laut.de-Kritik
Von Weirdo-Attacken, iBooks und Dream-Raps.
Review von Philipp SchiedelKonnte man das erwarten? CocoRosie, die zwei verrückten Schwestern aus Brooklyn, New York, schaffen es mit ihrer wilden Melange aus Hip Hop und verträumten Opernarien tatsächlich, den mittleren Postbahnhof komplett zu füllen. "Ausverkauft!", besagt das Schild am Eingang und in der endlosen Schlange steht ein junges Mädchen mit Melonen-Hut und angemaltem Bart neben mir – als Anhänger von CocoRosie weiß man sich trotz Hang zum Karneval stilvoll zu inszenieren.
Drinnen angekommen, legen auch gleich Bunny Rabbit los. Eine afroamerikanische Dame mit irrsinnigen Iro-Wollkraul auf dem Haupt bläst erst mal ein paar Luftballons auf. Wie eng Inszenierung mit Verniedlichung zusammenhängen können, hat man sich nicht zu knapp von CocoRosie abgeguckt. Als die ersten düsteren und zerfetzen Beats aus dem iBook tönen, hüpft sogleich eine Art Hipster-Alice im Wunderland auf die Bühne, die mit Sicherheit weiß, wo in Brooklyn der beste Stoff verkauft wird. Die anschließende Show der beiden Damen, die sich im Übrigen privat das Bett teilen, kann dann mehr arschwackelnd als musikalisch überzeugen. Was gründlich egal ist, denn auch ohne Rhythmusgefühl, geschweige denn, einem Sinn für den guten Beat, geht die Party ab. Auf dem Höhepunkt der Gefühle schlägt Alice ihren Kuschelhasen auf den Boden und trampelt auf ihm herum. Super! So lässt man sich gerne von der Musik ablenken und sinnfrei entertainen.
Nach einer minimalen Umbauphase schlürft ein schlaksiger Franzose auf die Bühne. Viel bringt er nicht mit. Nur eine Hand zum Schwofen und eine Mundhöhle für die Beats. Unter kräftigem Geblase und Geschnalze werden dann losgebounct und allerlei absurde, besonders gerne dumpf wabernde Sounds imitiert. Der junge Franzose traut sich mit seiner Kunst sogar an Klassiker wie Roots Manuvas "Witness The Fitness" heran oder boxt mit allerlei Charme "Kiss" (Prince) durch die Wangen. Dieses absurde Spektakel erreicht seine vollendete Genialität, als der gute Mann sich plötzlich weiche Handkantenschläge auf seine Kehle haut, um Stakkato-Töne zu erzeugen. Mehr davon, bitte!
Mit diesen zwei Weirdo-Attacken war man insgeheim für sein Eintrittsgeld schon bestens bedient. CocoRosie holen das ganze Gejohle aber wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Bianca betritt mit blonden Kurzhaarschnitt und im General-Sakko die Bühne. Ihre langhaarige Schneewittchen-Schwester trägt Korsett. Am Outfit haben die Zwei ja noch nie gespart ... Unser Liebling des Abends, der beatboxende Franzose, taucht unverhofft wieder auf der Bühne auf und nimmt seinen Platz auf der Schlagzeug-Empore ein. Reales Schlagwerk brauchen CocoRosie nicht - der Beatboxer ist während der kompletten Show für die rhythmische Untermalung zuständig.
Nach einigen Songs wird schnell klar, was für eine leise und zerbrechliche Musik CocoRosie in diese Welt zu zaubern vermögen. Live noch mehr als auf Platte. Und gerade deshalb will die Atmosphäre der großen Fabrik-Halle nicht so recht zu den kleinen Schmacht-Schmankerln passen. Die extravaganten, aus allerhand Spielzeug erzeugten Sounds flattern wie kleine Traum-Fetzen einfach auf und davon und erst als die Beats etwas dicker werden, können CocoRosie den Zuhörer endlich einlullen. Die Harfe auf der Bühne bleibt dabei relativ ungenutzt und scheint bis auf wenige Einsätze eher als Zierde zu dienen. Sierra verbringt die meiste Zeit ganz klassisch an einem Synthesizer und trällert in höchsten Tonlagen, während das Schwesterherz gelegentlich irgendetwas rasselt und in unbestimmbare Dinge hinein bläst, sich aber hauptsächlich um die Dream-Raps kümmert.
CocoRosie sind live lange nicht so intensiv und so verzaubernd wie sie das auf ihren großartigen Platten vermögen. Von Ekstase und Verzückung ist man weit entfernt. Trotzdem freut man sich schon drauf, die wunderschönen Songs wieder dort zu hören, wo sie am besten wirken: im Bett als Einschlafhilfe. Wegträumen in die CocoRosie-Welt mit Einhörnern, Geistern und anderem Gesocks.