laut.de-Kritik

Callahan hat auch als Texter wieder Großes geleistet.

Review von

Bill, brauchst dich nicht beschweren, dass die Leute dich mit Cohen vergleichen. Wer im November 2019 eine Cover-B-Seiten-Single "So Long, Marianne" raushaut und dann im September 2020 ironisch den Album-Opener mit "Sincerely, L. Cohen" abschließt, der schreit halt auch danach. Callahan bemühte die ikonische Cohensche Verabschiedung – ebenso wie die Cashsche Begrüßung - da die Stimmung des ganz herausragenden "Pigeons" dem leicht ziellosen Liebes-Rambling der beiden gefühlt schon immer alten Männer sehr nahe kommt.

Callahan als altersweiser und qua Lebenserfahrung soziopathischer Taxifahrer legt jedoch nicht den Tenor von "Gold Record" fest. Die hasserfüllten Zeiten von "Rain On Lens" sind vorbei, ebenso die als Lo-Fi-Gott in den Sphären von R. Stevie Moore. Es zeigt sich, dass "Shepherd In A Sheepskin Vest" tatsächlich eine nicht nur zeitliche, sondern auch musikalische Zäsur im Schaffen des Marylanders war. Denn "Gold Record" ist nun die zweite Callahan-Platte, auf der man mehrfache, zielgerichtete und sauber produzierte Instrumentierung innerhalb eines Songs als bewusst gesetzte, selbständige Teile des Songwritings wahrnimmt. Das aktuelle Album vermählt die Ansätze vor 2014 und die des Vorgängers insofern, als dass die pointierte Produktion einfach weniger ist.

"Gold Record" verneigt sich in seiner Melodiesprache mehr Richtung Coyne und Jansch als zu den beiden im ersten Absatz genannten Koryphäen. Das Grundgerüst bildet also melodischer Folk. Davon ausgehend erkundet Callahan nicht nur Blues ("Protest Song") und Country ("Cowboy", samt tollem Promo-Video und Blasinstrument). Er öffnet sein sowieso schon stringentes und tolles Songwriting für eine Dosis Weirdness, die ihm sehr gut steht. Das überragende "Another Song" schleppt sich mal basslastig, mal bluegrassig über die höchsten Gipfel, um anschließend passend zu Callahans Flehen durch die Wüste zu kriechen.

"Breakfast" klingt verspielt. Die verschiedenen, twangelnden Gitarrenebenen passen perfekt zu Callahans wankenden Beziehungsstatus ("she hates to watch me eat/ or go hungry/ still loves me, you see") und ist mit seinem Partner im Geiste "Ry Cooder" verantwortlich für die verschmitzte Stimmung des Albums. Das schwer greifbare und doch am meisten in Erinnerung bleibende "35" steht als kultureller Seelenstriptease mit offenem Visier stellvertretend für das offenere Songwriting, das an das Solowerk des tollen Mick Harvey erinnert. So erschließt sich Callahan neue musikalische Ebenen, die die Wurzeln von Smog nie verleugnen und den spannenden Schritt des Vorgängeralbums gelungen weiterentwickeln. Das Ergebnis klingt großartig und immer spannend. Diesen Eindruck bestärkt der schwächste (aber dennoch gute) Song, "Let's Move To The Country" – eine überarbeitete Version des gleichnamigen Songs von "Knock Knock". Das ist tatsächlich eine eher eindimensionale Abnormität in der Reihe der vielschichtigeren Songs.

Zwischen den Zeilen scheint schon durch, dass Callahan als Texter wieder Großes geleistet hat. Das fabulöse "The Mackenzies" (der Bruch bei 03:05!) und das sphärische, durch den Dunst scheinende "As I Wander" werden noch Generationen von Anglizisten, Musiknerds und Literaturwissenschaftlern beschäftigen. Callahan fand schon immer schöne Worte zu karger Musik. "Gold Record" stellt aber ein dezidiertes Bekenntnis zu den eigenen Stärken als Geschichtenerzähler dar. Callahan nähert sich durch die Unmittelbarkeit seines lyrischen Ichs Kozeleks egozentrischen Traumfantasien an.

Dementsprechend ist sein Rede- und Singanteil sehr hoch. Das führt zu einem anderen Punkt: Callahans versoffene, verpennte Stimme ist den Weg der tonalen Verbesserung nicht mitgegangen. Es tut sich ein Spalt auf zwischen Stimme und Instrumentierung. Und dieser Kontrast tut Callahans Musik gut oder gibt ihr doch zumindest ein überraschendes neues Element. Er zieht sich auf diesem im Vergleich zum Vorgänger eben ruhigeren Album nicht so wie zu "Smog"-Zeiten auf die ruhigen Momente zurück. Ein verhuschtes Verstecken in eskapistischem Mumbling gestattet der neue Ansatz nicht. Dass meine Analyse selbstverständlich korrekt ist, unterstreicht Callahans Begründung für die Namensgebung des Albums: Es handele sich um seine bislang zugänglichsten Songs, er erwarte eine goldene Schallplatte. Da freut sich dann auch Drag City, zu deren Zugpferd sich Callahan mittlerweile entwickelt hat.

Trackliste

  1. 1. Pigeons
  2. 2. Another Song
  3. 3. 35
  4. 4. Protest Song
  5. 5. The Mackenzies
  6. 6. Let's Move To The Country
  7. 7. Breakfast
  8. 8. Cowboy
  9. 9. Ry Cooder
  10. 10. As I Wander

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