laut.de-Kritik

Die Vergangenheit lässt sich nur noch erahnen.

Review von

Manche Alben machen es dem Kritiker enorm schwer. Nicht, weil sie ausschließlich schlecht oder unzugänglich sind, sondern weil sie zwischen allen Stühlen sitzen und mit vielen verschiedenen Stilen ein großes, undefinierbares Etwas bilden. In diese Kategorie fällt das neue Album der Apokalyptischen Reiter.

Ihre Melodic-Death-Metal-Vergangenheit kann man auf "Tief.Tiefer." nur noch erahnen. Die Band möchte sichtlich alle Facetten ihres Könnens präsentieren, deshalb gibts gleich ein Doppelalbum. Restmetal, härterer Rock, bisschen Industrial, Gothic, Pop, sogar Ska, dies und das. Darfs noch etwas mehr sein?

"'Tief.Tiefer.' kann und will alles", orakelt das Pressinfo und hat zumindest zu 50 Prozent Recht. Während auf "Tief" Songs mit elektrischen Gitarren und diversen Tastensounds dominieren, stehen auf "Tiefer" akustische Klampfen und weniger Keyboardflächen im Vordergrund. Die zweite Hälfte des Albums besteht zum Teil aus neu arrangierten Versionen alter Songs, über deren Mehrwert sich streiten lässt. Derartig viel Musik auf einen Schlag kann erdrückend wirken, zumal die Songs so unterschiedlich klingen.

Der Einsteiger "Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit" opfert nicht nur die deutsche Interpunktion, sondern legt mit einigen textlichen Plattitüden los. Davon wird es im Albenverlauf noch mehrere geben. In "Wir" tauchen die einzigen Growls der Platte auf, wenngleich auch nur für ein paar Sekunden. Einige pluckerende Keyboard-Noten machen den Charakter dieses Stückes aus.

Erinnert sich noch jemand an "Children" von Robert Miles? Die fünf Musiker aus der Nähe von Weimar kennen den 90er-Jahre-DJ noch und huldigem ihm mit der Klaviermelodie von "Wo es dich gibt" auffällig deutlich - und später in "Es wird Nacht" gleich noch mal. Vermutlich haben die Reiter diese Inspiration von Dark Tranquillity oder Paradise Lost bezogen, die damit seit den 90ern ebenfalls rumhantieren.

"Was bleibt bin ich" zählt zu den gelungenen Liedern. Das stampfende Schlagzeug in bester Rammstein-Manier hält den flotten Song auf Kurs. Hier können sich die Thüringer auch mal zurückhalten und überfrachten nicht alles mit der üblichen Keyboard-Soße. Geradlinige Rocksongs wie dieser funktionieren bei den Apokalyptischen Reitern am besten, auch "Die Wahrheit" fällt in diese Kategorie. Bonuspunkte gibts für den unerwarteten Verlauf von "Die Welt ist tief". Kurz den Song anzuhalten, ist ein schöner Einfall.

Den Gegenpol bildet kitschiger Gothic-Pop. Die Klavierballade "Ein Vöglein" stellt Anhänger älteren Reiter-Materials auf eine harte Bewährungsprobe. Lauscht man genau, kann man im Hintergrund den Grafen lachen hören, der sich teuflisch darüber freut, dass seine musikalische Saat aufgegangen ist. Es drängt sich manchmal der unschöne Eindruck auf, die Apokalyptischen Reiter wollten jetzt auch etwas vom großen Kuchen abhaben, der seit dem Erfolg von Unheilig gigantische Proportionen angenommen hat. "Ein leichtes Mädchen" kämpft mit ähnlichen Problemen.

Sänger und Gitarrist Fuchs möchte seine Texte möglichst lyrisch gestalten. 'Hat sich stets bemüht', könnte in seinem Arbeitszeugnis stehen. Leider kommt dabei oft Verkrampftes heraus, wie es jede x-beliebige Mittelalterrock-Kapelle zusammenzimmert. Dieser Eindruck verstärkt sich durch des Barden heiseres Organ und seine gerollten Rs.

Außerdem besitzt der gute Mann einen starken Hang zu Allgemeinplätzen. "Die Wahrheit ist dort, wo sich Himmel und Erde berühren", "das Glück ist ein leichtes Mädchen, es weilt nicht gern am selben Ort", "das Paradies findest du nur in dir selbst" - und so weiter und so fort. Gewisse Parallelen zu Schlagertexten lassen sich ebenfalls nicht von der Hand weisen.

"Tief" geht als Album in Ordnung, aber "Tiefer" dürfte die Fans endgültig spalten. Von E-Gitarren und dem entsprechenden Druck befreit, werden die Defizite der Reiter-Songs deutlicher. Die Texte und Fuchs' Gesang treten arg in den Vordergrund. Die Reiter gallopieren hier besonders weit über die Grenze zum Kitsch hinaus, etwa im Stück "Das Paradies" oder dem Neuling "Die Leidenschaft": "Ich folge, denn ich will Kinder mit ihr" salbadert Fuchs zu triefenden Geigen und gemäßigtem Tempo. Wieder drängt sich der Name Unheilig ins Bewusstsein.

Sogar der gute, alte Everlast muss hier dran glauben. "Die Zeit", das zweite der neuen Stücke auf "Tiefer", erinnert mit Gitarre und Beats massiv an den Haudegen aus Long Island. "Der Weg" hat außer dem Text nicht mehr viel mit der bekannten Studioversion zu tun. Dem Refrain wurde eine neue Melodie verpasst, die verdammt nahe am Schlager vorbeitaumelt.

"Friede sei mit dir" fährt Bläsersätze und Ska-Rhythmus auf. "Auf Die Liebe" mutiert mit gar lustig hüpfender Fiedel plötzlich zum Folkrock-Song für Menschen, die sich gerne auf Märkten rumtreiben, auf denen in Talern bezahlt wird. "Der Wahnsinn" wirft sein Gitarrenmäntelchen ab und gebärdet sich als halbe Spoken-Word-Nummer mit theatralischem Anspruch.

Man muss den Thüringern lassen: Sie haben sich viel Mühe damit gegeben, ihre eigenen Lieder neu zu interpretieren und umzuschreiben. Musikalisch durchaus interessant, das ändert aber nichts am durchwachsenen Eindruck. Weniger wäre am Ende deutlich mehr gewesen.

Trackliste

Tief

  1. 1. Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit
  2. 2. Wir
  3. 3. Wo es dich gibt
  4. 4. Was bleibt bin ich
  5. 5. Ein leichtes Mädchen
  6. 6. Ein Vöglein
  7. 7. Es wird Nacht
  8. 8. Die Wahrheit
  9. 9. 2 Teufel
  10. 10. Die Welt ist tief
  11. 11. So fern

Tiefer

  1. 1. Die Zeit
  2. 2. Der Weg
  3. 3. Friede Sei Mit Dir
  4. 4. Flieg mein Herz
  5. 5. Das Paradies
  6. 6. Die Leidenschaft
  7. 7. Auf die Liebe
  8. 9. Terra Nola

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