laut.de-Kritik
Blut, Schweiß und ein Catfight zwischen Titten und Tod.
Review von Anne NußbaumBärenohren, Glitzerkleidchen und absurder Kopfschmuck, wohin das Auge reichte - so putzen sich Konstanzer Konzertgänger selten heraus. Doch wenn der Kulturladen zur bizarren Zirkusshow mit Bonaparte lädt, lässt sich kaum jemand zweimal bitten, Federboa und Hasenmaske anzulegen und in die groteske Welt des Anarcho-Kollektivs um Tobias Jundt hinabzusteigen.
Der Teil der maskierten Jugend, der Bonaparte noch nie live gesehen hatte, ahnte zu dem Zeitpunkt noch nicht, was da gleich über ihn einbrechen würde. Trotzdem war die Stimmung fröhlich vorfreudig bis übergedreht ausgelassen, als die Menge sich vorm Eingang versammelte.
Gepflegte Ekstase
Genauso selten, wie man gestandene Männer mit Glitter im Gesicht und Popo im Röckchen durchs Konstanzer Nachtleben hoppeln sieht, drängen sich im Kula Menschenmassen Schulter an Schulter. Doch gestern wurde der Ausnahmezustand ausgerufen: Der Saal war ausverkauft, die Chaostruppe wollte sich kein Freund der gepflegten Ekstase entgehen lassen. Kaum einer, der nicht "They are the millionaires so we are broke" lautstark in die Nacht grölte. Die Fans suhlten sich in der Euphorie des Einzug gehaltenen Großstadt-Flairs wie die Mastsau im Dreck.
Ähnliches taten Bonaparte später auf der Bühne auch: Blut, Sekt und Freudentränen flossen, man schmierte mit Lippenstift und Wodka herum und erfreute sich exzessiv des eigenen fleischgewordenen Hedonismus. Der Schweiß troff schon von der Decke, bevor Jundt überhaupt die Bühne bestiegen hatte. Eine geballte Ladung angestauter Vorfreude entlud sich denn auch, als der Partykaiser die ersten Takte anschlug und fragte: "Do you wanna party with the Bonaparte in a messed up place called Konstanz?" Einstimmiger Jubel bei den Fans.
Trauben fürs Volk
Die Alltagstristesse hatte Hausverbot. Alles drehte sich um größtmögliche Ausschweifung. Neben den obligatorischen Napoleon-Sakkos bestimmten Pferdeköpfe, Engelsflügel, Gasmasken, ein Fahrrad und eine Badewanne das Bühnenbild. Zu "Wrygdwylife" fütterte ein bizarrer Alice-im-Wunderland-Verschnitt die erste Reihe mit Trauben und Bananen, während ein scheinbar geschlechtsloses Wesen sich aus Bandagen wickelte.
Das erste Partypulver war nach wenigen Minuten verschossen: Gleich an dritter Stelle haute die Hedonisten-Armee ihren Überhit "Anti Anti" raus. Aber Bonaparte wären nicht Bonaparte, wenn sie nicht noch einiges mehr in der Lunte zum Abfeuern hätten. Akrobatische Übungen halbnackter Körper prallten auf ausflippende Tanzbären in Glitzeranzügen, die das Becken auch mal mit dem Kopf bedienten. Zu jedem Song gabs andere Masken, Kostüme und Skurrilitäten. Spätestens, als die Mann-Frau-Figur mit blanken Brüsten den rot-weiß gestreiften Fake-Riesenpimmel schwang und zum Stagediving ansetzte, erinnerte der kalkulierte Kontrollverlust mehr an Fetisch-Happening als an Konzert. Genau das war es, was die Leute sehen wollten: Keinen Gig im eigentlichen Sinne, sondern eine trashig bunte Rocky-Horror-Picture-Show.
Catfight zwischen Titten und Tod
Und die war in jedem Fall gelungen. Computerköpfe rieben sich an Krankenschwestern, Clown und Pferd bestiegen einander. Gevatter Tod mit kristallener Damien-Hirst-Gedächtnismaske lieferte sich einen Catfight mit der Tittenfrau. Konfetti und Croissants flogen ins Publikum, Champagnerduschen spritzten durch die Menge, Mittelfinger ragten in die Höhe. Eine abstruse Figur schälte sich Schicht für Schicht aus ihren zahlreichen Unterhosen, bis sie im Glitzertanga über die Bühne spackte.
Die übersteuerte Energieentladung übertrug sich erwartungsgemäß von der Stage auf die Masse: Die Leute flippten schier aus, pogten über die Tanzfläche und kreischten die göttlich ironischen Zeilen Jundts ("My ego is so massive, I gotta move house") textsicher mit. Das Gelage torkelte zügellos zwischen Cabaret, Travestie und Stripshow. Tobias und seine Combo boten eine abgefuckte Kunstperformance inklusive exzentrischem Spiel mit Geschlechterrollen und Grenzen. Zu einer Mischung aus alten Smashern wie "Blow It Up" und "I Can't Dance" und neuen Stücken von "My Horse Likes You" über "Boycott Everything" bis zu "Wir Sind Keine Menschen" taumelten Fans und Künstler gleichermaßen wie im Rausch. Die vor gut einem Jahr gefeuerte Hype-Rakete zündet immer noch. Auch wenn Bonaparte beim letztjährigen Melt-Auftritt noch mehr durch Musik als durch blankgezogene Intimbereiche punkteten: Diese überwältigende Bühnenorgie muss man gesehen haben.