laut.de-Kritik

Rennen mit Rosen / gibt Dornen in Hosen.

Review von

Go big or go home - Dolly Parton folgt dem texanischen Grundmuster seit Jahrzehnten, und 2022 gelingt ihr ein besonderer Coup. Sie tat sich mit Bestsellerautor James Patterson (u.a. "Alex Cross") zusammen, um ihr erstes Buch zu schreiben. Die aus verschiedenen Perspektiven erzählte Geschichte um eine aufstrebende Sängerin (die ihre Vergangenheit überwinden muss, um sich ihre Zukunft nicht zu verbauen - tja) ist wie von Patterson zu erwarten handwerklich gut, wenn auch routiniert, geschrieben. Keiner der beiden bricht für das Vorhaben aus seiner Komfortzone aus.

Das Album zum Buch gibt es allerdings auch, und das interessiert uns natürlich mehr. "Run, Rose, Run" ist Partons 48. Soloalbum, allerdings das erste 'richtige' Album seit 2016, dazwischen gab es das Kinderalbum "I Believe In You" und "A Holly Dolly Christmas". Das ist der Soundtrack zum Buch, nicht umgekehrt, das machen der Pressetext und Parton in diversen Interviews klar. Gar soll ein multimediales Erlebnis aus der Geschichte werden, andere Verwertungen stehen also vor der Tür.

Die bringen dann hoffentlich mehr Pep in das Universum der Protagonistin AnnieLee als das vorliegende Album, das verglichen mit den vielen Großwerken Partons verblasst. "Run, Rose, Run" liefert tatsächlich vor allen Dingen Stimmungseinblicke in das Buch bzw. atmosphärische Verstärkung zum zeitgleichen Lesegenuss. Die Songs decken einzelne Szenen des Buches ab, und das durchaus gekonnt, aber tappen dadurch in die altbekannte OST-Falle: Warum sollte man das hören, außer beim Lesen des Buches?

Wegen dem guten Songwriting wohl nicht. Die Songs auf "Run, Rose, Run" tragen sich nicht selbst. Die Produktion ersäuft im Kitsch, vieles erinnert an schlimme 80er-Zeiten des Country. Daran ändert auch die streckenweise musikalische Untermalung von The Isaacs und Daily & Vincent nichts, die ein kleines Bündel Bluegrass ins Album bringen. "Run, Rose, Run" bleibt ein Country-Pop-Album, Rufname ist in dem Fall der zweite Vorname.

"Run" und "Firecracker" fallen flott, aber auch nichtssagend aus. "Secrets" ersäuft in seiner schlagerhaften Zuckerwattenproduktion. Dollys Stimme ist nicht das Übel, die mag man oder nicht. In "Driven" darf sie im Honkey-Tonk-Feeling sogar etwas krächzen, dann klingt sie erst besonders gut. Aber auch ihre "normale" 15-jähriges-Mädchen-Stimme ist zwar etwas seltsam, aber durchgehend launig und dermaßen professionell, dass man nur der Cowboyhut ziehen kann. Sie ist es, die Songs wie "Dark Night, Bright Future" und "Blue Bonnet Breeze" aus dem unteren Durchschnitt emporhievt.

Und sie zieht auch "Demons", den besten Song des Albums, ein wirklich gutes Duett mit Merle Haggards Sohn Ben. Ja, das ist wirklich der Sohn, nicht der Enkel. Haggards Organ schmiegt sich servil an Partons an, der Mann kennt seinen Platz und erweist sich als der perfekte Gesangspartner. Heraus kommt ein vielschichtiger Song, der besser in Partons Oeuvre passt als der Rest des Albums. Anders als das sprachlich mit dem Vorbildhammer hantierende "Snakes In The Grass", das trotzdem der zweitbeste Song des Albums ist, weil er Partons Stimme mit seiner Dynamik zumindest ein Stück weit herausfordert. Diese beiden reißen es aber nicht raus, zu prävalent sind simple Stücke wie "Love Or Lust" oder der einfältige Country-Rock von "Woman Up (And Take It Like A Man)" und "Big Dreams And Faded Jeans".

Vor "Run, Rose, Run" muss niemand weglaufen, sich dem Album schmachtend in die Arme schmeißen kommt jedoch auch nicht in Betracht. Zu harmlos, zu kitschig, zu wenig ausbalanciert in der Produktion, lässt es aber die Kunst und Fähigkeit von Dolly Parton doch immer wieder aufblitzen. Frau Parton ist ihr eigenes Qualitätsproblem: Warum nicht einfach das zeitlose "New Harvest ... First Gathering" von 1977, "Coat Of Many Colors" von 1971, "Jolene" von 1974 oder das abwechslungsreichere "Blue Smoke" von 2014 hören?

Trackliste

  1. 1. Run feat. Daily & Vincent, Aaron Mccune
  2. 2. Big Dreams & Faded Jeans
  3. 3. Demons feat. Ben Haggard
  4. 4. Driven feat. The Isaacs
  5. 5. Snakes In The Grass
  6. 6. Blue Bonnet Breeze
  7. 7. Woman Up And Take It Like A Man
  8. 8. Firecracker feat. Rhonda Vincent & Val Storey
  9. 9. Secrets
  10. 10. Lost And Found feat Joe Nichols
  11. 11. Dark Night, Bright Future feat. Appalachian Road Show
  12. 12. Love Or Lust feat. Richard Dennison

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Dolly Parton

Die Künstlerin Dolly Parton verträgt nur Superlative. Schreiberlinge rund um die Welt würdigten sie oft genug als feminines Pendant zu Elvis. Und das …

1 Kommentar