laut.de-Kritik
Wo Investmentbanker und Hobby-Transvestiten verkehren ...
Review von Martin MengeleDie Anreise nach Frankfurt ist bereits von einer angenehmen Ungewissheit erfüllt, die bis zur Ankunft im hippen Caféhaus-Stadtteil Ostend anhält. Dort stehen schon einige dunkle Gestalten vor dem Eingang zum Mousonturm, die gewisse Vorurteile gegenüber dem Publikum bestätigen. Da mein Gästelistenplatz irgendwie abhanden gekommen ist, muss ich den lokalen Veranstalter mit dem Dackelblick eines Teilzeitmusikredakteurs bezirzen, bis der mich zuvorkommend und unbürokratisch inklusive meiner Kamera in die heiligen Hallen eintreten lässt. In der Lobby des Mousonturms werden dann alle bisherigen Vorurteile vernichtet. Man fühlt sich irgendwie vernissagig, ja fast intellektuell in diesem bunten Milieu, das alle Schichten der Alterspyramide umfasst und vom jungen geölten Investmentbanker hin zum Hobbytransvestiten reicht. Bis dahin wirkt der Mousonturm wie der richtige Platz für ein kleines bisschen Sanges-Freakshow.
Wohlwissend, dass bei derartigen Konzerten mit den Lichtverhältnissen eines Kanalrohres zu rechnen ist, borgte ich mir vorab Kollege Wafzigs lichtstärkstes Objektiv. Aber irgendwie wird schnell klar, dass auch dieses nicht ausreichen wird, als die Scheinwerfer wie im Kino herunter gedimmt werden. In diesem Moment lüftet sich endlich auch das Geheimnis um die Johnsons, als Antonys fünf Begleitmusiker die Bühne betreten. Ein kehliges Frohlocken erfüllt den Saal, als Akustikgitarrist Rob Moose das Intro anstimmt. Das Jauchzen des Publikums steigert sich in einen Beifallssturm mit dem ersten Bühnenschatten Antonys. Ich habe ja vieles erwartet, z.B. eine barocke Putte, die auf einem weißen Leiterwagen ins Publikum rollt oder eine riesige Type im Hummelkostüm, die über die Köpfe der Zuhörer hinwegbrummt, aber das hier nicht. Antony ist ein völlig unglamouröser, feister Typ mit Handtasche, schulterlangem Haar und einem total zerfetzten Überbleibsel von einem Strickpulli. Er gleicht mehr einer grotesken verwunschenen Wetterhexe, die sich auf dem Weg zur Walpurgisnacht mit ihrem Besen hier her verflogen hat, als dem apokalyptischen Engel, als der er mir angekündigt wurde. Aber es ist ein Abend, bei dem Äußerlichkeiten nicht zählen.
Antony setzt sich an den etwas mitgenommenen Steinway-Flügel und intoniert die ersten Akkorde von "My Lady Story", eines der inhaltlich bizarrsten Stücke aus seinem Repertoire. Eine gebannte, ehrfürchtige Stille erfüllt das Publikum. Man traut sich fast nicht zu atmen, denn jedem einzelnen wird schnell gewahr, dass hier etwas ganz und gar Erhabenes vor sich geht. Ich selbst wage es kaum, den Kamera-Auslöser zu drücken, um nicht das zerbrechliche Klangkonstrukt zu beeinträchtigen. Spätestens mit dem großartigen "The Lake" schmilzt das zarte Eis zwischen Publikum, Antony und seinen Johnsons und sie haben uns in ihrem Bann.
Eigentlich bin ich immer noch der Ansicht, dass der Mousonturm die passende Location für eine fast sakrale Performance wie diese ist. Doch der Ausschank von Erfrischungsgetränken in Plastikbechern und der Hallenboden, der mit Stahlblech abgedeckt ist, machen dem einen Strich durch die Rechnung. Während den stilleren Parts der Songs zertritt irgendein Trampel immer wieder lautstark einen Plastikbecher, und der Boden knarzt, so bald man sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagert. Das lässt Antony und seine Begleitmusiker aber kalt. Sie scheinen Schlimmeres gewöhnt zu sein, Antony lobt sogar diese "extraordinary location". Ich selbst bin der Meinung, man hätte ihn im Frankfurter Opernhaus spielen lassen sollen, das wäre angemessen gewesen.
Denn für diese außergewöhnliche Stimme gilt es, ein adäquates Gefäß zu finden, in dem sie in voller Entfaltung blühen kann. Auch die Johnsons helfen Antony über etwaige Ablenkungen und Störungen hinweg, was vor allem deutlich macht, dass zwischen den einzelnen Musikern und ihrem Sänger eine ganz besondere Art von Kommunikation herrscht, die sich auch sukzessive auf den Zuschauerraum ausweitet. Denn nicht nur die Zuhörer gleiten von einem wundervollen Song in den nächsten hinein und wiegen sich im Takt. Auch die Johnsons scheinen zuweilen fast abwesend in schwelgende Verzückung versunken. Trotz aller stimmlicher Perfektion, die schon von seinen Alben her bekannt ist, macht Antony zeitweise einen etwas unbeholfenen Eindruck, braucht bei zwei oder drei Songs einen zweiten Anlauf oder verhaspelt sich. Dies rückt die erhabene Performance dann doch wieder ins Menschliche zurück und lässt den großartigen Sänger nicht ganz unerreichbar erscheinen.
Antony versucht das Publikum auch interaktiv in die Show einzubinden, indem er die männlichen und die weiblichen Zuhörer bittet, bei "Dust And Water" in unterschiedlichen Tonlagen mit zu summen. Dies erfüllt den Song mit bodenloser Düsternis und führt zu einem fast außerirdischen Klangbild. Und ist sein Einsatz am Flügel einmal überflüssig, greifen und grapschen seine Hände, als wollten sie nach Luft schnappen, so wie bei einer liebenswerten Version von Joe Cocker.
Bevor die Band die Bühne endgültig verlässt, beglücken uns Antony And The Johnsons noch mit drei Zugaben, darunter unter anderem das grandios traurige "Bird Gerhl". Schließlich steht noch der Velvet Underground-Klassiker "Candy Says" auf dem Programm, mit der Antony auf Lou Reeds 2003er Tournee zur Berühmtheit gelangt ist. Ein zutiefst liebenswerter und menschlicher Antony, der zunächst noch für einen gefallenen Engel gehalten wurde, verlässt schließlich mit seinen Johnsons die Bühne und hinterlässt den bleibenden Eindruck, etwas ganz Besonderem beigewohnt zu haben.
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