laut.de-Biographie
Lou Reed
Die Erfolgsstory des am 2. März 1942 in New York Geborenen beginnt Mitte der 60er in der einflussreichen wie erfolglosen Düstercombo Velvet Underground. Die schwermütigen, aus der Feder Reeds stammenden Songs heben sich durch ihre für damalige Verhältnisse freizügigen und schnörkellosen Lyrics deutlich vom Mainstream ab. Schon hier lässt sich seine Bewunderung für Literatur (Burroughs, Schwartz) herauslesen, die er als Student entdeckte.
1971 verlässt Reed nach den Aufnahmen des Albums "Loaded" die Band, um sich für ein Jahr aus dem von ihm verachteten Musikbusiness zurückzuziehen. Doch schon kurze Zeit später angelt er sich einen Plattenvertrag bei RCA und veröffentlicht sein selbst benanntes Solo-Debüt, das einige nicht verwertete Songs aus alten Velvet-Tagen enthält. Bald darauf macht er die Bekanntschaft von David Bowie, der sein Live-Set seit längerem mit "White Light/White Heat" ausschmückt und Reeds Ex-Band zu seinen großen Einflüssen zählt.
Selbstredend besteigt der Meister auf Bowies Einladung zu dessen London-Gastspiel bei besagtem Song die Bühnenbretter und Bowie revanchiert sich seinerseits, in dem er Reeds großes '72er Werk "Transformer" (inklusive den Top-Balladen "Perfect Day" und "Satellite Of Love") produziert. Mit dabei ist auch sein Ziggy Stardust-Gitarrero Mick Ronson.
Mit dem fluffig-verspielten "Walk On The Wild Side", einer Ode an Andy Warhols Filme der 60er Jahre, macht Reed erst- und letztmals mit oberen Chartspositonen Bekanntschaft. Optisch sucht er die Ablösung seines braven Images und fühlt sich mit blondgefärbten Haaren und schwarz lackierten Fingernägeln schon deutlich böser. In den folgenden Jahren verbaut er sich aufgrund radikaler Stilwechsel nicht ganz unbewusst die Chance, eine stabile Gefolgschaft aufzubauen. Das künstlerisch hochgelobte und kommerziell enttäuschende "Berlin" (1973) treibt den Zuhörer in klaustrophobische Depressionen.
Mit "Metal Machine Music" (1975), einem schier unhörbaren Doppelalbum elektronischen Krachs, verlassen Reed jedoch alle guten Geister. Bis heute streiten sich Experten darüber, ob hier ein ernsthaftes künstlerisches Statement vorliegt oder ob Reed damit lediglich seine Plattenfirma loswerden wollte (was ihm jedenfalls gelang).
Ende der 70er ist er Teil der wohl aufregendsten Männer-WG seit den Kommunenbewegungen, er teilt Küche und Bad mit Iggy Pop und David Bowie im Westen des geteilten Berlins. Brüderlich versinkt er mit seinen Mitbewohnern im Drogensumpf, während sich in seinen Kompositionen ("The Bells") schon erste Anzeichen seines später für ihn als typisch empfundenen, gemäßigten Songwriting-Stils ausmachen lassen. Am Valentinstag 1980 heiratet er seine Freundin Sylvia Morales. Die nun folgenden Veröffentlichungen sind gegenüber den 70er-Alben deutlich homogener und dadurch leider auch etwas langweiliger. Erstmals mischt er bei politischen Aktivitäten (1985 Farm Aid, 1986 Amnesty International Tour) mit und versucht sich als Schauspieler (1980 in Paul Simons "One Trick Pony"). Selbst für eine Motorroller-Werbung von Honda ist er sich nicht zu schade, zu den Klängen von "Walk On The Wild Side" durchs Bild zu hüpfen ...
1990 arbeitet er wieder mit dem einst von ihm aus Velvet Underground hinaus komplimentierten John Cale zusammen, um dem verstorbenen Mentor Andy Warhol "Songs For Drella" zu widmen. Die gute Zusammenarbeit gipfelt in der Reunion der mittlerweile anerkannten Kultband, die 1993 noch im selben Jahr ein bitteres und endgültiges Ende findet. Auch seine Ehe mit Sylvia scheitert und treibt Reed in die Arme der Avantgarde-Künstlerin Laurie Anderson.
Mit "Set The Twilight Reeling" (1996) meldet sich der Solokünstler eindrucksvoll zurück, Spielfreude und literarischer Anspruch kommunizieren wieder auf gewohnt hohem Niveau miteinander. Zwischendurch erobern seine Songs "Perfect Day" und "This Magic Moment" die Kult-Soundtracks "Trainspotting" und "Lost Highway", durch die Reed in neuen Altersstufen Popularität erfährt. Das Livealbum "Perfect Night" von 1998 dokumentiert ein Konzert in London, "dessen magische Atmosphäre ich wohl nie wieder erreichen werde", wie er anschließend bekennt.
Doch auch mit seinen nächsten Studioalben "Ecstasy" (2000) und "The Raven" (2003) zieht es den Grantler wieder auf die Konzertbühnen der Welt. Seine Zuschauer erleben allerdings zwei scheinbar verschiedene Charaktere: Während Reed auf der 2000er Tour seine Probleme mit alten Klassikern noch offen auslebt und fast nur neue Songs spielt, erleben seine Fans drei Jahre später einen völlig gewandelten Lou Reed. Der NYC Man versucht sich nicht nur an Songs aus frühen "Berlin"-Tagen und scherzt mit seinen Mitmusikern, er begeht gar das einstige Sakrileg, Songs von Velvet Underground live vorzutragen.
Was 2007 geschieht, hätten sich aber wohl nicht einmal die kühnsten Fans erträumen lassen: Die grantelnde Rockikone feiert die eigene Vergangenheit mit einer Live-Darbietung seines '73er Kultalbums "Berlin" in neun europäischen Städten ab, darunter natürlich Berlin. Neben Reed performt den düsteren Song-Zyklus ein 30 Musiker umfassendes Ensemble, bestehend aus seiner Band, Streicher- und Bläser-Sätzen sowie einem Kinderchor. Das Bühnenbild besorgt der amerikanische Großformatmaler Julian Schnabel, der u.a. das Albumcover von "By The Way" der Red Hot Chili Peppers schuf. Zum Sinn der Konzerte äußert sich Reed gewohnt knapp, aber aufschlussreich: "Ich mache das nur einmal in dreißig Jahren. Einmal, ein einziges Mal nur. Dann kann man seinen Kindern erzählen, dass man Lou Reeds 'Berlin' gesehen hat."
Die Weltpremiere des Spektakels erlebt im Dezember 2006 das St. Anne's Warehouse in New York, derselbe Ort, an dem Reed 1990 zum ersten Mal zusammen mit John Cale das von Andy Warhol inspirierte Album "Songs For Drella" aufführte. Die Reise in die Vergangenheit setzt sich 2007 mit der Veröffentlichung eines Livemitschnitts von "Metal Machine Music" fort, der allerdings aus dem Jahr 2002 stammt. Damals spielte das deutsche klassische Ensemble Zeitkratzer das Werk live ein, zum Schluss begleitet von Reed als Feedback-Erzeuger an der Gitarre.
Und auch bei der von Reed versprochenen einmaligen "Berlin"-Live-Darbietung bleibt es nicht. Aufgrund der hohen Nachfrage für die
prestigeträchtigen Shows bricht Reed 2008 erneut nach Europa auf und besucht dabei London, Brüssel und Paris sogar ein zweites Mal. In Deutschland fällt seine Wahl auf München und Hamburg.
Die sämtlich identischen Shows geraten in jedem Land zum künstlerischen Triumphzug. So urteilte der britische Guardian im Jahr zuvor: "'Berlin' ist eine der essentiellsten, aber auch interessantesten Shows der Rockgeschichte". Der Independent zog nach: "'Berlin' ist ein Wunder, eine beeindruckende Erinnerung an das, was Rock sein kann."
Im Verlauf des Jahres 2008 zeigt sich der New York City Man entsprechend befreit und experimentierfreudig. Ein Jam mit Jazz-König John Zorn und Mike Patton (Faith No More, Fantomas) krönt eine Reihe von Free Rock Gigs, die allesamt auf spontaner Improvisation beruhen und jegliches Reed-Material absichtlich unberücksichtigt lassen.
Ein berühmter Ratschlag Andy Warhols an Lou Reed lautete: "Gib den Leuten immer etwas mehr als sie wirklich brauchen". Dem folgend lässt er sich Ende 2008 dazu herab, dem Volk eine DVD mit der "Berlin"-Uraufführung zu schenken. Angesprochen auf den Verkauf des Warhol-Bildes "Car Crash" für 71 Millionen US-Dollar erklärt Reed: "Ich hätte die Veröffentlichung der DVD überdenken sollen. Vielleicht hätte sich jemand gefunden, der so viel für eine Lou Reed-Originalaufnahme zahlt. Ich würde mich auch mit 30 Millionen begnügen."
Eine seiner streitbarsten Kooperationen entsteht im Mai 2011: Gemeinsam mit den Metal-Giganten Metallica nimmt er das Album "Lulu" auf, das auf einem Stück des Berliner Dramatikers Frank Wedekind basiert.
Im Juni 2013 rettet eine in Cleveland vorgenommene Leber-Transplantation das Leben der 71-jährigen Musikerlegende. Seine Frau Laurie Anderson berichtet, dass sie zwar nicht glaube, dass er sich jemals vollständig erholen werde, aber er betreibe bereits wieder Tai Chi und würde auch bald wieder arbeiten: "Ich bin sehr glücklich. Jetzt beginnt ein neues Leben für ihn." Leider währt diese hoffnungsvolle Prognose nur vier Monate. Am 27. Oktober 2013 stirbt Lou Reed in seiner Heimat New York.
Noch keine Kommentare