laut.de-Kritik
Black Celebration und blinkende Döner Buden: Depeche Mode in Hamburg.
Review von Michael SchuhSamstag Nachmittag, Tatort Trabrennbahn: das Paradies für Kurzentschlossene. Unzählige Eintrittskarten werden einem auf dem Weg zum Gelände quasi ins Gesicht gedrückt, vergeblich. Denn die Fans haben vorgesorgt, nur wenige Glückliche dürften am Ende für schlappe 30 DM ins Konzert gekommen sein. Vielleicht der adäquateste Preis für das Bevorstehende. Gut, für die regelmäßig einsetzenden Regengüsse konnte niemand etwas. Auch dass die Trabrennbahn ungefähr den Charme eines stillgelegten Militärareals hat, war höchstens unangenehm. Wer aber wie ich zwei Tage zuvor das famose DM-Konzert in der Berliner Waldbühne miterlebte, den musste die schiere Masse von 60.000 Menschen, leuchtend blinkende Döner Buden und blau-weiße Dixie Klo-Schutzwälle zumindest irritieren.
Nein, dies war kein gesponsortes Bon Jovi Open Air, sondern die Rückkehr einer britischen Elektronikband nach elfjähriger Hansestadt-Abstinenz. Heute könnten Depeche Mode die Alsterdorfer Sporthalle eine Woche am Stück füllen, aber das macht vermutlich auch wenig Sinn. Um 18 Uhr übernahmen Technique als erstes Verantwortung auf der Rennbahn. Das britische Frauenduo, deren eine Hälfte mit Oasis-Entdecker Alan McGee verheiratet ist, fluteten ihren Synthie-Pop in das noch überschaubare Gelände. Bei Fad Gadget wog sich die Menge bereits in Lauerstellung. Mit herkömmlichem "Rock"-Line Up betrat die einstige Electro-Kultfigur die Bühne, um mit einer unheilvollen Version von "State Of The Nation" zu eröffnen. Den Weg ins halbstündige Set fanden aber auch Klassiker wie "Collapsing New People", "Back To Nature" und "Ricky's Hand", bei dem der Meister sich per Akkubohrer mit Kunstblut besudelte. Zwischendurch musste die Band kurzzeitig die Bühne verlassen, da der Dauerregen den Instrumenten deutlich zugesetzt hatte.
Die Ankündigung der gealterten Boyband übernahm aus selbigem Grund niemand Geringeres als Marek Lieberberg. Der Tour-Veranstalter warnte vor den bösen Wetterböen und bat um Geduld, falls diese die Show beeinträchtigen sollten, was dann nicht geschah. Als Martin Gore endlich die Bühne betrat, "Dream On" auf der Gitarre zupfend, empfingen ihn die vorderen Reihen mit hysterischen Schreien. Für den Rest gab es zum Glück zwei große Video Screens, die außer vorgefertigtem Filmmaterial der Band auch das Bühnengeschehen dokumentierten.
Sänger Dave Gahan erschien pünktlich zu "The Dead Of Night". Wie in Berlin wirbelte der Rekonvaleszent von Beginn an gestenreich drauf los. Doch im Vergleich zur einmaligen Atmosphäre in der Waldbühne verpufften hier sämtliche Anstrengungen im nasskalten Abendhimmel. Während Gahan in Berlin mit Elvis-Posen und Angus Young'schen Sprungeinlagen ungeahntes Entertainment bot, rückte er hier vornehmlich seinen Schal zurecht. Die Szenerie glich ohnehin eher einer dieser zahlreichen DM-Fan-Parties mit Videoleinwand, da die Zuschauer ab Reihe Zehn sowieso nur noch auf die riesigen Screens glotzen konnten, um überhaupt etwas zu erkennen.
Unabhängig von der Location sind die Höhepunkte der "Exciter"-Show der ruhige Mittelteil mit "When The Body Speaks", "Waiting For The Night" und die zwei Akustikgitarren-Balladen von Martin Gore. Die minimale filmische Umsetzung, die schon Kollege Straub in New York vom Hocker riss, ist atemberaubend. Anstelle der Country-Version von "The Bottom Line" spielte Gore in Hamburg "Sister Of Night". Enthusiastisch abgefeiert wurden die Abräumer "I Feel You", "Personal Jesus" und die Karaokebombe "Enjoy The Silence". Der fast durchgehende Einsatz von Live-Drums und Gores Gitarren-Arrangements förderten den druckvollen Live-Sound.
Anhänger der 80er Jahre mussten bis zu den Zugaben warten: eine fett schleppende Rockversion von "Black Celebration" und der Live-Knaller "Never Let Me Down Again" beendeten das Regenspektakel. Abgesehen von der Tatsache, dass mal wieder einige Zuschauer das Fehlen früherer Hits (bes. "Everything Counts") monierten, bleibt doch festzuhalten, dass sich die relativ ruhige Setlist eher schlecht für Open Airs dieser Größenordnung eignet.