laut.de-Biographie
Massiv
"Ihr wollt 'n Ghettolied auf'n Ghettobeat? / Komm nach Wedding, dann wisst ihr, wo das Ghetto liegt / Das ist mein Bezirk, geh von hier nicht weg / Liebe meine Brüder, widme ihnen diesen Track."
Berlin, Berlin, wohin man schaut. Dabei beginnt die Geschichte des Mannes, den sich Sony BMG einst eine Viertelmillion kosten ließ, um ihn zum nächsten großen Deutsch-Rap-Star aufzubauen, keineswegs in der Hauptstadt.
Wir schreiben das Jahr 1980, als Hani Taha gemeinsam mit seiner Frau Hiam aus dem Südlibanon fliehen muss. Die Umstände verschlagen das palästinensische Paar ins pfälzische Pirmasens, eine Kleinstadt unweit der französischen Grenze, wo man Arbeit und Freunde findet. Hier kommt zwei Jahre später der ersehnte Stammhalter zur Welt. Mama ist stolz, Papa ebenso. Der Knabe erhält den Namen Wasiem.
Der Kleine entpuppt sich nicht unbedingt als Sonnenschein. "Lieb isser", so der Kommentar von Frau Mama in einem Interview mit Spiegel TV. So lieb, dass Drogendeals, Prügeleien, Jugendarrest und schließlich Untersuchungshaft Eingang in seine Akte finden. Das Jugendamt bestätigt: keine Perspektive.
Ein Besuch bei Verwandten führt Wasiem um 1996 erstmals nach Berlin. Fasziniert beobachtet er das hier blühende Phänomen Gangsterrap und wittert seine Chance. Immer wieder zieht es Wasiem fortan in die Hauptstadt. Manchmal für ein paar Tage, manchmal gleich für etliche Monate. Er nimmt erste Demo-Tapes auf und verschickt diese an verschiedene Labels.
MC Basstard zeigt sich einigermaßen beeindruckt von der rohen Gewalt in Wasiems Stimme und nimmt das pfälzische Landei bei seinem Label Horrorkore Entertainment unter Vertrag, wo er sich rasch zum Zugpferd im Stall aufschwingt.
Nach seinem ersten Album "Zahltag", das er 2004 noch unter dem Namen Pittbull aufnahm und in einer Mini-Auflage von 2000 Stück unters Volk brachte, legt sich Wasiem einen Alias zu, der seinem aufgepumpten 120-Kilo-Leib wesentlich besser gerecht wird: Massiv betritt die Szene.
Sein eingangs zitiertes "Ghettolied" verzeichnet schnell über 30.000 Downloads. Gemeinsam mit MC Basstard bringt Massiv 2006 das "Horrorkore Mixtape Teil 1" auf den Markt, auf dem unter anderem Fler, Megaloh, Bogy und Frauenarzt vertreten sind. Zu einem zweiten Teil soll es nicht mehr kommen: Die Wege Massivs und Horrorkores trennen sich im August 2006 - angeblich auf einigermaßen friedliche Weise.
Zuvor investiert Massiv aber eineinhalb Jahre Arbeit in sein Album "Blut Gegen Blut". Dieses erscheint 2006 und birgt neben etlichen anderen Gastauftritte von Sido ("Scheiß Auf Den Club"), Bass Sultan Hengzt, Frauenarzt, B-Tight, MC Basstard und Bogy. Zwischen Massiv und Snaga, Pillath und Manuellsen entwickelt sich unterdessen ein munterer und nicht gerade zimperlicher Schlagabtausch. Der ersten Single "Blut Gegen Blut" folgt als zweite Auskopplung ein Beathoavenz-Remix des "Ghettolieds".
Währenddessen pendelt Massiv weiterhin zwischen Pirmasens und Berlin hin und her. Auf Dauer kein Zustand, beschließt er. Ein Feature, das im April 2007 im Spiegel erscheint, beschreibt die Szenerie:
"Wasiem hatte sich genau überlegt, was er sagen wollte, und wie immer sprach er mit seinen Eltern Arabisch, er sagte: 'Vater, Mutter, ich möchte, dass wir nach Berlin ziehen. Ich werde dort Gangsta-Rapper werden, ich werde Erfolg haben, reich werden und für euch alle sorgen können.'"
Es bedarf eines halben Jahres und reichlich Überzeugungsarbeit, um Vater, Mutter, die Schwester und die Katzen nach 25 Jahren aus der vertrauten Umgebung, weg von Arbeit und Freundeskreis, weg aus der lieb gewonnenen Einzimmerwohnung in der Pfalz ins stinkende Berlin zu verpflanzen. Alleine zu gehen, das kommt für den Familienmenschen Massiv zu keinem Zeitpunkt in Frage.
Ebenso wenig kommt in die Tüte, dass der nach dem Umzug arbeitslose Vater einen Job in einer Eisdiele annimmt: Das geziemt sich nicht, für den Vater eines aufstrebenden Gangstarap-Stars - befindet Massiv.
Dessen Karriere erhält tatsächlich eine ordentliche Ausgangsbasis. Talentsucher von Sony BMG fassen den Koloss ins Auge und beschließen, ihn zur deutschen Antwort auf 50 Cent aufzubauen. Seine Biografie, sein Aussehen und die von Massiv völlig humorlos abgedeckten Themenfelder Gewalt und Leben auf der Straße kommen für dieses Vorhaben gerade recht.
Mit nicht unerheblichem Startkapital ausgestattet hebt Massiv sein eigenes Sublabel Al Massiva aus der Taufe. Sony BMG holt für die Aufnahmen zu Massivs nächsten Album DJ Desue ins Boot.
Massiv treibt sich ausgiebig im Umfeld von Aggro Berlin herum. Er ist in den Videos zu "Aggro Berlin Zeit" (Tony D, B-Tight und G-Hot), "Der Chef" (Fler) und "Strassenjunge" (Sido) zu sehen, auf dessen Album "Ich" er einen Featurepart übernimmt. Gemeinsam mit Aggros Vorzeigerapper tritt Massiv in einer Sondersendung von MTV TRL auf und begibt sich mit dem Maskenmann auf "Halt's Maul, Zahl Eintritt"-Tour, wo er neben Songs aus "Blut Gegen Blut" die nächste Single "Wenn Der Mond In Mein Ghetto Kracht" vorstellt.
Bei einem Auftritt in Duisburg kommt es im Juni 2007 zum Eklat. Massiv wird auf der Bühne angegriffen. Die Veranstaltung endet in einer Verfolgungsjagd und einer Massenschlägerei. Zweifelhaft, ob Massiv so seinen eigenen Ansprüchen gerecht wird: "Ich will einer sein, an den sich kleine Kinder anlehnen können. Ein großer Bruder, ein Beschützer, der Hoffnung und Perspektive zeigt."
Der mit dickem Promo-Etat von Sony BMG beworbene Re-Release von "Blut Gegen Blut" erscheint im Juli 2007. Erweitert um etliche neue Tracks und Gastauftritte von Sido, Basstard, B-Tight, Beirut und der VS Mafia präsentiert der Araber in Handschellen sein Album ein zweites Mal. Einem Grundsatz bleibt Massiv dabei treu: "Ich geh' meinen Weg, egal was kommt." So schauts aus, Habibi, und das ist Schicksal!
Das schlägt im Januar 2008 ein weiteres Mal zu: Massiv wird in Berlin auf offener Straße angeschossen. Angeblich aus nächster Nähe soll ein Unbekannter mehrere Schüsse auf den Schrank abgegeben haben. Mit einer Verletzung am Arm wird Massiv ins Krankenhaus gebracht.
Der Umstand, dass der Vorfall schon vor seinem Eintreffen dort auf Massivs Webseite nachzulesen ist und zudem die Veröffentlichung seines Albums vor der Tür steht, sorgt für allerlei Gerede. Gegen Spekulationen, das Ganze sei lediglich zu Promo-Zwecken inszeniert worden, verwahrt sich Massiv allerdings energisch. "Sein großes Album" erscheint Anfang Februar unter dem Titel "Ein Mann Ein Wort".
Eine Reise im Auftrag des Goethe-Instituts nach Palästina wirbelt einigen Staub auf. Ist einer, der bisher vor Blut und Gewaltverherrlichung strotzende Texte unters Volk brachte, ein geeigneter Botschafter? Massiv will sich von solcher Vergangenheit inzwischen abgewandt haben.
Sein drittes Album "Meine Zeit" dokumentiert die Wandlung von der Dampframme zum halb-nachdenklichen Straßenjungen. Der Schuss geht zwar nicht völlig nach hinten los, ein Querschläger trifft aber trotzdem das eigene Knie: Das beschworene "Gewisse Etwas", das "weil meine Stimme jeder fühlt" für Gänsehaut sorgte, geht damit weitgehend verloren.
Danach hat es sich auch hurtig ausgeträumt: Sony trennt sich von Massiv - oder wars umgekehrt? Der Hype nimmt ein jähes Ende - nicht jedoch Massivs Entschlossenheit. Sein "Ghettotraum In Handarbeit" erscheint wie der Vorgänger im Jahr 2009 - nur jetzt eben wieder auf eigene Rechnung.
Der große Hype scheint vorbei, doch Massiv bleibt präsent. Er schließt seine "Blut Gegen Blut"-Trilogie, deren zweiter Teil 2011 erscheint, im Sommer 2013 mit dem dritten Gemetzel ab. Zwischendurch veröffentlicht er 2011 noch "Eine Kugel Reicht Nicht" und im Jahr darauf ein Album, das wie seine Biografie den Titel "Solange Mein Herz Schlägt" trägt.
Mit "Blut Gegen Blut 3" setzt Massiv 2013 seine gleichermaßen erfolgreiche wie indizierte Alben-Serie fort. Wieder mit weniger Tiefgang, dafür mit hohem Durchdreh-Potenzial, erfreut der Longplayer besonders die Fans seines Frühwerks, die sich mit seinem Jubiläumswerk "M10", das sich in Trap-Gefilde vorwagt, zum Teil weniger anfreunden können.
2015 schwört Massiv mit "Ein Mann Ein Wort 2" der allzu expliziten Sprache ab. Zwar behält er sich die aggressive Attitüde bei, doch Schimpfworte bleiben auch auf dem folgenden Album "Raubtier" tabu. Erstmals tritt der Berliner J. S. Kuster als Hauptproduzent in Erscheinung. Gemeinsam nehmen sie 2017 das brachiale "BGB X" sowie ein Jahr später das Trap-Album "M10 II" auf, für das Massiv kommerzielle Schwergewichte wie Kool Savas, Capital Bra, Olexesh und Farid Bang als Gäste gewinnt.
"Ich irritier' die Kritiker", solches gilt nach mehr als einer Dekade im Rap-Geschäft nach wie vor. "Ihr habt mich unterschätzt." Ja, das auch. Wo Druck und Energie Massivs Stimme überschnappen lassen, als wäre sein Kehlkopf ein Augapfel - und der so verdreht, dass nur noch das Weiße zu sehen ist - da stimmt das sogar.
3 Kommentare mit 2 Antworten
Massiv macht auf geläuterten Vorzeige-Muslim und lässt seine Tatoos entfernen:
http://hiphop.de/magazin/news/massiv-sagt-…
Find ich extrem peinlich.
Ziemlicher Murks, ja. Da sollte man dann einfach zu stehen und fertig.
Massiv sieht im neuen Video aus wie Tech N9ne, ansonsten nicht sonderlich interessant: https://www.youtube.com/watch?v=PdbGMK071Zg
https://raptastisch.net/2022/07/25/82-zust…
ich denke viele brüder auch hier fleisnig votiert und wollen wissen resultat ist hamma danke für alle
Souli mit Sicherheit. Ich würde hier allerdings noch viel, viel Größer denken!