23. Januar 2013

"Prodigy ist eher Mamas Ding"

Interview geführt von

Vor einer ausverkauften US-Tournee und ihrem Auftritt bei "Schlag den Raab" redet Ellie Goulding mit uns übers Feiern mit der Royal Family, Ehrlichkeit und Schauspielern auf der Bühne und ihr Leben als 'Skrill-Ex'.Wenn man von einer Single über fünf Millionen Exemplare verkauft, wie bei Ellie Goulding im Falle von "Lights", geht alles ganz schnell: Für die Obamas spielte Ellie ein Weihnachtskonzert und bei der königlichen Hochzeit von William und Kate war sie selbstverständlich auch Ehrengast. Beinahe Alltag ist für die Sängerin da der Auftritt bei einer großen TV-Show wie "Schlag den Raab". Wir haben sie vor der Show in Köln getroffen.

Ich habe gerade noch gelesen, dass deine Mutter ein großer Prodigy-Fan ist. Wenn das kein Witz ist, warst du denn dann wenigstens mal auf einem Gig mit ihr und hast ihr dein Bier zu "Smack My Bitch Up" über den Kopf geschüttet?

Haha, nein, das nicht. Aber sie stand schon immer auf Dance und Elektro, daher assoziiere ich derartige Musik tatsächlich immer mit dem Aufwachsen in Herefordshire, was ansonsten eher beschaulich ist. Prodigy ist eher ihr Ding. Ich kann mich noch gut an den ersten Club-Track erinnern, der öfter im Radio lief, als ich klein war.

Das war für mich eine totale Zäsur, weil dadurch das Genre so in den Mainstream gerückt wurde und wirklich durch die Decke ging. Ab dann habe ich auch angefangen, mich damit zu beschäftigen. Verdammt, wenn ich jetzt noch wüsste, wie der Track hieß ... er ging ungefähr so (pfeift die Melodie und stampft dazu).

Oh Gott, "Sandstorm" von Darude!?

Jaaa, das ist es! Total geil! Ich hab meinen Geburtstag und Silvester in Dubai gefeiert und Zane Lowe hat das gespielt, alle sind völlig ausgerastet. Als Kontrastprogramm war ich über Weihnachten bei meiner Oma und hab alles ganz langsam angehen lassen, das habe ich echt gebraucht. Landluft und alte Freunde. Ich wäre gern noch ein bisschen zu Hause geblieben, aber andererseits steht da diese ausverkaufte Amerika-Tour an – ist auch nicht das Schlechteste.

Vermisst du L.A.?

Schon ein bisschen. Ich freu mich, wieder dort hinzukommen, weil ich so viel Zeit mit meinem Ex-Freund dort verbracht hab. Als ich dort war, ist Sonny (Skrillex) noch nicht in sein Haus gezogen, daher habe ich viele Erinnerungen an ein ganz bestimmtes Hotel dort, in dem wir gewohnt haben.

Dein Album "Halcyon" ist aber im Vergleich zu "Lights" ein bisschen dunkler ausgefallen und ich habe auch gelesen, dass du es als Trennungsalbum bezeichnet hast. Aber du hast doch jetzt kein ganzes Album über Skrillex gemacht, oder?

Stimmt, es hat sich zu einem Album über Trennungen entwickelt.
Das liegt sicher auch daran, dass man auf Tour nicht zum Nachdenken kommt und dann zu Hause sitzt und alles verdauen muss, was in dem Jahr so passiert ist. Am Ende hab ich einfach festgestellt, dass die Songs zusammen Sinn ergeben und schon beim Schreiben gemerkt, dass die meisten recht traurig sind. Das Album ist viel simpler als das erste. Was ich rüberbringen will, ist eine ganz einfache Aussage, und zwar: Ich habe noch nie jemanden wie dich getroffen.

Ich kombiniere das mit metaphorischen Elementen, die nur ich entziffern kann, aber versuche immer, auf einem Konsenslevel mit dem Publikum zu bleiben, damit sich Hörer in manchen Ebenen mit den Texten identifizieren können, aber nicht in allen. Es ist immer schön, einen Teil für sich selbst zu behalten. Andererseits muss ich auch sagen, dass vieles recht offen ausgefallen ist. "I know you care" hat zum Beispiel viel mit meinem Vater und seiner Abwesenheit zu tun. Oder: Ich habe diesen Song namens "Atlantis" auf dem Album, in dem ich darüber singe, dass ich jemand neues getroffen habe und mich nackt und verletzlich fühle.

Okay, aber du gehst ja auch sehr offen damit um. Ist es dir leicht gefallen, deine Erfahrungen in Musik zu übertragen? Oder war das schwerer, an einem traurigen Album zu arbeiten?

Wenn ich mit einem Produzenten zusammen arbeite, der für meine Musik offen ist, ist das alles cool. Der Prozess, so jemanden zu finden, kann ziemlich anstrengend sein, aber mein jetziger Produzent hatte wirklich Freude an dem, was ich geschrieben habe – dann fühle ich mich auch wohl. Macht ja keinen Sinn, wenn du deinem Produzenten etwas im Studio vorspielst, versuchst, ehrlich zu sein und er hängt im Stuhl und sagt: "Komm, hau ab mit der Emo-Nummer!"

Und wie ist das ohne Produzenten? Hattest du in deinen Anfängen Schwierigkeiten, zu dir selbst ehrlich zu sein, als du deine ersten selbstgeschriebenen Songs vorgetragen hast?

Also, wenn ich mir meine Tagebücher aus diesen Zeiten anschaue, war ich schon immer enorm ehrlich zu mir. Ich hab mich echt nicht zurückgehalten, zumindest auf dem Papier. Da war ich schon immer sehr offen, geradeheraus, vielleicht sogar eher als heute. Ehrlich, ich will echt nicht, dass irgendjemand jemals meine Tagebücher zu sehen bekommt, weil die so hemmungslos und selbstherrlich sind.

Macht doch nix, das dürfen Tagebücher ja auch sein. Pass nur auf, dass sie nach deinem Tod nicht deinem tablettenabhängigen Witwer in die Hände fallen, der das dann ausschlachtet und seinen Lifestyle damit finanziert.

Haha, genau, und bei Marks & Spencer stehen dann große Schilder: "Ellie Goulding – die Skandal-Tagebücher, Band zwölf".

"Dubai war, als würde ich Korn spielen"

Als du dein Studium geschmissen hast und nach London gezogen bist, um deine Songs in Pubs zu spielen – warst du dir da sofort sicher, dass das genau dein Ding ist oder gab es vielleicht einen Moment der Verunsicherung? Hast du irgendwann mal Panik bekommen und dich gefragt, ob du das Richtige tust?

Als ich von der Uni gegangen bin, hatte ich keinen Schimmer, was mit mir passiert. Aber ich war immer zuversichtlich, dass ich am Ende was Cooles auf die Beine stellen werde. Weißt du, ich hatte ja sogar schon während der Uni einen Job klargemacht. Da dachte ich dann: "Pff, wenn alles in die Hose geht, bleib ich halt hier und arbeite im Theater". Das hat mir nämlich wirklich Spaß gemacht. Ich hatte mich schon beinahe komplett darauf eingestellt, ein sehr durchschnittliches, normales Leben wie jeder andere anzugehen, mit geregelten Arbeitszeiten und einer Wohnung in Kent, weil da eben meine Uni war. Darauf war ich gefasst. Aber dann hat mich das Schicksal einfach irgendwoanders hingetragen, oder vielleicht sollte ich sagen: hingezerrt.

Und in den letzten fünf Jahren gab es da diese Entwicklung (sie lässt einen Arm in die Luft schießen): Erst bin ich ne Studentin, denke, dass ich nach ein paar Jahren mit einem Abschluss von der Uni gehe und nach Hause ziehe und jetzt bin ich irgendwie hier, und morgen ganz woanders, und für die nächsten 250 Tage auch woanders. Ständig in einem anderen Land. Als ich jünger war, bin ich noch nicht mal mit einem Flugzeug geflogen!

Also, das alles hier (zeigt auf den Hotelservierwagen) überwältigt mich noch immer, und es überfordert mich auch, immer an anderen Orten zu sein. Ich habe einen Großteil meines Lebens in Hotels verbracht.
Aber ich beschwere mich nicht, es ist der beste Job der Welt! Ich sehe mich ja immer noch nicht als die große Sängerin, aber ich bin auch nicht total unbekannt. Ich bin irgendwo dazwischen und das ist vielleicht mein Glück.

Hier vielleicht, aber in den Staaten bist du seit einiger Zeit ja sehr bekannt. Seltsam, dass "Lights" solange gebraucht hat, bis es in den USA funktioniert hat, oder? Warum denkst du, dass das Publikum dort deine Arbeit erst seit kurzem mit mehr Aufmerksamkeit wahrnimmt?

Ich glaube, es gibt immer einen Moment, in dem es Klick macht. "Anything Could Happen" ist ein Song, der mich ganz schleichend und fast unbemerkt an ganz viele neue Orte gebracht hat, wie jetzt zum Beispiel nach Dubai.
Bei der Show habe ich damit losgelegt und so eine Reaktion habe ich in meinem ganzen Leben noch nie gesehen. Meistens fange ich ganz anders an, mit "Starry Eyed" oder "Your Song" (ein Elton-John-Cover, d. Red.), das Lied ist ja sehr groß in England.

Aber da in Dubai – meine Güte, völlig irre. Ich habe mit den ersten vier Tönen angefangen, dieses "ee-ee-ee-hee", gucke in der nächsten Sekunde hoch und jede einzelne Person springt und brüllt und mosht. Unfassbar, woher kannten die bloß alle das Lied so gut? Ich habe mich gefühlt, als würde ich einen Song von Korn spielen.

Waren das denn Dubaier in Publikum?

Ich glaube eher nicht, das war ja an Neujahr und da gibt es oft solche Festivals in Dubai – eher teuer und touristisch. Trotzdem waren die Fans sehr viel durchmischter als bei meinen sonstigen Konzerten, man hat zig verschiedene Sprachen gehört. Die Stimmung war fast ein bisschen rowdyhaft. Sehr lustig. Das war in letzter Zeit mein Lieblingspublikum.

Nimmst du das Publikum immer so genau wahr, wenn du live singst?

Nein, nicht immer und nicht ständig, auch aus Nervositätsgründen. Ich versuche meistens, mich darauf zu konzentrieren, das Gefühl in einem Song glaubhaft rüberzubringen. Wenn ich auf der Bühne bin, stehe ich schon auch irgendwie neben mir. Denn ich muss ja die Emotionen, die ich beim Schreiben hatte, Abend für Abend wieder vermitteln, und wenn ich damit keinen Umgang gefunden hätte, wäre ich ja ein emotionales Wrack.

Besser ist es, wenn man sich also so gut wie möglich in die jeweilige Rolle hineinversetzt, wie beim Schauspielern. Dann gibt es aber ab und an diese Momente, in denen es plötzlich Klick macht und ich das Gefühl habe, wirklich genau in diesem Moment etwas zu erleben. Wie da in Dubai. Das ist wie ein Wachtraum, zack, und du denkst tatsächlich darüber nach, was passiert, während es passiert.

Apropos, hast du noch große Träume?

Tja, das klingt nach meiner letzten Antwort vielleicht komisch, aber ich würde wirklich gerne irgendwann mal Schauspielerei ausprobieren.

"Die Buckingham Palace-SMS hab ich weggeklickt"

Du hast ja bei der Hochzeit von Kate und William gespielt. Mal ganz ehrlich, hören die überhaupt Musik?

Jaja, auf jeden Fall. Die sind ein ganz normales Pärchen. Klar, sie haben ihre Pflichten und sind adelig, aber ansonsten stehen sie wirklich auf gute Musik und sind total nett.

Was hören sie denn so?

Erwischt, so genau kann ich das jetzt gar nicht sagen. Aber schon ganz gute Sachen. Als ich dann auf der Hochzeit war, wurde ich Prinz William zum Beispiel von Tinie Tempah vorgestellt.

Wie muss man sich ein Konzert auf der Hochzeit eines Prinzen vorstellen? Höfliches Klatschen mit dem Handrücken in Handschuhen?

Ja, ich hatte auch keine Ahnung, aber man wird da natürlich tausendfach vorher gebrieft. Ich habe mir schon etwas Sorgen gemacht, ob ich dann vor Sitzpublikum singen muss oder sowas. Aber zum Glück sollten wir ja auf der Afterparty spielen, und das war echt super, die Leute haben getanzt und waren doch relativ ausgelassen. Letztlich waren das ja auch Freunde des Brautpaares, die da mit ihnen nach dem offiziellen Teil gefeiert haben. Da war die Nervosität gar nicht angebracht; letztlich haben wir ne gute Show gespielt.

Wie ist das Arrangement eigentlich zustande gekommen? Hat sich das Brautpaar dich als Hochzeitssängerin gewünscht?

Genau, es war absurd. Als ich die Nachricht vom Buckingham Palace bekam, war ich gerade joggen, ich konnte das überhaupt nicht verarbeiten. Ich habe einfach die Nachricht weggeklickt und mein Hirn in Leerlauf geschaltet. Das war zu verrückt, um es zu glauben.

Ich habe gelesen, dass du ein riesiger Pearl Jam-Fan bist, aber so richtig hört man das deiner Musik ja nicht an. Inwiefern ist die Band ein Einfluss für dich?

Musikalisch ist da nichts zu finden, das stimmt. Aber textlich auf jeden Fall. Ich war ein sehr verunsicherter, angespannter Teenager und konnte mich immer sehr gut in Eddies Texte über seinen Vater und seine Freunde hineinversetzen. Und was ich immer sehr bewundert habe ist seine Art, zu singen - diese Kraft, die er in seine Stimme legt.

Deine Stimme wird ja oft als "folky" beschrieben und hat dieses Vibrato in hohen Lagen. Ist das eine ausgefeilte Technik oder eine Veranlagung? Ich frage mich oft, wie sehr Sänger permanent darauf achten, wie ihre Stimme klingt.

Ich habe früher endlos viele Sängerinnen im Radio imitiert, daher kommt das vielleicht: Joni Mitchell, Beyoncé, Imogen Heap, Björk, Lauryn Hill und Eva Cassidy. Und Opernsängerinnen, das hat mir immer Spaß gemacht. Aber letztlich ist es alles Körperkontrolle.

Das mit dem Tremolo geht so, dass ich versuche, Töne weiter ins Innere und zurück in Richtung Körper zu bringen, verstehst du? Man kann den Kiefer verschieden positionieren, die Lippen formen, den Bauch anspannen und so weiter. Singen ist echt zu großen Teilen ein Kraftakt auf Mikrolevel. Ein bisschen wie Yoga.

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