laut.de-Kritik

Kapitalistischer Raubbau an der eigenen Seele.

Review von

Ich würde mich so schlecht fühlen, an diesem Album herumzunölen. Handwerklich und ästhetisch macht es quasi alles richtig. "Hit Me Hard And Soft" von Billie Eilish und Finneas nimmt quasi alle Lehren aus dem Vorgänger "Happier Than Ever" mit und setzt sie perfekt um. Die Genre-Reichweite bleibt, die Beatswitches, die spürbare Ambition, dafür kommt das Album kompakter, mit besserem Pacing und in der Summe tighter daher. Billies ewiger Sinnsuche-Quest hat noch nie präziser auf den Klassiker-Status geschossen. Ich würde mich also schlecht fühlen, nicht zu schreiben, dass alles funktioniert, alles richtig gemacht wurde. Es ist Einserschüler-Pop mit Sternchen und besonderer Belobigung. Und trotzdem wurde mir nach einem Dutzend Hördurchgängen klar, dass das Album quasi fast nichts für mich tut.

Ich habe jetzt lange mit mir herumgestritten, ob ich nicht einfach die diplomatische 4/5-Review runterschreiben sollte wie zu anderen Denzel Curry-esken "es hat keinen Grund, dass ich's nicht mag, objektiv ist das sehr gut"-Artists. Glaubt mir, es wäre nicht schwer, das Textblatt mit Lob für dieses Album zu füllen.

Machen wir das für eine Weile! "Hit Me Hard And Soft" ist großartig darin, musikalisch Momente zu schaffen. Ein großer Faktor dafür ist Finneas, der besonders in den Übergängen der Tracks Producer-Magie walten lässt. Wie dieses Album von klein zu groß übergeht, von atmosphärisch zu groovend, von laut zu leise: Großes Kino. Billie verlässt so endgültig den Bedroom-Pop, noch nie hat sie so cineastisch geklungen. Auf "The Greatest" beltet sie sogar!

Und sie beltet großartig: Handwerklich kommt man aus dem Staunen gar nicht heraus, wie wenig Grenzen dieses Albums kennt. Microhouse mit ambitioniert psychedelischen Synths auf "Chihiro", Prince-eskes Sich-selbst-das-Herz-aufreißen auf "Birds Of A Feather". Eine untypische Silverscreen-Interpretation der typischen Billie-Ballade auf "Bittersuite" und "Blue". Es ist eine musikalisch-emotionale Laserlightshow, klanglich umwerfend und voller "ohhs" und "ahhs".

Besonders hängen bleibt natürlich der Switch-Up in das superkalte Disco-Crescendo auf "L'amour De Ma Vie"; Wer liebt nicht einen guten "oh shit jetzt geht's los"-Moment? Aber auch ganz klassische Popstrukturen finden ihren Platz: "Lunch" überzeugt nicht nur als die vielbesprochene queere Sexjam: In einem Album voller fünfminütiger Fleißarbeiten fühlt es sich fast bold an, einfach drei Minuten eine gute Bassline wegzugrooven. Auch die Stalker-Fantasia "The Diner" geht mit klassischen Formeln und zeigt die Stärke ihrer Pop-Instinkte.

Also: Klanglich alles richtig gemacht. Hört man dieses Album, fühlt es sich wie ein Klassiker an. Störe ich mich an den Texten? Nicht unbedingt - es gibt vereinzelt Momente, da fühlen sie sich wie auf "Skinny" wie Wiederholungen des Voralbums an. Aber auch hier gibt es handwerklich wenig zu meckern. Billie erzählt sich selbst, greift aus ihrem Leben und macht sich nahbar bis zur Transparenz. Und auch, wenn sie das nicht schlechter als davor macht, kommt es mir vor, als zeigten sich hier Risse in der Prämisse.

"Hit Me Hard And Soft" geht am eigenen Versprechen der Ehrlichkeit zugrunde. Billie gilt als Stimme ihrer Generation, als das authentischste junge Mädchen. Ihr wurde zugeschrieben, so gut darin zu sein, jung zu sein. Und auf dieses parasoziale Versprechen reagiert sie jetzt mit einer noch epischer als auf dem Vorgänger dargebotenen Selbstentblößung. Noch klarer, noch tiefer will sie blicken lassen. Aber man kann Selbstoffenbarung nicht endlos steigern. Noch schonungsloser und offener ehrlicher mit jedem Album werden; was sie sich da als Kern ihrer Kunst einbildet, das ist kapitalistische Wachstumslogik, nach der sie Raubbau an der eigenen Seele betreibt.

Entsprechend spiegelt auch die Musik dieses harder-better-stronger-faster, wie um zu zeigen: Die Sinnsuche ist jetzt noch sinnsuchiger. Aber Billie dokumentiert im Grunde seit sie 15 ist eine graduell mutierende Existenzkrise in Echtzeit. Ist Superstarsein und Kunst machen Antrieb oder Lösung dieser Existenzkrise? In jedem Fall scheint es sich langsam als Sisyphosarbeit einzustellen. Der Ausweg wäre dabei auch schon seit ihrem Debüt angelegt: Ich würde mir wieder mehr Persona, mehr Weirdness, mehr Doppelbödigkeit wünschen. Tracks, die nicht auf Anhieb klarmachen, worum es geht und dann den angekündigten Affekt mit Donner und Fanfaren über den Kopf braten. Deswegen sind "Chihiro" und "The Diner" mit die besten Songs hier. Sie haben keinen Anspruch auf Ehrlichkeit per se. Es gibt sie nämlich nicht, die tiefste, innerste Wahrheit einer Person und Authentizität als Konzept ist eines größten Missverständnisse, die wir gegen unsere Kunst und uns selbst richten: Wir werden nie dort ankommen.

"Hit Me Hard And Soft" ist die ästhetisch perfekte, beeindruckende, ambitionierte Umsetzung einer unlösbaren Aufgabe. Es ist Sisyphos-Billie.

Trackliste

  1. 1. Skinny
  2. 2. Lunch
  3. 3. Chihiro
  4. 4. Birds of a Feather
  5. 5. Wildflower
  6. 6. The Greatest
  7. 7. L'Amour de Ma Vie
  8. 8. The Diner
  9. 9. Bittersuite
  10. 10. Blue

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