"Wir erzeugen Klänge durch den kreativen Gebrauch unterschiedlicher Methoden. Dazu gehören Melodiemotive und Rhythmusfragmente ebenso wie spontane Variationen, um das vorgegebene Material zu erweitern, die Schichtungen von Klang und Stille, und die Klangorganisation als Dialog, sowie der gleichzeitige Gebrauch unterschiedlicher Tonarten und Rhythmen".
So umfassend gelingt dem New Yorker Bassisten William Parker die Beschreibung des Phänomens Free Jazz in den Achtziger Jahren. Ornette Coleman (Saxofon), gemeinsam mit dem Pianisten Cecil Taylor in den Sechzigern ein Pionier des Free Jazz, stößt die musikalische Revolution an. Sein "Let's play the music and not the background" ist der Leitspruch einer ganzen Dekade und eines der wohl bekanntesten Zitate zum Thema. Doch, was ist damit gemeint?
Zu Free Jazz assoziiert man im allgemeinen die Entwicklungen im Amerika der 1960er Jahre. Damals kam es innerhalb der schwarzen Bevölkerung der USA zu einer zunehmenden Politisierung und Radikalisierung, die auf politischer Ebene in der Black Power-Bewegung mündet. Auf musikalischer Ebene findet diese Haltung, gegen rassistische Strukturen und für eine Reformierung der Gesellschaft einzutreten, im Free Jazz seinen Ausdruck. Er kann also als musikalischer Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklungen im Amerika der späten Fünfziger und Sechziger betrachtet werden und als musikalischer Ausdruck des Protests gegen soziale Ungerechtigkeit. In Titeln wie "Stop! Look! And Sing Songs of Revolution" (Charles Mingus, 1963) oder "Things Have Got To Change" (Archie Shepp, 1971) findet das seinen unmittelbaren Niederschlag.
Albert Ayler, von ihm heißt es heute noch, sein Ghosts-Trio sei eine der musikalisch schockierendsten Formationen der Szene gewesen, formuliert es so: "We want poems that kill, setting fire and death to whitie's ass." Seine radikale Einstellung und seine Rolle in der Entwicklung des Free Jazz wird jedoch kritisch gesehen. Der schwarze Autor Stanley Crouch, der 1977 in Sunny Murrays Band Schlagzeug spielte, bezeichnet Aylers Musik heute als Sackgasse.
Der Begriff Free Jazz, der zu Beginn der Ära auch "The New Thing" genannt wird, geht auf Colemans Aufnahme "Free Jazz" (1961, u. a. mit Don Cherry, Eric Dolphy und Charlie Haden) zurück. Mit dieser Aufnahme gibt er dem Sound einen Namen, der der geistigen Haltung eines neuen schwarzen Selbstbewusstseins entspricht.
Bis anhin nämlich galt der Jazz weitläufig, und mit ihm viele schwarze Jazzmusiker, als Unterhaltungsmusik. Es ging also nicht um das bewusste Aufnehmen eines von schwarzen ausgeübten kulturellen Guts, Jazz war als Hintergrundmusik fast schon ein Bestandteil weißer Kultur. "In einem fließenden Prozess lösten sich immer mehr afroamerikanische Jazz-Musiker und -musikerinnen von den ihnen zugewiesenen Rollen und dem vorgegebenen Musikverständnis. Sie suchten nach neuen Wegen der Entfaltung und stellten dabei die Traditionen des Jazz grundsätzlich in Frage", stellt Wolfgang Sterneck in seinem Buch "Der Kampf um die Träume - Musik und Gesellschaft" fest.
Das bequem gewordene Jazzpublikum empfand dieses aufmüpfige Verhalten und seinen musikalischen Ausdruck als Zumutung und auch die Fachpresse lehnte den neuen Stil zunächst vehement ab. In den Siebzigern kommentierte der Saxofonist Sam Rivers diese Haltung: "Jeder Fortschritt in der Musik ging einher mit lautem Buhen und fliegenden Eiern. Die Avantgarde hat schon immer Aufruhr verursacht. Der Akzeptanz geht der Aufruhr voraus".
Obwohl nie zu wirklich breiter Zustimmung gelangt, löst der Free Jazz eine musikalische Revolution aus, die aus der Musikgeschichte nicht weg zu denken ist. Zu den wichtigsten Vertretern gehören, neben den bereits genannten, Carla Bley, Don Cherry, Charlie Haden, Max Roach und Sun Ra. John Coltrane gebührt ein separater Status, den, obwohl er eine bedeutende Rolle für die Herausbildung des Free Jazz einnimmt, einige Autoren erst durch sein bahnbrechendes Album "Ascension" (1965) zu den 'echten' Free Jazzern zählen. Anfang der 60er war er noch mit dem Entwickeln der "Sheets Of Sound" beschäftigt war und in der ersten Hälfte der 60er widmet er sich gemeinsam mit Miles Davis der Entwicklung der modalen Spielweise, die wiederum auf den Free Jazz erheblichen Einfluss ausübt. Denn insbesondere der Auseinandersetzung Coltranes mit arabischen und indischen Skalen und Instrumenten ist es zu verdanken, dass der Free Jazz seinen Blick globalisiert.
Recht schnell schwappte in den 60ern die Free Jazz-Welle nach Europa. Zu den wichtigen hiesigen Vertretern zählen Willem Breuker, Peter Brötzmann, Gunter Hampel, Joachim Kühn, Peter Kowald, Manfred Schoof, Alexander von Schlippenbach, Irène Schweizer, Günter "Baby" Sommer und Tomasz Stańko.
In den 70ern gebührt dem Saxofonisten Pharoah Sanders, der 1969 mit "Karma" international auf sich aufmerksam macht, eine wichtige Rolle für die weitere Entwicklung des Free Jazz, dessen Hochzeit sich jedoch unaufhaltsam dem Ende neigt. Dennoch, neben ihm und dem Art Ensemble Of Chicago, Anthony Braxton, Archie Shepp und Sonny Sharrock, sorgen unzählige andere dafür, dass der Free Jazz bis heute lebt.
Übrigens: Free Jazz heißt keineswegs, auch wenn man dem am Stammtisch widersprechen mag, ein völlig freies und regelloses Musizieren. Vielmehr können die Regeln frei gewählt und neu geschaffen werden, dennoch gilt: Kein Free Jazz ohne Regeln.