18. April 2024

"Als Songwriter willst du für Rihanna schreiben"

Interview geführt von

Sam, Adam und Russ von den X Ambassadors erzählen von der Entstehung ihrer neuen Platte, dem Leben in den USA und geben Tipps für ein erfülltes Leben.

Auf ihrem neuen Album "Townie" erinnern sich die X Ambassadors an ihre unruhigen Jugendjahre in Ithaca. Damals wollten sie der Kleinstadt so schnell wie möglich entfliehen, heute kehren sie oft und gerne dahin zurück. Anfang Februar sind die Amerikaner aber erst mal eine Woche in Berlin, um sich mit einigen Gigs auf ihre Europa-Tour vorzubereiten.

Ich treffe das Trio im Büro von Virgin Music in Berlin-Kreuzberg. Sänger Sam Harris, Schlagzeuger Adam Levin und Bassist Russ Flynn, der als inoffizielles Mitglied auf Tour dabei ist, sitzen mir an einem großen Tisch gegenüber. Keyboarder Casey Harris ist wegen eines familiären Notfalls in den Staaten geblieben. Die Bandmitglieder wirken aufmerksam und bodenständig. Besonders Sam erweist sich als charismatische Quasselstrippe. Als Songwriter der Band hat er am meisten zum Entstehungsprozess der Lieder zu erzählen. Doch Adam wirkt auch nicht auf den Mund gefallen. Russ hält sich hingegen etwas zurück.

Wie gefällt es euch bisher in Berlin? Es ist ja nicht das erste Mal, dass ihr hier seid.

Adam: Ja, es ist definitiv nicht unser erstes Mal hier, aber wir lieben es. Es ist eine großartige Stadt und wir freuen uns wirklich darauf, die Tour hier zu beginnen. Es liegen ein paar Proben hinter uns, wir haben schon fast eine Woche hier verbracht.

Habt ihr Lieblingsorte oder Geheimtipps in Berlin?

Adam: Curry36. Und das Schnitzel in der Stadtklause ist fantastisch.

Sam: Ich war dieses Mal noch nicht bei Burgermeister, aber ich will da unbedingt wieder hin. Vielleicht heute Abend.

Russ: Das Schawarma, das wir gestern Abend hatten, war unglaublich und so preiswert.

Sam: Ja, da sollten wir noch einmal hingehen.

Ihr kennt euch ja schon ganz gut aus. Vielleicht solltet ihr einen Restaurantführer über Berlin herausbringen.

Sam: (lacht) Ja, das sollten wir.

Lasst uns über eine andere Stadt sprechen: Auf eurem neuen Album "Townie" gibt es einen Song namens "Your Town". Sam, auf Instagram hast du geschrieben, dass du eine schwierige Beziehung zu deiner alten Heimatstadt hast.

Sam: Ich glaube nicht, dass ich der Einzige bin, der eine komplizierte Beziehung zu dem Ort hat, an dem man groß geworden ist. Mein Bruder Casey und ich sind in Ithica aufgewachsen, das ist eine Universitätsstadt im Norden von New York. Die gesamte wirtschaftliche Infrastruktur basiert auf der Cornell University und dem Ithaca College. Der Titel der Platte "Townie" bezieht sich auf die Leute, die nicht zum Studieren nach Ithaca gezogen sind, sondern schon immer dort gelebt haben. Die Studierenden kamen und gingen, wir waren diejenigen, die geblieben sind.

Als ich aufwuchs, habe ich Ithaca gehasst. Es war kalt, es war isoliert. Die Stadt war zwar in mancher Hinsicht progressiv, aber auch sehr kleinkariert. Ich wollte einfach nur weg. Doch jetzt kann ich nicht genug davon bekommen. Jedes Mal, wenn ich zurückkomme, ist es, als würde ich aus einem Traum erwachen. Es fühlt sich an, als wären mein ganzes Leben und meine Karriere nie passiert, und ich bin wieder vierzehn, erfüllt von der gleichen Sehnsucht wie früher.

"Your Town" ist inspiriert von einem meiner Schullehrer namens Todd Peterson, der ein unglaublicher Mensch und ein Mentor für mich war. Er brachte mich dazu, auf der Bühne zu singen. Er starb 2021, während wie an diesem Album arbeiteten. Ein paar Jahre vor seinem Tod fing ich an, seine Anrufe zu ignorieren, weil er mich ständig zu lokalen Veranstaltungen einlud und wollte, dass ich ihn öfter besuche. Ich war genervt. Als er starb, fühlte ich mich so schuldig. Diese Gefühle verarbeite ich mit diesem Lied. Seine Mailbox-Nachricht ist in dem Track zu hören.

Adam und Russ, wo kommt ihr ursprünglich her? Ging es euch ähnlich wie Sam?

Adam: Ich komme aus Los Angeles und kann nicht wirklich nachvollziehen, wie sich Sam und Casey als Teenager gefühlt haben, weil L.A. einfach so viele Möglichkeiten bietet. Ich wollte schon immer Musiker werden. Ich habe schon als Kind in Bands gespielt und hatte Familienmitglieder, die mich in meinen Träumen und Begabungen bestärkten. Mir wurde nie gesagt, dass ich etwas nicht darf oder dass ich es nicht schaffen werde. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich es als Musiker zu etwas bringen kann.

Los Angeles klingt wie das Gegenteil von Ithaca. Aber dort gibt es sehr viele Menschen, die alle denselben Traum haben, als Musiker erfolgreich zu sein. Ich finde es interessant, dass du trotzdem die Überzeugung hattest, dass du es schaffen kannst. Für andere könnte eine Stadt wie L.A. auf eine Weise entmutigend sein.

Adam: Das stimmt. Ich denke, der Grund für meinen Optimismus war, dass ich Familie und Freunde hatte, die erfolgreiche Musiker in Bands waren. Als Kind durfte ich zu großen Konzerten gehen und hinter der Bühne rumhängen. Das war immer so nah an mir dran, dass ich es nie für unmöglich hielt.

Russ: Ich bin in Long Island aufgewachsen. Ich glaube, meine Erfahrung war ähnlich wie die von Adam. New York City war ganz in der Nähe und deshalb konnte ich regelmäßig alle möglichen großen Musiker live sehen. Das war sehr inspirierend. In Ithaca kommen nicht so viele große Bands vorbei. Aber ich hatte definitiv auch eine zwiespältige Beziehung zu meiner Heimatstadt. Ich hatte immer die Absicht, so schnell wie möglich nach New York zu ziehen. Aber jetzt liebe ich es, nach Hause zu fahren, und genieße das entschleunigte Lebensgefühl von Long Island.

Es hört sich an, als ob das, was du und Sam beschreibt, eine "Sturm und Drang"-Phase in eurem Leben war.

Sam: Ja. Darum geht es auf dieser ganzen Platte. Wir hätten das Album auch "Sturm und Drang" nennen können.

"Ich wollte einen Song wie 'Born In The USA' schreiben"

Lasst uns über eine weitere komplizierte Beziehung zu einem anderen Ort sprechen. Sam, 2014 hast du den Song "American Oxygen" für Rihanna geschrieben. Du bist politisch sehr aktiv und vertrittst deine progressive Meinung oft lautstark. In den USA stehen bald Wahlen an. Gelten deine gemischten Gefühle, über die du in "Townie" singst, auch für die USA?

Sam: Ja, ganz sicher. Ich bin sehr stolz darauf, ein amerikanischer Staatsbürger zu sein, aber in vielerlei Hinsicht bin ich auch ständig frustriert darüber, wie gespalten die amerikanische Gesellschaft ist. Am meisten frustriert mich, dass niemand den Wunsch zu haben scheint, Empathie füreinander zu entwickeln. Das ist sehr entmutigend. Ich wurde so erzogen, dass ich immer versuche, mich in die Lage des anderen zu versetzen. Diese Einstellung gibt es in unserem Land nicht mehr. Das finde ich sehr enttäuschend. Aber ich schreibe wirklich gerne über komplizierte Dinge. Aber als ich diesen Song schrieb ...

Adam: Das war eine ganz andere Welt. Sie war nicht so politisch wie sie es heute ist.

Sam: Stimmt, doch sie stand kurz davor. Aber das war noch vor Trump.

Adam: Wenn du "American Oxygen" heute schreiben würdest, wäre es so viel brisanter.

Sam: Ich wollte immer einen Song wie Springsteens "Born In The USA" schreiben: Ein Lied mit einem hymnischen, stolzen Refrain und sehr komplexen Strophen. Darin geht es um einen Veteranen, der von dem Land, für das er gekämpft hat, fallen gelassen wird. So etwas Ähnliches wollte ich mit "American Oxygen" auch erreichen. Aber ich glaube, die Sozialkritik ist bei mir ein bisschen zu kurz gekommen. Würde ich das Lied heute schreiben, würde ich viel stärker versuchen, die sozialen Spannungen darzustellen. Als Songwriter ist es dein großes Ziel, vielleicht eines Tages einen Song für Beyoncé oder Rihanna zu schreiben. Und das habe ich getan. Doch als er herauskam, war es fast so, als ob niemand einen politischen Song von Rihanna hören wollte. Das war schon etwas enttäuschend.

War das überraschend?

Adam: Also ich war überrascht. Ich dachte, es würde ein Riesenhit werden. Aber immer, wenn man denkt, dass ein Song zu einem großen Erfolg wird, ist das nicht der Fall.

Sam: Ja, das war eine große Lektion. Aber ich bin sehr stolz auf diesen Song. Und das Musikvideo, das sie dazu gemacht hat, ist so bewegend und unglaublich. Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich an der Entstehung dieses Songs beteiligt war.

"Tu es, weil du es liebst."

In "Half-Life" singt ihr darüber, wie sich das Leben anfühlt, bevor man die große Liebe findet.

Sam: Ich liebe diese epischen Liebeslieder, sie sind wie eine wohltuende Salbe für mein Herz und meine Seele. Ich liebe auch diese inhärente Tragik dieses Lebens, das nicht gelebt wird, bis man endlich diese andere Person trifft.

Der Songtext erinnerte mich an ein Gedicht des Dichters Khalil Gibran, in dem er rät: "Lebe kein halbes Leben". Habt ihr einen Ratschlag, um kein "Half-Life" zu leben?

Sam: Ich würde sagen, dass es darum geht, immer zu versuchen, aus der eigenen Komfortzone herauszukommen und bei diesem Unterfangen freundlich zu sich selbst zu sein. Dinge zu tun, die einem ein bisschen Angst machen.

Adam: Ich glaube, das ist für jeden anders. Für mich geht es um die Arbeit, die ich tue, und darum, von Freunden und Familie umgeben zu sein.

Russ: Ich denke, es geht darum, Risiken einzugehen und mutig zu sein, nicht am Rande zu sitzen. Der Song "Half-Life" ist ein hoffnungsvolles, fröhliches Konzept. Aber ich war auch schon in Beziehungen, in denen wir das Gefühl hatten, dass es so toll ist, dass wir uns gefunden haben, aber ist es nicht schade, dass wir uns nicht früher gefunden haben?

Sam: Ja, das ist eine inhärente Tragödie. Es gibt eine Zeile: "All die dummen Dinge, die ich versucht habe, um meine einsamen Nächte zu überbrücken. Du bist gerade noch rechtzeitig gekommen." Aber es gab immer noch viele dumme Dinge, die man ausprobiert hat und die man für den Rest seines Lebens mit sich trägt.

Außerdem habt ihr einen Song namens "Start A Band" aufgenommen. Habt ihr einen Rat für Leute, die selbst eine Band gründen wollen?

Sam: Tu es einfach! Ich habe mit meiner Frau das Buch "Big Magic" von Elizabeth Gilbert gelesen, der Autorin von "Eat, Pray, Love". Es ist eine großartige Lektüre für einen kreativen Menschen, weil es dich ermutigt, ein kreatives Leben zu führen, wenn es das ist, was du willst. Tu es! Stelle keine Erwartungen ans Leben. Mache es nicht, weil du die größte Band der Welt werden willst. Tu es, weil du es liebst. Weil es sich einfach gut anfühlt, Dinge zu erschaffen. Sie schreibt auch, dass kreativ sein eine emotionale Katharsis sein kann, was bei mir immer der Fall ist. Aber sie sagt, dass das keine Rolle spielt. Der einzige Akt, der zählt, ist der Akt des Schaffens. Der Song "Start A Band" handelt von unseren Anfängen als Band. Ich kann euch gar nicht sagen, wie glücklich ich mich schätzen kann, dass wir schon so lange eine Band sind und dass wir uns gegenseitig haben. In Momenten der Krise und in Momenten des Feierns haben wir uns immer gegenseitig gehabt. Und das ist eine seltene Sache.

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