laut.de-Kritik
Eine Wohltat für alle: Hot Chip in Berlin.
Review von Philipp SchiedelDer Hype um Hot Chip war kaum zu überbieten. Sprachen die Kritiker anfangs noch von einem Über-Über-Album, tauchten kurz vor dem Veröffentlichungsdatum von "Made In The Dark" urplötzlich Artikel wie der von laut.de- Schreiber Schuh auf, die die Sache wieder auf den Boden der Tatsachen brachten. Das war auch richtig so, denn Hot Chip haben ein gutes Album abgeliefert, die Rettung der Popmusik gelang ihnen aber eine Platte vorher.
Wie auch immer, der Berliner Postbahnhof war natürlich schon lange im Vorfeld des Gastspiels der Londoner Nerd-Truppe restlos ausverkauft. Entsprechend drückte sich die Masse noch an der Bar herum, als der Londoner The Letter G seinen Support-Slot anfing und sich auf der Bühne auswummste. Angesichts seiner wenig spannenden und immergleichen Haudrauf-Performance, darf man sich wieder einmal fragen, wie lange New Rave noch lebt. Aber das ist eine andere Geschichte.
Denn wenn auch einige der bunten H&M-Trainingsjacken samt engen Hosen im Publikum vertreten waren, die inzwischen auch in großen Teilen die Berliner Partyszene bevölkern, schweben Hot Chip doch immer irgendwie über diesem ganzen Kinderkram. Sie haben weder mit der Underage-Szene noch mit Ed Banger irgendwas zu tun, sondern sind eine astreine Pop-Gruppe, die zwischen den Genres funktioniert. Berlins Rockkonzert-Institution Moabit-Peter war an diesem Sonntagabend ebenso anwesend, wie die unerträglichen Kleingrüppchen von Homo-Ravern in den letzten Ecxtasy-Zügen, die gleichzeitig kichern und grölen.
Ihnen allen wurde dann gezeigt, was Hot Chip wirklich sind: waschechte Musiker und Musik-Nerds mit Plattensammlungen bis ins Dachgeschoss. Welche musikalischen Geschichten hintern diesen fünf Mit-dreißigern liegen, hat man ihrem Konzert in jeder Minute angemerkt. Wer so tief drin steckt, kann nicht mehr anders, als im Konzept denken. Alles war auf den Punkt, nichts dem Zufall überlassen. Nicht einen einzigen Song spielten die Londoner, wie er in die Rillen gepresst wurde.
Ihr Set strotze nur so von nahtlosen Übergängen und einer bis ins kleinste Detail extrem tanzbaren und ausgefeilten Live-Umsetzung. Die Menge feierte es erwartungsgemäß ordentlich ab. Man lechzte förmlich nach dem Bass und die Londoner gaben ihn darnieder.
Hot Chip treten wie eine klassische Band auf, die mit Bass, Gitarre und Keyboard eine Show abliefert, die sich nicht sonderlich von einem Rock-Konzert unterscheidet. Aber sie sind die Band nach dem Schlagzeug. Felix Martin thronte mit seinem Instrumentarium am angestammten Platz des Schlagzeugers über allem und pfefferte die Beats in die Menge, die diese dankbar entgegen nahm.
Dass Hot Chip mit dem ganzen Gewummer ihrer eigentlichen Stärke, den großen zärtlichen Pop-Songs wie "Made In The Dark" oder "Look After Me", keinen Raum lassen, ist schade, aber aus der Bühnensicht verständlich. Das Publikum will feiern und so soll es sein. Mit einer harschen Version von "No Fit State" entlassen Hot Chip dann nach etwas mehr als 90 perfekt durchgestylten Minuten ihre nassgeschwitzen Jünger in die Nacht.
Zufrieden sollte an diesem Abend jeder gewesen sein. Die einen, weil sie feiern konnten, die anderen, weil sie ein tolles Konzert einer wahnsinnig professionellen Band gesehen haben und sich nun darüber Gedanken machen können, was diese wohl für den Pop-Zirkus so bedeutet. Hot Chip liegen eben zwischen den Geschmäckern und holen auf eine extrem ausgefuchste Weise jeden ab. Kurzum: sie sind eine Wohltat für alle.