laut.de-Kritik

Ein Naturtalent im Playlist-Modus.

Review von

Über seinen Song "Kilometre" hat der nigerianische Popstar Burna Boy gesagt, dass er im Grunde nur Zeit in seinem Paradise-Studio in Ghana verbracht hatte, bis er die Flows gefunden hatte, auf den die Leute gar keine Wahl hätten, als sich zu bewegen. Da hätten sie gewusst, dass sie den nächsten Song im Kasten hatten. Zwei Alben nach seinem monumentalem Epos "African Giant" leitet Burna Boy die Platte zwar damit ein, dass er wieder und wieder "this is my story singt und kurz das Gefühl weckt, da stehe uns nun Storytelling bevor. Aber im direkten Vergleich dreht er die Politik und die Substanz auch im Vergleich zum Vorgänger "Twice As Tell" eher herunter und fokussiert sich auf sein reines Handwerk.

Dieses fällt aber so elitär und vielschichtig aus, dass es eigentlich nur gerecht ist, dass er seinem Songwriting und seiner Genre-Fusion aus Pop, Hip Hop, Afrobeat und Reggae den ganzen Raum zugesteht, sich zu entfalten. Das ganze erste Drittel von "Love, Damini" geht melodisch wie rhythmisch steil. "Science" und "Cloak & Dagger" besitzen diese elektrisierenden Afrobeat-Grooves, bereit, jeden zum Tanzen zu bringen, und in ihren organischen Texturen mit ein paar geschmackvoll gesetzten elektronischen Konterpunkten modern gemacht. Das klingt alles wahnsinnig dynamisch und Burna Boy flowt wie ein junger Gott.

Generell kann man einfach nicht überbewerten, wie effektiv und emotional tief die Stimme dieses Mannes klingt. Er kann die energetisch aufröhrenden Balladen wie das bluesige "Whiskey" oder das intensive "Rollercoaster", wo seine Belts bisweilen irgendwo zwischen Magengrube und Unterbewusstsein aus ihm aufsteigen. Er kann aber auch diese unterschwelligen, Rap-lastigen Flow-Kaskaden wie synkopierten Tripletten im Refrain von "Jagele" oder die Parts auf dem energiereichen und rhythmisch endlos komplexen "Kilometre". "This time I call Chopstick to my assistance / Shey we dey blow your mind, Afghanistan" shoutoutet er dann den Producer des Tracks.

Es gibt inhaltliche Auseinandersetzung, aber sie bleibt im Wesentlichen beschränkt auf die beiden Standout-Songs "Last Last" und "How Bad Can It Be". Ersterer resümiert auf einem prominenten Sample von Toni Braxtons "He Wasn't Man Enough" das Scheitern seiner Beziehung zur britischen Rapperin Stefflon Don und die Überkompensation dadurch, alles in seine Arbeit zu legen. Das Ergebnis hört man, wenn er aus vollem Herzen im Refrain nach "Igbo and Shayo" ruft, zu deutsch also nach Alkohol und Gras. Zweitgenannter Song wird an- und abmoderiert durch Interludes von Jorja Smith, Sportler Kamaru Usman, Naomi Campbell und Swizz Beats, die ihm verraten, wie sie mit ihren schlechten Launen umgehen. Dazwischen croont er sich über depressive Gitarren-Lines und ein Vocal-Sample die Seele aus dem Leib.

Dass "Love, Damini" nicht ganz in die kompromisslose Elite-Liga von "African Giant" aufsteigen wird, liegt an der selben Schwäche, die auch "Twice As Tall" teilt: Die Pop-Experimente und Brückenbau-Versuche in Richtung Westen fallen wechselhaft aus. Die Kollaborationen mit dem Briten J Hus oder Kolumbiens Popstar J. Balvin funktionieren zwar auf einem intuitiven Level augenblicklich, aber mehr als ein paar Mal klingen die Zusammenarbeiten wie Label-generierter Fluff. Blxst und Kehlani kommen zum Beispiel im Autopilot auf "Solid" vorbei, Ed Sheeran macht ein völlig seelenloses Möchtegern-Stadion-Duett auf "For My Hand", das nur von einem schön produzierten Post-Chorus gerettet wird und nur vom noch seelenloseren Khalid-Duett "Wild Dreams" unterboten wird. Der Mittelteil dieses ohnehin recht langen Albums hat sowieso schon seine Längen, da helfen diese Playlist-Filler wirklich nicht sehr.

Da merkt man doch, dass es Kollaborateure gibt, mit denen Burna Boy mehr verbindet. Den nigerianischen Sänger Victony zum Beispiel holt er für "Different Size", um sich auf einem Squid Game-Sample über das gerade aus Südafrika explodierte House-Subgenre Amapiano auszuprobieren. Popcaan darf mit ihm über die jamaikanische Schönheitskönigin Toni-Ann Singh croonen. Die südafrikanische Vocal-Gruppe Ladysmith Black Mambazo baut im Intro und Outro Atmosphäre auf. Aber ganz ehrlich? Für die wirklichen Highlights braucht Burna Buy überhaupt keine Unterstützung. Die größten Banger und am tiefsten schürfenden Balladen auf "Love, Damini" baut er nämlich weiterhin in Eigenregie.

Man merkt auf diesem Album grundsätzlich zwei Dinge: Burna Boy ist eine der monumentalsten und vielseitigsten Stimmen der Gegenwart, sei es als Sänger oder Rapper. Aber er hat noch nicht so ganz seine Position gefunden, wie er es handhaben möchte, als das wohl prominenteste Aushängeschild der nigerianischen Musikszene zu einem Exportgut und Brückenbauer umfunktioniert worden zu sein. Etwas abgewendet von den politischen Untertönen seiner letzten Alben fokussiert sich "Love, Damini" auf die Partys und den Blues und zeigt stellenweise eine eisern fokussierte, handwerkliche Brillanz, die nur hier und da von überflüssiger Pop-Anbiederei unterbrochen wird, die ein Mann, der von Natur aus so eingängig und tanzbar ist, wirklich nicht nötig hätte.

Trackliste

  1. 1. Glory (feat. Ladysmith Black Mambazo)
  2. 2. Science
  3. 3. Cloak & Dagger (feat. J Hus)
  4. 4. Kilometre
  5. 5. Jagele
  6. 6. Whiskey
  7. 7. Last Last
  8. 8. Different Size (feat. Victony)
  9. 9. It's Plenty
  10. 10. Dirty Secrets
  11. 11. Toni-Ann Singh (feat. Popcaan)
  12. 12. Solid (feat. Blxst & Kehlani)
  13. 13. For My Hand (feat. Ed Sheeran)
  14. 14. Rollercoaster (feat. J Balvin)
  15. 15. Vanilla
  16. 16. Common Person
  17. 17. Wild Dreams (feat. Khalid)
  18. 18. How Bad Could It Be
  19. 19. Love, Damini (feat. Ladysmith Black Mambazo)

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