laut.de-Kritik
Die Rückkehr des Rock-Monsters.
Review von Michael SchuhDas Hallenlicht erlischt und alles schreit. Wie immer eigentlich. Dave Gahan kennt es ja nicht anders, bedingungsloser Jubel gehört für ihn so selbstverständlich zum Alltag wie bei Normalsterblichen das morgendliche Weckerklingeln. Und doch ist etwas anders an diesem Abend in Zürich. Zum allerersten Mal wagt sich Gahan ohne Depeche Mode im Rücken auf eine Bühne, ist er Sänger und Komponist in Personalunion. Meistens. Natürlich weiß er nur zu gut, dass ihn das Publikum nicht ohne einen DM-Song aus der Feder seines Kollegen Gore von der Bühne lassen würde, aber das stört ihn nicht weiter.
Heute stehen endlich seine Songs im Mittelpunkt. Seine Gefühle. Seine "Paper Monsters". In blaues Licht gehüllt betritt Gahan zu den Klängen von "Hidden Houses" mit vier Kollegen die Bühne, die sich in den folgenden 80 Minuten um Drums, Gitarre, Bass und Keyboard kümmern. Trotz anfänglicher Nervosität findet der 41-Jährige schnell zu alten Bühnenposen zurück und macht im Laufe des Abends mal wieder überdeutlich, wohin er schlicht und ergreifend gehört: Auf die Bühne. Dort ist der Mann seit jeher bei sich selbst, dort sang er sich frei von zehrenden Selbstzweifeln, die sich im Laufe von 23 Jahren Karriere anhäuften. Nur in den nächtlichen eineinhalb Stunden spielte es keine Rolle mehr, wer die Songs komponiert oder wer im Studio am längsten an den Sounds gefeilt hat. Hier zählte immer nur Entertainment. Und hier trumpfte Gahan auf.
So auch heute. Die Zeiten allerdings, in denen der Depeche-Sänger in Ledermontur die Synthesizer seiner Kollegen umtänzelte, sind längst vorbei. Gahan trägt vornehme Weste - und rockt. Zu Hilfe kommt ihm ein überengagierter Drummer, der neben einstudierten Background-Vocals des öfteren unartikulierte Schreie gen Hallendecke bläst. Bassist und Gitarrist Knox Chandler halten sich zugunsten Gahans dezent zurück. Erwartungsgemäß performt der Frontmann die rockigeren "Paper Monsters"-Songs wie "Black And Blue Again" und "Bottle Living" mit monströser Intensität, die selbst die coolen Album-Versionen in den Schatten stellen. Dass die auf Platte eher belanglos wirkenden Songs wie "A Little Piece" oder "Stay" in der peitschenden Live-Variante zu neuem Leben erwachen, ist die Überraschung des Abends und spricht für Gahans Band.
Groß ist die Freude im Volkshaus natürlich, als die allseits bekannte Synthie-Sirene den Klassiker "A Question Of Time" ankündigt, der, wie auch die folgenden Songs, locker ohne Gahans Intonation ausgekommen wäre: "Never Let Me Down Again", "Walking In My Shoes", "I Feel You", "Personal Jesus", "Enjoy The Silence". Most Wanted with Dave Gahan. Volkshaus' burning! Nur die von Depeche Mode bekannten, filigranen Synthie-Arrangements verlieren sich bei Gahan im tumben Rhythmus-Stakkato und so darf "Personal Jesus" in nie gehörter Geschwindigkeit tosen.
Dave Gahan genießt das Bad in der Menge. Dieses Mal mit jeder Faser seines Körpers. Vielleicht war es ihm sogar wichtig, seine Solo-Tournee in Zürich zu beginnen. Denn beinahe auf den Tag genau vor zehn Jahren bestieg Gahan mit seiner Hauptband die Bühne des Zürcher Hallenstadions. Mitsamt all seinen Ängsten, die in eine desaströse Heroin-Abhängigkeit inklusive Selbstmord-Versuch mündeten und die er damals hinter wallendem Haupthaar und massig Tattoos zu verstecken suchte. Heute ist Dave Gahan zurück gekehrt. Von den Untoten. Als Rock-Monster.