Porträt

laut.de-Biographie

Drexciya

Elektronische Musik und Anonymität – diese ewig währende Liaison hat ihren Ursprung im nordamerikanischen Detroit, wo die Wiege des Techno und seiner später ausdifferenzierten Spielarten steht. Während der Auftritt mit Maske, Bandana oder sonstigen Utensilien zur Identitätsverschleierung heute in den meisten Fällen wie ein (buchstäblich) aufgesetztes Gimmick anmutet, verbirgt sich hinter dieser Praxis im Falle von Drexciya ein holistisches Konzept, das seinesgleichen sucht.

Drexciya - Grava 4 Aktuelles Album
Drexciya Grava 4
Der Unterwasser-Afrofuturismus erstürmt das All.

Hinter der Musik, die Drexciya auf drei Alben, diversen Compilations und einschlägigen Singles und EPs ab 1992 verbreiten, stecken James Marcel Stinson und Gerald Donald. Während ihrer Karriere als Drexciya bleiben diese Namen weitestgehend geheim. Beide treten hinter ein fein säuberlich ausgeklügeltes Universum zurück, das Fans und Popliteraten bis heute beschäftigt und fasziniert.

Im Zentrum des Mythos Drexciya steht eine afrofuturistische, alternative Lesart des Dreieckshandels. Auf der Seeroute des Sklavenaustauschs zwischen Afrika, den USA und Europa werden schwangere schwarze Frauen über Bord geworfen, die Föten mit der Fähigkeit, unter Wasser atmen zu können, gebären. Diese gründen auf dem Grund des Atlantiks Kolonien, untergliedern sich in weitere Rassen und stehen zudem in Beziehung zum Weltall.

Dieser unorthodoxe theoretische Rahmen, den Drexciya auf Plattencovern, in Comics und sonstigen Medien minutiös weiterspinnen und mit weiteren Facetten auffrischen, passt hervorragend zum emanzipierten, ermächtigten Ansatz des legendären Kollektivs Underground Resistance, in deren Umfeld sich Stinson und Donald bewegen.

Die beiden Musiker lassen ihre Tracks für sich sprechen, verfolgen mit ihren Veröffentlichungen keine ambitionierten kommerziellen Ziele und scheuen das Rampenlicht in radikaler Manier. Stinson fährt parallel zu seinem Leben als Producer Lastwagen, lukrative Gigs und das Jetset-Leben schlagen Drexciya konsequent aus.

Abseits der großen Bühnen, auf denen beispielsweise Jeff Mills und Konsorten verkehren, entsteht im Zuge des Projekts ein einzigartiger Sound, der in der Szene noch Jahrzehnte später als eigenständiges Genre firmiert. Will man sich den drexciyanischen subaquatischen Beats auf konventionellere Weise nähern, geht vieles aus Stinsons und Donaldsons Feder als Electro durch. Von einer stählernen, gleichzeitig federnden Snare getrieben, meist im ungeraden Beat-Schema beheimatet, vertonen Drexciya-Stücke auf lächerlich konkrete Weise das mächtigste aller Elemente. Man muss beileibe kein zertifizierter Synästhetiker sein, um das Gros der Tracks mit der Farbe Blau in Verbindung zu bringen.

So sehr sich das Duo beinahe demonstrativ Mühe gibt, nicht berühmt zu werden, so sehr bewirkt die Strahlkraft ihres musikalischen Outputs das Gegenteil. Bis 2002 veröffentlichen Drexciya auf dem niederländischen Label Clone, auf Tresor Records – die Detroit-Berlin-Achse verläuft auch unter Wasser – oder auf Aphex Twins Rephlex. Underground Resistance und dessen Offshoot Submerge finden sich natürlich auch in der Diskographie.

Auch qualitativ hochwertige Nebenprojekte bringen Donald und Stinson an den Start. Ersterer frisst einen regelrechten Narren an der Verwissenschaftlichung elektronischer Musik, frönt einem germanophilen Spleen und musiziert als Mitglied von Dopplereffekt, Rudolf Klorzeiger oder Heinrich Mueller. Zweiter verewigt sich mit dem Klassiker "Lifestyles Of The The Laptop Cafe" als The Other People Place ebenso eindrücklich wie mit Drexciya im kollektiven Gedächtnis elektronischer Musik.

Nachdem die Detroiter nach ihrem Debütalbum "Neptune's Lair" mit ihrem wohl bekanntesten Track "Andreaen Sand Dunes" 1999 ankündigen, von der Bildfläche verschwinden zu wollen, folgt 2002 der letzte große Coup. Binnen eines Jahres erscheinen "Harnessed The Storm" und "Grava 4".

Mit diesem Doppelschlag nimmt das Gesamtkunstwerk Drexciya, der Mythos und Erzählzyklus rund um die Science-Fiction-basierte Unterwasserrasse ein jähes Ende. James Stinson stirbt noch im selben Jahr im Alter von nur 32 Jahren an Herzversagen. Wenn die abgedroschenen Allgemeinplätze vom ewigen Fortleben der Musik und der absoluten Zeitlosigkeit eines Werks aber ausnahmsweise ihre Berechtigung haben, dann angesichts der Wertschätzung, die Drexciya erfahren.

Alben

Drexciya - Grava 4: Album-Cover
  • Leserwertung: 3 Punkt
  • Redaktionswertung: 5 Punkte

2002 Grava 4

Kritik von Maximilian Fritz

Der Unterwasser-Afrofuturismus erstürmt das All. (0 Kommentare)

Surftipps

  • Drexciya Research Lab

    Laufend neue Infos und Content um Drexciya.

    https://www.facebook.com/drexciyaresearchlab/
  • The Drexciyan Empire

    Facebook-Page mit Fokus auf die Bilderwelt der Detroiter

    https://www.facebook.com/drexciyanempire/

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