21. Januar 2004

"Mit dem Ghettoblaster an Pauls Grab"

Interview geführt von

Es gibt Bands, für die findet man immer Zeit, auch wenn sich gerade Tyra Banks nackt auf dem Laken räkelt. Oder der neue Arbeitgeber von Metal so viel Ahnung hat wie ein Frosch vom Hupen und entsprechend ungläubig reagiert, wenn man mal kurz ein Interview mit Exodus-Drummer Tom Hunting machen will. Für die Band setz' ich aber sogar meinen Job auf's Spiel.

Hey Tom, wie geht es dir? Hast du Spaß hier in Deutschland? Oder ist es nur stressig, ein Interview nach dem anderen zu führen?

Bisher war es ganz locker. Die Reaktionen sind fast durchwegs positiv und ... hey, draußen schneit es richtig. Verdammt, könnt ihr mal die Heizung auf Vollgas drehen?

Ja ja, im Schwobeländle ... aber ok. Lass mich dir erst mal für dieses geile Album danken. Das hat mir wirklich den Glauben an die Thrash Metal-Bands der Bay Area zurück gegeben.

Hey, danke, freut mich, dass wir deinen Glauben wieder festigen konnten.

Du hast ja damals nach der Fabulous Desaster-Tour aufgehört, bei Exodus zu spielen, woran lag das?

Es gab da ein paar Shows die wir canceln mussten. Wir hätten auch auf einer Tour mit Venom spielen sollen, aber das ging dann auch nicht. Ich müsste dann wegen gesundheitlicher Probleme eine zeitlang pausieren, und irgendwann war ich dann eben raus aus der Band.

Wann habt ihr eigentlich zum ersten Mal wieder daran gedacht, zusammen ein neues Album aufzunehmen?

Ich denke, das stand schon 2001 im Raum, als wir dieses Benefiz-Konzert für Chuck Billy gespielt haben. Danach war klar, dass wir nicht einfach wieder auseinander gehen können, sondern dass der Spaß wieder da ist und auch genügend Ideen für ein neues Album.

Hattet ihr denn ständig Kontakt zueinander, auch in der Zeit, in der mit Exodus nichts lief?

Ja, auf jeden Fall. Auch wenn wir nicht zusammen Musik machen, ist die Freundschaft ja nach wie vor da. Bei uns ist das keine Zweckgemeinschaft, um Musik zu machen und vielleicht auch etwas Kohle, sondern wir sind fünf Kumpel, die zusammen rumlärmen.

Gab es in der Zwischenzeit bei dir auch andere musikalische Projekte?

Ja, ich hab ein paar Studiojobs für anderen Bands und auch dreieinhalb Jahre etwas Eigenes gemacht. Gary und ich waren auch eine Zeitlang bei Wardance, bevor wir wieder mit Exodus anfingen. Aber wirklich zuhause fühlen wir uns eben nur zusammen bei Exodus.

Die CD erscheint ja am 2. Februar, dem Todestag von Paul Balloff. Werdet ihr an diesem Tag noch irgendetwas anderes machen, um ihn zu ehren?

Ich denke, wir werden seine Grabstätte besuchen und einen Ghetto-Blaster mitnehmen, um ihm das neue Album vorzuspielen. Das muss er sich nämlich unbedingt anhören.

Woran lag es eigentlich, dass viele Fans Paul immer als den einzig wahren Exodus-Sänger angesehen haben, obwohl Steve wesentlich länger in der Band war als er?

Ich bin mir sicher, dass das an Pauls einzigartigem Charisma und seiner Präsenz auf der Bühne lag. Er konnte seine Power einfach jedes Mal auf das Publikum übertragen. Das lag vermutlich daran, dass er einfach ein totaler Metal-Maniac war. Ich habe nie wieder einen Kerl getroffen, der Metal mehr liebte, als Paul es tat. Es war bestimmt nicht der beste Sänger, aber wenn er auf die Bühne ging, dann waren Power und eine gute Party einfach vorprogrammiert. Steve hat natürlich seine eigene Identität aufgebaut, auch wenn er sich nicht nur anfangs immer wieder mit Paul musste vergleichen lassen. Auf dem neuen Album klingt er aber so verdammt gut, dass diese Vergleiche eigentlich ein für alle mal der Vergangenheit angehören sollten. Ich denke aber, dass er Paul auf dem Album auch Respekt zollt, und ich hatte ehrlich das Gefühl, dass Paul ab und zu bei den Aufnahmen dabei stand und ihm in den Arsch getreten hat, hahaha. Ein paar seiner Screams klingen doch genau wie die von Paul, oder etwa nicht?

Absolut, aber gab es in der Vergangenheit mit Steve nicht immer wieder ein paar Probleme, weil er kein großer Freund von Touren war?

Das lag weniger am Touren, sondern einfach daran, dass es innerhalb der Band Probleme gab. Drei von uns hatten ziemliche Probleme mit Drogen und die Prioritäten waren einfach nicht mehr so klar. Er hatte zu der Zeit einen wirklich guten Job, und er stellte sich dann eben die Frage, wie viel Sinn die Band in dieser Art und Weise noch macht, und ob es nicht besser wäre, seinem Job nachzugehen. Er hat Frau und Kinder und damit eine große Verantwortung, weshalb er sich dann für den Job entschied. Heute sind die Prioritäten wieder klar abgesteckt, und wir sind alle heiß auf die Band und auf's Touren.

Das Gefühl hatte ich allerdings auch, als ich euch in Münster/Breitefeld gesehen habe. War das nicht das Konzert, bei dem euch auch eine Gitarre gestohlen wurde?

Ja, das war eine ziemlich harte Nacht. Wir haben aber alle die Vermutung, dass die Security von dem Club ihre Finger im Spiel hatte. Hast du dir die Typen mal angeschaut? Die sehen doch alle wie Junkies aus. Kennst du den Club näher? Passieren da öfters solche Sachen?

Nicht dass ich wüsste, aber so vertraut bin ich mit dem Personal der Live Arena auch nicht.

Früher oder später werden wir schon rausfinden, was da abging, und dann bekommt jemand furchtbar böse den Arsch voll, hahaha.

Ich erinnere mich an ein Aussage von einem von euch, dass ihr es wie AC/DC halten wollt, und dass es von euch nie eine Ballade zu hören gibt.

Wir sind einfach keine Balladen-Band, so was überlassen wir den Scorpions oder anderen Bands. Wer würde uns denn schon 'ne Ballade abnehmen? Außerdem wollen wir so was einfach nicht spielen, also da musst du keine Angst haben. Spätestens live würden sich wahrscheinlich alle im Publikum umdrehen oder uns hasserfüllt anstarren. Ich würde mich zumindest hassen, hahaha.

Beruhigend zu hören. Wenn ich mir Titel wie "Scar Spangled Banner" oder "War Is My Shepherd" anschaue, dann klingt das für mich doch ganz schön kritisch. Erfreulich zu sehen, dass ihr euch nicht wie viele andere Bands in stupiden Patriotismus flüchtet.

Versteh mich nicht falsch, wir sind schon patriotisch eingestellt, aber man muss das Ganze auch mal nüchtern betrachten. Aufgrund dieser ganzen Terror-Scheiße werden unsere Freiheiten ganz schön eingeschränkt. George W. Bush ist ein Kriegstreiber, er liebt es einfach, die Wörter Krieg und Gott in einem Satz zu verbraten, und das klingt für mich einfach paradox. Die Regierung versucht ständig, uns Angst einzujagen, um noch mehr Kontrolle ausüben zu können und unsere Freiheiten zu beschneiden. Das ist einfach schwachsinnig, der Kerl soll lieber mal zusehen, dass er unsere Soldaten aus dem Irak wieder heil nach Hause bringt. Die werden da doch total sinnlos über den Haufen geschossen, immerhin ist der Krieg vorbei. Wir haben daheim genügend Probleme, um die wir uns kümmern sollten.

Ich habe immer mehr das Gefühl, dass man sofort als anti-amerikanisch angesehen wird, wenn man es wagt, etwas an der US-Regierung auszusetzen.

Ja, aber das ist doch kompletter Bullshit. Wir lieben Amerika, und wir sind auch stolz auf unser Land. Dennoch haben wir mit unserer Musik die Möglichkeit, unsere Ansichten zu vertreten, und diese Möglichkeit nehmen wir auch wahr. Wir vertreten damit unsere Meinung. Politiker bauen ihre ganzen Wahlkämpfe nur auf Meinungen, die sie vordergründig vertreten. Wir vertreten eben unsere Meinung mit unserer Musik und versuchen, auch andere Aspekte aufzuzeigen.

Denkst du das George eine weitere Legislaturperiode bekommt?

Wahrscheinlich. Ich hoffe zwar, dass das nicht geschieht, aber wahrscheinlich kommt es so weit. Ich meine, wer ist denn sonst noch da? Wer ist ein wirklicher Gegner für das Bush-Imperium? Man kann sich ja nur noch für das kleinere Übel entscheiden, und das kotzt mich an. Nach John F. Kennedy gab es doch keinen brauchbaren Präsidenten mehr.

Das Problem hast du aber inzwischen weltweit. Worin unterscheiden sich die Parteien denn noch?

Du sagst es. Wir können eigentlich nur noch hoffen, dass diese Generation möglichst bald den Löffel abgibt, und die nächste die Sache etwas inspirierter angeht. So in der Art von 'die Hoffnung stirbt zuletzt'.

Apropos Hoffnung: Was bedeutet der Titel "Tempo Of The Damned"?

Ich denke davon hat jeder in der Band so seine eigene Vorstellung. Für mich ist das eine Huldigung an die Art und Weise, wie wir unser Leben gelebt haben, das stellenweise sehr zerstörerisch und von Drogen bestimmt war. Der Titel bringt das alles auf den Punkt. Wir mussten etwas ändern, uns verändern, ansonsten würden wir jetzt alle neben Paul auf dem Friedhof liegen.

Was gab den Ausschlag dafür, euer Leben zu ändern?

Vor allem Pauls Tod, aber auch die Tatsache, dass wir eine Band hatten, von der wir alle überzeugt waren, und dennoch kamen wir nicht in die Gänge. Irgendwas lief also falsch und musste dementsprechend verändert werden. Es ging irgendwie immer weiter bergab, und als wir schließlich ganz am Boden waren, musste was geschehen. Manchmal muss man eben erst ganz unten sein, um den Weg zurück überhaupt wahrzunehmen.

Denkst du eigentlich, dass sich im Sound von Exodus über die Jahre viel verändert hat?

Ja, wir klingen jetzt einfach viel größer und fetter, hahaha. Aber ansonsten glaube ich eigentlich nicht. Andy Sneap hat uns einen so geilen Sound verpasst, und wir werden wohl nie mit jemand anderem arbeiten als mit ihm. Er hat uns das Album quasi umsonst aufgenommen, und das werden wir ihm nie vergessen.

Die Songs hätten alle auch auf einem eurer ersten Alben stehen können und klingen trotz allem modern. Das zeigt mir, wie zeitlos eure Mucke eigentlich ist.

Danke, Mann, das freut mich echt zu hören. Wir klingen eben wie Exodus, und das wird sich hoffentlich nie ändern. Ich bin echt froh, dass es so viele Bands aus der Bay Area noch oder wieder gibt. Testament sind gerade beim Songwriting, Death Angel bringen demnächst ihre neue Scheibe raus, wir sind wieder da. Es scheint echt aufwärts zu gehen mit dem Thrash Metal. Wir sind gerade dabei, Festivals zu buchen. Wir sind definitiv auf dem Sweden Rock und auch auf dem Graspop Festival, wir kommen also auf jeden Fall noch mal nach Europa dieses Jahr. Wir wollen auf jeden Fall auch in Ländern spielen, in denen wir noch nie waren, also: watch out for Exodus!

Das Interview führte Michael Edele

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