auch der Weilheimer Kumpel Michael "Schwainzl" Schwaiger, der als Hometrainer bereits eigene Schritte im Elektronik-Biz getätigt hat. Das chillige Live-Ergebnis von Console gibt es auf dem heute schwer gesuchten Tonträger "Live At Centre Pompidou" zu kaufen. Auch das Münchner Planetarium kommt in einen neuen Space-Genuss: Im Forum der Technik spielt Gretschmann zwei Auftritte hintereinander, um 24 Uhr und um 2 Uhr morgens.
Im Herbst 2002 steigert der Meister mit den Maxis "Dirt On A Wire" und "Suck And Run" die Vorfreude auf das Karriere-Highlight "Reset The Preset" ins Unermessliche. Es entspannt sich ein regelrechter Console-Hype, der allerdings aufgrund von Gretschmanns langen Albumpausen nicht aufrecht erhalten werden kann. Das Arbeiten an mehreren Projekten bleibt sein Steckenpferd. Wenn The Notwist Pause machen tüftelt der Blonde entweder für Console an neuen Stimmungen, zündet mit dem DJ-Projekt Acid Pauli Dance-Granaten, remixt andere Künstler oder schreibt Filmsongs ("Kanalschwimmer" von Jörg Adolph, 2003). Langweilig wirds jedenfalls nie. Aus dem anfänglichen Tanzprojekt Acid Pauli wird 2012 sogar ein weiterer Album-Act. Das vorläufig letzte Console-Album ist "Herself" aus dem Jahr 2010.
Noch keine Kommentare