laut.de-Biographie
Rosenstolz
Die berühmte Legende "vom Tellerwäscher zum Millionär"? Zum Glück nicht ganz - aber für Rosenstolz fängt es tatsächlich in einer Küche an.
AnNa R., geboren 1969 in Berlin-Friedrichshain als Andrea Rosenbaum, versucht schon zu DDR-Zeiten als Sängerin Fuß zu fassen. Doch immer wieder gibt man ihr zu verstehen, sie "solle" nicht. Zu kritisch? Zu selbstbewusst? Sie bewirbt sich mit einem "Westsong" von Whitney Houston - ein Sakrileg! So versucht sie sich als Chemielaborantin und später als ungelernte Musikhändlerin. Vom kleinen Lohn werden weiter Gesangsstunden bezahlt. Dann kommt die Wende.
Auch Peter Plate, der 1967 in Neu Delhi das Licht der Welt erblickt, will immer nur Musik machen. Über Hamburg kommt er durch seinen Stiefvater nach Goslar in den Harz. Doch Akkordeon spielen bei den "Harzer Heimatsängern", das ists nicht wirklich. Nach Zivildienst und Studium in Sozialpädagogik fällt die Entscheidung, nach Berlin zu gehen. Zunächst ohne echte Ziele - nur eines ist klar: Musik machen. Was bietet sich mehr an als Berlin, das nach der Wende schwer in Bewegung bleibt?
Auf die Frage seines Untervermieters, wie man mit einem "Hubba-Bubba-Keyboard" (O-Ton Peter) denn richtig Musik machen soll, meint Peter: "Ich brauch ne Sängerin!". Der Mann kann helfen, kennt er doch AnNa. Bereits kurz danach steht Peterchen in Friedrichshain auf der Matte. Man teilt sich eine Flasche Wein und versteht sich prima. Doch vom Reden allein bewegt sich nichts. Die erste Probe erfolgt in Peters legendärer Küche im zweiten Hinterhaus, Klo halbe Treppe tiefer. Dass aus diesem Happening einer der erfolgreichsten deutschen Acts hervorgehen soll, ahnt zu der Zeit wirklich niemand.
Das erste Konzert von Rosenstolz im Oktober 1991 in der Galerie Bellevue in Berlin ist mit knapp 30 Besuchern (von denen 15 Freunde sind) kein besonderer Erfolg. In Peters Augen sogar ein peinlicher Reinfall: AnNa hatte die Idee, zu jedem Song ein anderes - selbst genähtes - Outfit zu tragen. Nur hatte sie vergessen, dass das Umziehen etwas Zeit braucht! So steht der schüchterne Peter zwischen den Stücken peinlich berührt an seinem Keyboard und muss auf die 'Diva' warten. Das Publikum grient sich einen ab. "Das war ein Alptraum. Ich hab vor mich hingeklimpert und gerufen: ANNA KOMM WIEDER!".
Doch Rosenstolz geben nicht auf, und einige Konzerte später soll die Ausdauer belohnt werden - der ehemalige Produzent von Nina Hagen, Tom Müller, bietet ihnen seine Dienste an. Ende 1992 erscheint das Debüt "Soubrette Werd' Ich Nie". AnNa und Peter sind stolz, doch das Album floppt.
Rosenstolz schreiben neue Lieder, geben Konzerte außerhalb von Berlin, und mit 500 Mark, die ihnen ihr Produzent aus eigener Tasche zahlt, können sie sich gerade über Wasser halten. Im Februar 1993 legt ein begrenztes Publikum seine negative Haltung gegenüber Rosenstolz ab, und die Besucherzahlen steigen genauso wie die Anzahl der verkauften Alben. Mit dem Titelsong des zweiten Albums "Nur Einmal Noch", das 1994 erscheint, gelingt es ihnen, in Berlin des ersten Platz der Radio-Charts zu belegen. Schließlich werden vom Ersparten teure Videoclips produziert - doch kein TV-Sender zeigt sie. Aber was macht das schon: Die Tourneen geraten länger, die Band wächst um Livemusiker an und die Clubs werden größer. 1995 buchen sie das Metropol in Berlin - ein gewagter Schritt. Doch die 1.000 Tickets sind so schnell weg, dass ein Zusatzkonzert angesetzt werden muss.
Das Interesse der großen Plattenfirmen wird erst ein Jahr später durch das erscheinende Album "Mittwoch Is' Er Fällig" geweckt, und Rosenstolz wechseln vom kleinen Label Traumton zu Polydor. Eine gute Entscheidung, wie wir heute wissen. Denn kein anderer als Tim Renner, zu der Zeit Universal-Boss, protegiert Rosenstolz.
1998 wirds dennoch problematisch: Sie sollen am deutschen Vorentscheid zum Grand Prix teilnehmen. "Nee, nicht unser Ding, überhaupt nicht" versuchen sich AnNa und Peter aus der Affäre zu ziehen. Aber die Show soll entstaubt und jünger werden. "Okay, dann doch!" Rosenstolz gehen mit "Herzensschöner" an den Start, werden Zweite hinter Guildo Horn, Alf Igel und ihrem Schabernack "Guildo Hat Euch Lieb!". Für Rosenstolz ist der Auftritt der Fuß in die Tür fürs breite Publikum.
Für zahlreiche Menschen bleibt das Duo trotzdem schwer einzuordnen. Manche schließen vom Namen her auf Schlager, ohne die Musik zu kennen. Andere halten die Kultband für reine Botschafter der Homosexualität. Alles falsch, finden die Protagonisten selbst. In der eigenen Definition ist Rosenstolz eine Popgruppe, wobei Pop eben die Freiheit genießt, mit allen Stilrichtungen gekoppelt zu werden - sei es Klassik, Rock, Chanson oder R'n'B.
Peter Plate bekennt sich sich seit seinem 19. Lebensjahr zur Homosexualität. Er hat nach zehn Jahren Partnerschaft seinen Freund (und Produzenten) Ulf Sommer geheiratet. AnNa R. hingegen ist eine 'ganz normale Hete'. Auch sie hat 2002 geheiratet. Rosenstolz sind aktiv für die Deutsche Aidshilfe und sammeln hierfür auf Tourneen mitunter sechsstellige Beträge ein.
Von Album zu Album verbuchen Rosenstolz größere Erfolge. Sie räumen Preise und Auszeichnungen ab, die Fangemeinde wächst stetig. Allein zum Abschlusskonzert der "Macht Liebe"-Tour 2003 finden sich nach 27 ausverkauften Konzerten 17.000 Menschen in der Berliner Wuhlheide ein, um Rosenstolz live zu erleben. Mit der 2004 erscheinenden Platte "Herz" festigt das Berliner Duo seinen Status in der deutschen Musikszene.
Nach über zehn Jahren ununterbrochenem Album-Tour-Zyklus machen AnNa und Peter 2005 eine Pause. Im Folgejahr erscheint ihr Album "Das Große Leben", das ein ganzes Jahr lang in den Charts vertreten ist - davon 40 Wochen in den Top Ten. Von der Tournee erscheint das Livealbum "Das Große Leben Live".
Doch Erfolg schützt nicht vor Schicksalsschlägen. Der plötzliche Tod der Mutter von Peter Plates Lebensgefährten hinterlässt eine nicht zu füllende Lücke. Sie war nicht nur langjährige Stütze, sondern auch enge Vertraute des Duos. Unter diesem schmerzlichen Eindruck steht die Arbeit am nächsten Album, das gänzlich auf laute und schrille Effekte verzichtet. Mit behutsamer Herangehensweise an Text und Musik entwickeln Rosenstolz einen Longplayer, der den Themen Tod, Verlust und Trauer breiten Raum gibt. "Die Suche Geht Weiter" erscheint Ende 2008. Die anschließende Tour zu "Die Suche Geht Weiter" brechen sie aufgrund eines Burnout-Syndroms bei Peter ab. Erst 2011 meldet sich die Band mit dem programmatischen "Wir Sind Am Leben" zurück.
Ende 2012 beenden AnNa und Peter das Projekt Rosenstolz auf der offiziellen Webseite der Band. Während Plate 2013 sein Solodebüt "Schüchtern Ist Mein Glück" vorlegt, macht Andrea Natalie Neuenhofen alias AnNa R mit ihrer neuen Band Gleis 8 weiter.
Daher kommt es überraschend, dass Rosenstolz im Spätsommer 2018 plötzlich den neuen Song "Wenn Es Losgeht" veröffentlichen, den Peter nach eigener Aussage bereits 2011 geschrieben hat. 2021 tritt das Duo für die Mini-Serie "Rosenstolz – Liebe ist alles" erstmals wieder gemeinsam vor die Kamera, was bei ihren Fans einen regelrechten Nostalgie-Tsunami auslöst. Um Weihnachten herum zeigen MDR und ARD auch noch die Doku "Legenden" und das Konzert "Das große Leben" aus dem Jahr 2006.
2023 veröffentlicht AnNa R. erstmals ein Album unter ihrem eigenen Künstler:innen-Namen. Dabei ändert sich mit "König:in" auf den ersten Blick gar nicht so viel. Viele der Lieder stammen noch aus den Arbeiten für ein drittes Gleis 8-Album. Wie auch dort stammen fast alle Stücke von ihr, Manne Uhlig und Timo Dorsch.
Am 16. März 2025 stirbt AnNa R überraschend im Alter von 55 Jahren. "Sie hatte noch viele Musikpläne, als sie im Alter von 55 Jahren in Berlin verstarb", schreiben ihr Manager Frank Wiedemann und Gleis 8-Drummer Manne Uhlig auf ihrer Instagram-Seite. "Möge ihre Botschaft der Empathie und klassenlosen Menschenliebe weite Kreise ziehen. Es wäre AnNas Wunsch gewesen."
Auch Peter Plate veröffentlicht einen Text auf seinen Kanälen. Darin heißt es u.a.: "Erst vor zwei Wochen habe ich dir geschrieben, dir zu deinem neuen Job als Poetikdozentin gratuliert – und mich von Herzen mit dir gefreut. Das hättest du großartig gemacht! Überhaupt warst du voller Vorfreude auf alles, was kommen sollte. Vielleicht ist das ein kleiner Trost. AnNa, du wirst mir so fehlen. Mein ganzes Leben, meine Jahre in Berlin – all das war mit dir verbunden. Rosenstolz war eine der schönsten Zeiten meines Lebens. Rosenstolz, das waren du und ich. Und jetzt bist du nicht mehr da. Ich werde dich jede Sekunde vermissen."
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