laut.de-Kritik
Ungezügelter Applaus-Orkan für eine imposante Ein-Mann-Show.
Review von Michael SchuhJa, Coldplay hatten es tatsächlich geschafft. Ihr Konzert war nicht nur angekündigt, die Band trat auch auf. Doch bereits bei der Vorgruppe konnte man sich die Augen reiben. Das Set der schottischen Langzeithoffnung Idlewild näherte sich gerade dem Ende, da verfielen die Reihen vor der Bühne ohne ersichtlichen Grund in rhythmisches Klatschen.
Idlewild-Sänger Woomble fands natürlich toll und fegte gleich noch eine Spur ekstatischer über die Bühne. Der wahre Grund der Euphorie dürfte aber eher an der Vorfreude auf den Hauptact gelegen haben. Denn kaum dass Coldplay-Sänger Chris Martin kurze Zeit später zum atemberaubenden Opener "Politik" in die Klaviertasten hämmert, bricht ein Jubelsturm los, der Jon Bon Jovi zur Ehre gereicht hätte. Ein kleines Wunder, dass Coldplay noch in der Prä-Olympiahallen-Liga spielen. Andererseits: Es ist noch immer schwer nachvollziehbar, wie rasant es die Briten seit dem "Parachutes"-Release nach oben geschafft haben. Dass ihr neues Album "A Rush Of Blood To The Head" vor Eminem, Pink und den No Angels die Pole Position der deutschen Charts besetzte, ist zwar bekannt.
Trotzdem ist dieser ungezügelte Applaus-Orkan samt kreischender 16-Jähriger am Absperrgitter irgendwie harter Stoff. Das Geheimnis mag in der Kunst des Quartetts liegen, aus ihren Songs kleine Meisterwerke der warmen und wohligen Traurigkeit zu zimmern, wie es Kollegin Butscher unübertrieben formulierte. Tatsache ist, dass die Briten es auch in einem kühlen Fabrikhallen-Ambiente wie dem des Zeniths schaffen, dem Zuhörer haufenweise Schauer über den Rücken zu jagen. Nicht auszudenken, wie das vegetative Nervensystem erst auf einen Clubgig von Coldplay reagiert ...
Dort wiederum wäre man kaum in den Genuss der perfekt abgestimmten Video-Einspielungen geworden, die auf vier mächtigen Screens hinter der Band ablaufen. Schwarz-weiß gedreht und in sekundenschneller Abfolge rotieren dort Bilder der einzelnen Band-Mitglieder, während unter der Hallendecke das Bühnengeschehen nochmal schön stadiongerecht mitgeliefert wird. Tief unter der aufwendigen Technik windet sich der schlaksige Sänger Chris Martin durch seine reduzierten, warmherzigen Pop-Juwelen. Er malträtiert das Klavier, er wimmert und schreit, streichelt die Akustische und hüpft erregt auf der Stelle. Er lebt seine Songs und lässt sich dafür feiern. Seine Mitstreiter halten sich dezent zurück, um die imposante Ein-Mann-Show ihres Frontmanns nicht zu stören.
Neben alten Songs wie "Everything's Not Lost" und der Single "Yellow" brilliert die Band besonders in den Live-Versionen von "Clocks" und dem zerbrechlich-hymnischen "The Scientist", wenn man hier überhaupt Songs hervorheben darf. Aber einen muss ich noch: "God Put A Smile Upon Your Face", ein für den Münchner Konzertabend geradezu programmatischer Titel. Als im Zugabenteil schließlich die um ein Haar verdrängte Über-Single "In My Place" erklingt, bricht dieser massive Jubel-Orkan noch ein weiteres Mal los. Und wieder kribbelt die Gänsehaut. Wir sehen uns in der Olympiahalle, Jungs!