laut.de-Biographie
Marla Glen
"Alle starrten mich an, als sei ich ein Wesen von einem anderen Stern", erinnert sich Marla Glen noch an ihre ersten öffentlichen Auftritte. Im zarten Alter von 15 Jahren war es, im berühmten Chicagoer Club Kingston Mines. Als sie dort mit ihrer Mundharmonika zugange war, fragten sich nicht Wenige, ob dies für einen junge Frau denn das Richtige ist.
Fragen löst die 1960 geborenen Künstlerin auch noch reichlich aus, als sie zum Star wird. Nicht zuletzt ihr spielerischer Umgang mit Geschlechterrollen sorgt regelmäßig für Irritation. Den Schlapphut hat sie meist tief ins Gesicht gezogen, Gehstock und Anzüge gehören zu ihrem Standart-Equipment – "alles Tarnung", kommentiert sie ihr androgynes Spiel in Männerklamotten.
Schon in ihrer frühen Jugend wurde sie oft für einen Mann gehalten. Ihrem musikalischen Talent konnte das jedoch keinen Abbruch tun. Allein ihr familiäres Umfeld lenkte sie in musikalische Bahnen - wenn auch über die Umwege Bauarbeiterin und Sicherheitsbeamtin. Die Großmutter intonierte in der Kirche Gospelsongs, der Vater war ein Bluesgitarrist und die Mutter soll sogar mit dem Meister des Blues, B.B. King, ein enges freundschaftliches Verhältnis verbunden haben.
Ihre erstes Album brachte Marla Glen 1993 heraus – "This Is Marla Glen". Ihre bewegenden Songs zwischen Blues und jazzigem Soul leben von ihrer markanten, rauchigen Reibeisenstimme. Als ihr Stück "Believer" in einem C & A-Werbespot verbraten wurde, wurde sie über Nacht berühmt, ihre erste Platte verkaufte sich in Deutschland allein über 570 000 Mal.
Drei weitere Alben folgten, bevor sie sich eine kleine Schaffenskrise nahm. Erst 1999 gab es mit der Single "Crazy World" wieder eine Veröffentlichung. Soziale Gerechtigkeit - "This World Is In Trouble" singt sie - ist weiter Marla Glens Botschaft. Manchmal gerät die charismatische Künstlerin da auch schon mal direkt mit der Staatsgewalt in Konflikt. Die Schweizer Polizei nahm bei einem Konzert in Luzern etwas irritiert zu Protokoll: "Glen schlug um sich, biss und kratzte die Beamten".
Mit der Vermarktung ihrer Person gerät Marla zunehmend in Konflikt. "Dann tauchte ich überall im Internet auf. Sogar Autos wurden mit mir verkauft. Mein Name wurde benutzt (...). Ich sollte so sein, wie es anderen in den Kram passte", beklagt Marla in einem TV-Interview mit Arte dann rückblickend, Anfang 2010. Die Veröffentlichung ihrer Platte "Humanology", Anlass des Interviews, zieht sich danach hin.
Von ihren vorherigen Platten hatte sie selten gute Tantiemen-Werte gesehen. Wutschnaubend, gestikulierend und kopfschüttelnd faucht sie in die arte-Kameras: "Es gab Aufnahmen meiner Stimme, meiner Songs, die irgendwie als Überarbeitung (...) verscherbelt wurden (...), mit fremden Credits versehen; (...) auf meinem "Friends"-Album, da haben sich selbst meine Begleitmusiker als meine 'Produzenten' aufgeplustert. (...) Wie zum Teufel kommt dieser Bassist oder Keyboardspieler dazu, sich Autoren- oder Produzenten-Credits auf meine Werke zu geben? Was für ein Business ist das eigentlich?"
Nach Freunden klingt Marlas Analyse nicht, was man der weichgespülten "Friends"-Platte von 2003 auch anhört. Irgendwas wirkt daran nicht locker. Die Meinungen sind gespalten. Fun Fact: Das Album zählt zu der kurzen Phase, als die Musikindustrie manche CDs nur mit Copy Protection herausgab. Traurig: Marla kämpft mit Nervenzusammenbrüchen.
Hintergrund sind auch die Probleme ihrer Plattenfirma. Ursprünglich bekam sie einen Vertrag mit Disques Vogue in Frankreich. Diese Firma arbeitet aber nicht in Deutschland. Da Marla in Deutschland lebt, wird sie zugleich von der Münchner Firma Ariola, Tochterfirma des Bertelsmann-Konzerns betreut. Diese wiederum drückt Marla diverse Verträge für verschiedene Länder auf, wie sie später vor Gericht geltend macht - wobei sie nie wirklich Geld aus den Lizenzen erhält. Bertelsmann verliert in der Krise der CD-Verkäufe Anfang der 2000er Jahre das Interesse an vielen der gesignten Künstler*innen und verscherbelt viele Urheberrechte an Sony. Sowohl Disques Vogue als auch Ariola gehen im Sony BMG-Konsortium auf. Marla beschäftigt mehrere Rechtsanwälte, um sich aus einem Dschungel von zwölf Verträgen freizukämpfen.
In den Folgejahren hört man wenig Nachdem ihre "Greatest Hits Live" auf CD erscheinen, soll auch eine große Tournee im Herbst 2011 ihr Album "Humanology" pushen. Aus gesundheitlichen Gründen wird die Tour abgesagt und verschoben. Als sie 2012 durch etliche Städte in Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen führt, platzt dies dazwischen: Eine Vorladung vor Gericht! Sie hätte fälschlich eine Gruppe Männer beschuldigt, dass diese sie in einem Düsseldorfer Bahnhofsbistro verprügelt hätten. Diese wiederum behaupten vor dem Amtsgericht, Marla sei "gegen eine Tür gelaufen".
Das Verfahren wird gegen Zahlung einer Geldstrafe eingestellt, doch diese 1.000 Euro reißen ein weiteres Loch in Marla Glens Budget: Sie hatte zu diesem Zeitpunkt Privatinsolvenz beantragt. Nach ihrem Familienstand gefragt, antwortet sie "Ich habe nur Gott!".
In den folgenden Jahren kursiert im Zuge von Tour-Werbung immer wieder der Albumtitel "Tricks & Tracks". Doch von dieser CD, die von Herbst 2012 bis ins Jahr 2016 hinein in Promo- und Zeitungstexten nach dem Motto "Copy & Paste" beständig als "aktuelles" oder "neues" Album genannt wird, haben wohl nur Konzert-Booker je etwas gesehen. Anfang 2020 erscheint schließlich mit "Unexpected" das explosivste Werk ihrer Karriere. Es enthält viel von Marlas Bühnen-Charakter, ihrer schauspielerischen Ausdrucksfähigkeit, und tischt 14 meist recht schnelle Songs zwischen ländlichem Cajun und urbanem Disco-Soul auf.
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