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Datum: 5. November 2003
Location: Stadthalle
Freiburg
Alle Termine ohne Gewähr

Review

laut.de-Kritik

Die Rhythmusgruppe würzte Bob Dylans orgeliges Chaos mit feurigen Soli.

Review von Giuliano Benassi

"Wie ein Betrunkener in einem Mitternachts-Chor habe ich versucht, auf meine Art frei zu sein" singt Leonard Cohen in seinem "Bird On The Wire". Eine Aussage, die sich zwar schon Country-Sänger Kris Kristofferson auf den Grabstein meißeln lassen möchte, in zweierlei Hinsicht aber auch gut auf Bob Dylan passt.

"Wie ein Betrunkener in einem Mitternachts-Chor": Dylan ist der lebende Beweis dafür, dass eine gute Stimme nicht unbedingt drei Oktaven umfassen oder jede Note treffen muss, um in ihren Bann zu ziehen. Getragen durch Texte und Botschaften, haben sich seine Melodien so stark eingeprägt, dass sie als Allgemeingut gelten. Sie sind sogar so bekannt, dass der Autor sie mittlerweile gar nicht mehr singt, sondern in einer Art Sprechgesang vorträgt, der am Ende eines Verses unvermittelt in die Höhe schnellt. "Theanswermyfrääänd isblowinginthewiiiiind" hätte sich das Protestlied wohl angehört, wenn er es gespielt hätte.

Angesichts der vokalen Eigenart lag es vor allem an der Band, den Stücken Wiedererkennungseffekt zu verleihen. Diese Aufgabe erfüllte sie außerordentlich gut, denn einzig "Tweedle Dee And Tweedle Dum" war ohne weiteres auch ohne ihre Hilfe erkennbar. Was wahrscheinlich daran liegt, dass es aus Dylans vorerst letztem Album "Love And Theft" (2001) stammt. Schon schwieriger geriet die Aufgabe bei "Positively 4th Street", Girl Of The North Country, fast unmöglich war sie bei "Don't Think Twice, It's Allright". Während sich Dylan hinter sein Keyboard an der linken Seite der Bühne verschanzte und für orgeliges Chaos sorgte, war es die Rhythmusgruppe, die den Gitarristen Larry Campbell und Freddy Koella eine Grundlage für solides Spiel und mehrere feurige Soli bot. Von der Akustikgitarre zur mitreißenden Rockband - auch in dieser Hinsicht hat Dylan sein Repertoire im Laufe der Jahre stark verändert.

"Ich habe auf meine Art versucht, frei zu sein": Dylan gilt als ein schrulliger Mensch, der die Welt aus einem eigenen Winkel betrachtet und dabei durchaus für Erleuchtung sorgt. Nicht von ungefähr ist er immer wieder für den Literatur-Nobelpreis im Gespräch. Medienscheu wie kaum ein anderer, selbst in seinen seltenen Interviews wenig auskunftsfreudig, ist er seit Jahren fast ununterbrochen unterwegs. Seine Hingabe trägt zu recht die Bezeichnung "Neverending Tour". Warum er das tut, bleibt jedoch offen. Ist es seine Art, frei zu sein? Die ständig neue Interpretation seines Liedguts spricht dafür, weil er die konventionellen Eckpunkte der Popmusik, bei Konzerten das treue Nachspielen des Originals, nicht einhält und dadurch Grenzen sprengt. Dagegen spricht, dass er jedes seiner bekannten Stücke mittlerweile tausende Mal gespielt haben muss. Das hört sich nach Sisyphos-Arbeit an, also genau nach dem Gegenteil von Freiheit.

Vielleicht hat er einfach erkannt, dass er von der Außenwelt nicht als Mensch aus Fleisch und Blut wahrgenommen wird, sondern als Unikat oder gar als höheres Wesen. Wie Papst Johannes Paul II., der sich trotz gesundheitlicher Beschwerden berufen fühlt, Papst zu sein, opfert Dylan sich selbst auf, weil es seine Bestimmung ist. Es ist keine Rolle, die er spielt oder ein Amt, das er ausübt, es ist ein Segen und ein Fluch zugleich. Bis das der Tod uns scheide. Seiner Freiheit sind Grenzen gesetzt, wie eben bei einem angebundenen Vogel, der zwar fliegen kann, aber nur soweit seine Kette reicht.

Der Vergleich zwischen dem Sänger und dem Kirchenoberhaupt ist gar nicht so abwegig. Schließlich hat der Eine für den Anderen gespielt und ihn sogar zum Fußwippen animiert. Auch der Gang, mit dem Dylan ab und zu über die Bühne huschte, langsam die Hand hob, etwas zu sagen schien, um dann doch wortlos hinter sein Keyboard zurückzukehren und das nächste Stück zu beginnen, hatte etwas Würdevolles. Sie waren nicht die Gesten eines Schauspielers und ähnelten die des Papstes, wenn er seine Schäflein auf dem Petersplatz segnet. Hier wie dort liebte das Publikum solche Momente besonders. Es kam weniger das Gefühl auf, in der kühl wirkenden Freiburger Stadthalle zu sein, als in einer Kirche.

Wie das Amen am Ende des Gottesdienst kam als Zugabe "Like A Rolling Stone". Nahezu verzweifelt versuchten die Zuschauer, fast ausschließlich älteren Semesters, den Refrain beizusteuern. Von der ursprünglichen Melodie und Songstruktur war jedoch so wenig übrig geblieben, dass das Unterfangen zum kläglichen Scheitern verurteilt war. "All Along The Watchtower" begleitete uns beitragslos durch die Tore zur Außenwelt wie der Mönchschor aus einer Abtei.

Am Ende stand fest, dass ein Dylan-Konzert eine Veranstaltung der besonderen Art ist. Ob gut oder schlecht bleibt reine Ansichtssache. Befürworter wie Gegner haben gemeinsam, dass sie sich zu soziopsychologischen Analysen aufgefordert fühlen, um diese zwei Stunden zu verarbeiten. Wäre Dylan alleine mit seiner Orgel aufgetreten, hätten wir uns wahrscheinlich zu seinen Füßen gelegt und die Ankunft des neuen Messias gefeiert. So spielte sich der Auftritt auf drei Ebenen ab, die nicht richtig zusammen passten. Ganz unten das Publikum, das nicht so ganz begriff, was vor sich ging. Auf der Mittleren die Band, die ihren Job ausführte und für ordentliche Begleitung sorgte. Auf der Obersten, alleine und unergründlich, stand Bob Dylan.

Artistinfo

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