26. Januar 2023

"Ich wollte nie nach vorne ans Mikro"

Interview geführt von

Mit "Radio Songs" erschien gerade das Solo-Debüt des Blur-Drummers Dave Rowntree. Wir sprachen mit ihm via Zoom.

"Du brauchst nicht nervös zu sein. Ich bin ja nur Dave und nicht Damon. Ich bin viel netter", beruhigt mich Dave Rowntree mit einem Lächeln. Stimmt, er ist ja auch "nur" der Schlagzeuger von Blur, einer der größten britischen Bands überhaupt. Alles ganz normal. Wer hat nicht täglich jemanden im Zoom-Interview, den man noch aus alten Britpop-Tagen und von Festivalbühnen kennt.

Sorry, dass ich gerade kurz so star-strucked war. Aber du hast ja selber diese Momente oft genug erlebt, wenn ihr auf die Bühne geht und
der Blick dann auf eine riesige kreischende Menge fällt.

Ja klar, ich bin dann auch extrem angespannt, aber sobald ich den ersten Takt spiele, fällt alles von einem ab und ich denke nur "Puh, endlich geht es los". Dann kann ich endlich durchatmen.

Ziemlich frei bist du ja auch auf deinem neuen Album "Radio Songs". Ich habe es mir gerade nochmal angehört und gerade "London Bridge" geht schnell ins Ohr. Er scheint auch der bisher beliebteste Song unter den Song-Auskopplungen zu sein. Ist dieser Lalala-Part eine Referenz an "The Passenger" von Iggy Pop oder an "For Tomorrow" von Blur?

Der Song ist ziemlich poppig und gerade Songs aus den Sechzigern benutzen diese Lalala-Singalongs im Chorus. Aber tatsächlich hatte ich sofort diese Zeile im Kopf, als ich über die London Bridge ging. Ich weiß auch absolut nicht, aus welcher Ecke meines Gehirns diese Strophe kam, aber es hat mich einfach nicht mehr los gelassen.

Du wirfst in dem Song eher einen kritischen Blick auf London. Ich war mehrmals - immer mit großen Pausen dazwischen - in London. Das erste Mal noch in den 90ern und über die Jahre hat sich gerade die Inner City sehr von einem kreativen, verrückten Ort zu einem eher unpersönlichen Bankenviertel entwickelt.

Ja, wie alle großen Metropolen ändert sich London ständig und erfindet sich neu. Da haben es wahrscheinlich gerade die junge Bands schwer, noch einen Platz zu finden. Sie müssen dann immer weiter in die Außenbezirke, um günstigere Räume zu finden. Also siehst du immer weniger Künstler und spannende Sachen im zentralen London. Die ganzen unabhängigen Läden geben auf, ziehen weg und stattdessen übernehmen Firmen und Banken ihren Platz. Diese Gegenden sind dann komplett gentrifiziert und werden dadurch uninteressant für Kreative.

Ich weiß noch wie ich damals das erste Mal nach London kam und in Notting Hill wohnte. Das war damals noch eine bezahlbare, aber ziemlich verrufene Gegend. Genau wie Camden, was damals ein sozialer Brennpunkt war und sich seit der Gentrifikation massiv verändert hat. Oder überhaupt East London. Hockney konntest du damals nicht betreten, das war ein total verarmter Stadtteil mit viel Gang-Gewalt. Oder noch ein Beispiel: Soho. Da konntest du nicht durchlaufen, ohne dass schlimme Dinge passierten und heute dürfte es kaum einen gentrifizierten Ort geben.

Teure Clubs und schicke Bars, einen Apple Store. Du kannst da eine Brieftasche liegen lassen und am nächsten Tag liegt sie immer noch unversehrt dort. Aber naja, das ist eben die Entwicklung einer Stadt. Als junger Mensch findest du trotzdem alles wahnsinnig spannend und in East London gibt es schon noch gute Sachen, auch wenn man sie nun eher suchen muss. Aber ist mit Berlin ja auch so. Als die Mauer fiel, war es kurz ein Ort, an dem alles passieren konnte. Gerade in den Anfangstagen von Blur waren wir echt jedes Mal so begeistert, weil Alex und ich Vegetarier waren und es dort so ein unfassbar großes, sogar veganes Angebot gab. Da hat Berlin London weit übertroffen.

"Ich bin in erster Linie ein Musiker und dann erst danach ein Schlagzeuger."

Wir reden hier gerade viel über die Vergangenheit. "Radio Songs" ist ja ziemlich privat und handelt auch von Ereignissen aus deinem Leben.

Ich hatte diese alten Radios vor Augen. Wo man noch mit einem Drehknopf nach den Sendern sucht. Und so ist auch das Album gedacht, dass du zwischen den Stationen bzw. Erlebnissen meines Lebens weiter switchst. Es war auch nicht ganz einfach, das neben meinen anderen Arbeiten zu schreiben.

Ich glaube, nicht alle hier in Deutschland wissen, dass du auch viele Scores schreibst. So kommt mir auch die Stimmung auf dem Album vor. Nicht wie ein typisches Rock-Album, eher wie ein Ambient-Soundtrack für eine Serie oder einen Film?

Ja, es ist auf keinen Fall ein Rock-Album. Wahrscheinlich kam es auch zu dem Sound, da ich eh in meinem Studio kaum Rock-Instrumente habe und meine Arbeit darin besteht, für Radio und TV-Shows Synthesizer-Klänge zu kreieren, die eher für epische Sachen angelegt sind. Da kommt kaum eine Bass-Gitarre oder ein Schlagzeug-Sound vor, vielleicht mal ab und zu eine Akustik-Gitarre.

Ich habe bewusst auch diese Geräusche verwendet, die zwischen der Sendersuche entstehen. Diese verrauschten Klänge finde ich ja gerade spannend, als ob da Maschinen miteinander kommunizieren oder du durch Zufall in einem Kanal von Spionage-Agenten gelandet bist. Da passiert also zwischen den ganzen Format-Radio-Sendungen wirklich viel und es ist immer anders. Das war dann eine gute Grundlage für viele meiner Songs. Auch wenn ich den Begriff 'experimentell' überhaupt nicht mag, aber diese Herangehensweise löst vielleicht den Eindruck aus.

Wenn ich so in die Charts schaue, ist da eh nicht viel Rock-Musik, eher unterschiedliche Urban-Sounds und kaum zu überblickende Sub-Genres. Aber gut, das sind die derzeitigen Wellenbewegungen und angesagten Sachen, wahrscheinlich geht es irgendwann wieder in diesen Wellen zurück.

Wahrscheinlich werden eh viele Leute überrascht sein, dass du nicht nach Blur klingst. Gerade mit dem Background vermuten die Leute natürlich einen ähnlich klingenden Sound.

Ja, die Gefahr besteht immer, wenn du was mit Blur machst, aber da haben wir uns ja auch auf den Alben ständig verändert und uns auf keinen bestimmten Sound festgelegt. Aber ja, ich wollte auf keinen Fall irgendwas Vorhersehbares machen. Viele dachten wahrscheinlich, dass ich als Schlagzeuger nun das große Drum-Sound-Album herausbringe. Nein! Ich bin in erster Linie ein Musiker und erst danach ein Schlagzeuger. Ich bin ja nicht nur auf das Schlagzeug festgelegt und interessiere mich für alle Arten von Melodien und Klängen, egal aus welchem Genre. Einfach eine gute Melodie oder Idee finden, das reizt mich. Das war schon bei Blur so. Die Dinge passieren dann einfach und man schaut, wohin es führt.

Jedenfalls hat es dich zu Bayuk geführt. Einem Musiker aus Berlin, mit dem du zusammen gearbeitet hast.

Hmmm, da muss ich gerade überlegen ... Ach, Moment! Das ist sein Künstlername, deswegen war ich gerade verwirrt. Ich kenne ihn nur unter seinem richtigen Namen Magnus. Jep stimmt, ich habe an ein paar seiner Songs mitgearbeitet. Das hat richtig Spaß gemacht und wird bestimmt nochmal passieren.

Wer hat da die Initiative gegriffen? Hat er dich angeschrieben?

Nee, so läuft das für gewöhnlich nicht. Dein Publisher kommt da mit Vorschlägen, mit welchen Leuten du zusammen arbeiten kannst. Ich hatte mal einen längeren Chat mit meinem Publisher und wir haben uns über neue, spannende Künstler unterhalten, die eben nicht so offensichtlich sind oder unter unserem Radar veröffentlichen. Er hat mir sofort diesen Namen genannt und ich fand das direkt spannend, weil wir unterschiedliche Backgrounds haben und Herangehensweisen verfolgen. Das inspiriert mich und verschafft mir auch neue Perspektiven. Darum geht es doch in der Musik. Nicht nur alleine an Dingen schrauben, sondern auch um die gemeinsame Arbeit, das Aufeinandertreffen und das Lernen.

"Ich bin total offen für ein neues Album"

Da wirst du bald mit Blur wieder genügend Möglichkeiten haben. Wir hatten ja eben schon über die derzeitigen Sounds und die Generationen gesprochen. Gab es auch für Blur eine gewisse Angst, dass ihr nun zu weit aus dem Fokus gerückt seid?

Ja, es war wirklich so. Wir haben ja diese Dates für die Stadion-Konzerte herausgegeben und waren da wirklich unsicher, ob da überhaupt genügend Menschen Interesse haben. Das ging mir wirklich häufig durch den Kopf: Vielleicht haben sie gar keinen Bock mehr auf uns und wir stehen da vor einer fast leeren Kulisse. Das wäre so ein peinliches Desaster gewesen, aber es ist nun ausverkauft und das Zusatzkonzert auch. Und da hatte ich auch schon wieder Bauchschmerzen und dachte: Okay, den einen Tag haben wir ausverkauft, aber dann kommt vielleicht an dem anderen Tag keine Sau. Naja, es ist immer ein Risiko.

Ich mache das Interview auch nur, um auf die Gästeliste in London zu kommen.

(lacht) Das ist sicherlich möglich! Rede mal mit dem Label darüber, das ist bestimmt kein Problem.

Du warst ja auch mal in der Politik und hast als Anwalt gearbeitet.

Ja, wenn du lange in einer Band spielst, kann da ebenso eine kleine Welt für sich entstehen und du siehst immer die gleichen Leute oder führst die gleichen Gespräche. Du bist auch irgendwie von den "normalen" Menschen getrennt und es kommt dann wenig zum Austausch. Ich habe also etwas in meinem Leben gesucht, was mich wieder mit mehr Menschen außerhalb des Band-Kosmos zusammen bringt und wo ich was bewirken kann. Dort konnte ich mit Menschen von Angesicht zu Angesicht reden und ihnen helfen. Das war und ist für mich in den letzten zwanzig Jahren auch ein wichtiger Bestandteil meines Lebens geworden.

Ist das auch dein Part bei Blur gewesen? Der eher ruhigere Part zwischen all den extrovertierten Charakteren?

Ja, so eine ganz große Überraschung ist es sicher nicht, dass ich bei Blur lieber im Hintergrund war. Ich bin damit absolut glücklich und wollte auch nie vorne ans Mikrofon.

Naja, bei deinen kommendenn Solo-Aufritten stehst du aber im Mittelpunkt.

Ich habe gerade zwei Gigs hinter mir. Ich stehe zum Glück hinter einem großen Haufen an Gerätschaften. Weißt du, wahrscheinlich ist für die meisten bei den Konzerten die beste Rolle die des Sängers, dann die des Gitarristen und ganz am Schluss des Schlagzeugers. Ich habe das Album auch nicht gemacht, um mich nach vorne zu drängeln und endlich die Sau als Sänger herauszulassen. Aber es ist auch aufregend und ich mag Herausforderungen.

Mir fällt gerade ein: Am Schluss des Blur-Songs "Beetlebum" kamen auch so Störgeräusche vor.

Oh, das ist wirklich lange her. Ich kann mich da kaum noch dran erinnern. Aber ich meine mich daran zu erinnern, dass Graham so ein kleines Spielzeug-Gerät mit Aufnahmefunktion verwendete. Da ist ein Gespräch mit dem Manager drauf zu hören, aber es kann auch alles Mögliche gewesen sein.

Radiogeräte sind auch ehrlich gesagt eher in meiner Kindheitserinnerung präsent. Du bist ja mittlerweile Podcaster.

Ja, die Dinge und Technologien verändern sich eben, auch wie man es konsumiert. Es ist alles viel technologischer. Alles, sei es Kommunikation oder Musik, ist stark damit verbunden. Ich bin aber da jetzt nicht besonders nostalgisch und weine den guten alten Zeiten hinterher. Es war natürlich ein bedeutender Teil meiner Kindheit, als ich mit meinem Vater, der ja bei der BBC als Elektroniker arbeitete, Radios selber zusammen baute. Ich liebe es immer noch, elektronische Geräte zusammenzubasteln und das wirkt sich ja auch auf den Album-Prozess aus. Ein paar Sachen habe ich dafür extra zusammen gebastelt.

Alex James hat mal über dich gesagt, dass du eine Art Doppelleben führst. Als er dich das erste Mal traf, hattest du eine exzentrische Mohawk-Frisur, aber warst gleichzeitig eine Art Nerd mit deinen IT-Gerätschaften.

Wir waren schon immer sehr unterschiedliche Charaktere in Blur. Ich mag das total und finde es immer noch toll mit Computern zu arbeiten. Ohne Blur hätte ich auch sicherlich einen Berufsweg in die Richtung eingeschlagen. Das ganze Herumwerkeln und Basteln kann allerdings kann bei mir allerdings auch ziemlich obsessiv werden.

Wie ist eigentlich der augenblickliche Status bei Blur. So lange ist das nicht mehr bis zu den ersten Konzerten.

Wir haben gerade erst mit den Proben angefangen und ich weiß ehrlich gesagt noch gar nicht, wie sich die Dinge ansonsten weiter entwickeln. Ich erwarte erst einmal nur viel Spaß bei den kommenden Shows und was den Rest angeht ist alles möglich, aber es liegt auch etwas an Graham.

Also ich bin total offen für jeden Vorschlag, auch für ein neues Album. Es ist nichts Ungewöhnliches für uns, dass wir bei Proben was ausprobieren und nebenbei recorden. Vielleicht kommt da auch was Brauchbares bei rum und alles geht in diese Richtung. Oder aber auch nur Mist, den außer sonst keiner mag. Wir haben absolut keinen Druck, was diese Sache angeht und machen uns den auch nicht mehr.

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