28. Februar 2009

"Jedem Tierchen sein Pläsierchen!"

Interview geführt von

Jeanette Biedermann erklärt ihr Selbstverständnis als 'Nur'-Popstar und warum ein Vergleich mit Gina Wild durchaus ein Kompliment sein kann.Hamburg an einem kalten Abend im Januar. Der Interview-Termin mit Sängerin und Schauspielerin Jeanette Biedermann ist im Park Hyatt-Hotel angesetzt. Zunächst werde ich freundlich von einem Betreuer empfangen, eine Kollegin der Print-Presse verlässt gerade die Suite.

Jeanette selbst tritt sehr selbstbewusst auf, sicherlich kann sie auch ziemlich zickig sein. Mich behandelt sie sehr höflich und freundlich, eine wirklich "warme" Ausstrahlung geht ihr aber ab. Auf jeden Fall ist sie keine scheue 'Anna', sondern ziemlich extrovertiert.

Jeanette, deine erste Single "Undress To The Beat" erinnert vom Sound her ein wenig an Kylie Minogue ...

Wenn ich anfange, Songs zu schreiben, bemühe ich mich, nichts Vergleichendes im Kopf zu haben, weil man zu sehr dazu neigt, sich an etwas anzulehnen. Ich habe ich es nicht im Auge gehabt oder mir die Vorgabe gesetzt, es möge wie Kylie Minogue klingen. Ich schätze sie sehr, und natürlich inspiriert sie deshalb zu eigenen Dingen. "Slow" beispielsweise ist eins meiner Lieblingslieder von ihr. Klar, da nistet sich vielleicht etwas im Hinterkopf ein, doch bewusst haben wir uns dabei nicht an Kylie-Sounds gehalten.

Bei deinem letzten Album war der Anteil an von dir selbst geschriebenen Songs sehr hoch. Ist das beim neuen Werk ähnlich?

Ja, bei diesem ist es genauso. Ich habe natürlich ebenfalls, wie zuvor, mit anderen Songwritern zusammengearbeitet. Es ist einfach spannend, die Vorschläge von anderen unter die Lupe zu nehmen. Da hörst du das und das und denkst: "Scheiße, das ist so geil, das ist mir so nicht eingefallen. Ich will diesen Song einfach haben!" Ich bin auch niemand, der sagt: "Ich mache ein Album, und da müssen dann alle Songs von mir geschrieben sein." Ich will einfach die besten Songs haben. Es gibt im Vorlauf so viele Lieder, die kommen unverhofft um die Ecke geflattert, und du denkst nur: "Hammer!"

Nicht leicht hast du es mit den Kritikern. Im Lauf der Jahre bist du oft nicht gut weggekommen, was deine Arbeit angeht, bei Leuten aus dem Indie- oder Alternative-Bereich schon gar nicht. Da herrscht ein Image vom bloßen 'Pop-Püppchen' vor. Wie nah geht einem so etwas? Macht man sich Gedanken darüber?

Also, ich bin eine Pop-Künstlerin und ein Pop-Star, das ist richtig. Dafür habe ich mich entschieden. Und wenn ich Alternative wollen machen würde, dann müsste ich damit klarkommen, dass ich vielleicht nie in den Charts stattfinde. Aber auch das ist natürlich ein akzeptabler Weg! Zu sagen, "Okay, ich spiele in den kleinen Clubs, ich bin damit glücklich," aber ich habe mich halt für etwas anderes entschieden. Ansonsten bin ich ein Mensch, der mit konstruktiver Kritik sehr gut umgehen kann, und ich freue mich auch darüber, weil sie wichtig ist und etwas über einen selbst aus einem anderen Blickwinkel erzählt. Man selbst verliert, gerade wenn man ein Album macht, auch schon mal den nötigen Abstand. Was ich nicht mag: Persönliche Beleidigungen. Es ist einfach nur dumm für mich, wenn ein Mensch es nötig hat, einen anderen zu beleidigen, den er eigentlich gar nicht kennt. Das ist nicht besonders intellektuell. Aber gut und korrekt angesetzte kritische Töne sind etwas Tolles, und die lese ich mir auch gern durch.

Am Wochenende gab es auf VIVA die Sendung "Neu", bei der die aktuellen Clips vorgestellt werden. Dein Video war auch dabei. Von Moderatorin Johanna wurde er angesagt mit dem Kommentar: "Eine Mischung aus Gina Wild und DJ Bobo." Dein Kommentar?

Lacht laut auf Also, jedem Tierchen sein Pläsierchen, sag' ich mal! Es ist klar, dass man es nicht jedem recht machen kann. Aber, hey, das ist okay, wenn sie das so sieht! Vielleicht sollte Johanna auch mal einen Song schreiben, und dann hören wir mal, wie der klingt ...

... oder wie sie ihn präsentiert ....

Ja! Aber der Song heißt halt "Undress To The Beat", und dass das zu einem sexy Video führt, ist doch ganz logisch. Und: schließlich sieht Gina Wild ja nicht schlecht aus, davon mal ganz abgesehen. lacht

Also, ich kenn' sie ja nur angezogen ...

Ist das wahr?! Das glaube ich nicht ...

Ja! Gut, ich bin gewiss kein Heiliger, aber in mir hat sie nie etwas ausgelöst .... doch wechseln wir lieber das Thema, gehen wir zurück zum Anfang deiner Karriere. Was denkst du heute, wenn du das Wort "Schnuckelchen" hörst, mit dem du oft etikettiert wurdest?

Ach, es gibt schlimmere Bezeichnungen. Und: ich glaube, ich amüsiere mich wirklich herzlich, wenn ich 89 bin und man mich immer noch Schnuckelchen nennt. Das wäre dann wirklich klasse und vor allem auch ein Kompliment.

"Schüchtern wie Anna bin ich nicht"

Du bist seit 1998 im Geschäft, und das ist in dieser schnelllebigen Starzeit eine ganze Menge. Wie erklärst du dir das?

Also, über vielem stehe ich einfach, gerade, wenn ich das auf unser vorheriges Kritik-Thema beziehe. Was muss sich ein Boris Becker anhören! Oder ein Politiker, etwa Angela Merkel: Was wird die durch den Kakao gezogen! Ich glaube, man schafft sich irgendwann ein dickes Fell an, weil man einfach aufhört zu denken, es allen recht machen zu müssen. Das ist nicht so wichtig. Es gibt wirklich ernste Dinge auf der Welt; Kinder, die an Hunger leiden, es gibt so viel andere schlimme Dinge, als wenn irgendwer schreibt: 'Popsternchen'. Was soll's, ist doch egal. Hauptsache, ich weiß selbst, wer ich bin. schmunzelt

Sind deine Fans eigentlich mitgewachsen? Oder gibt es auch neue Gruppierungen, die du erreichst?

Das kann ich gar nicht wirklich beantworten. Ich denke, das wird sich mit dem neuen Album wirklich zeigen. Ich habe davor ja drei Jahre nichts veröffentlicht. Das Schöne ist: wenn man dann das erste Mal wieder auf Tour ist, sieht man, wer denn eigentlich da alles im Publikum steht. Da bin ich selbst gespannt. Wunderbar ist auch, dass man als Musikerin live mit den Leuten etwas teilen kann. Das ist das Größte, deswegen sitze ich hier, deswegen mache ich das alles! Man wird zu einem gemeinsamen Großen, und darauf freue ich mich sehr.

Deine TV-Arbeit: Vor "Anna" gab es eine geplante Serie "Dina - Flaschengeist auf Probe". Ein Pilot wurde gedreht, das ganze Projekt aber nie realisiert oder auch nur eine Minute im TV gesendet.

Das hatte weder was mit dem Format oder den Schauspielern zu tun. Es gab wohl zwischen der Produktionsfirma und Sat.1 irgendwelche Differenzen, über die ich aber gar nicht reden kann, weil ich da ganz schlicht nichts drüber weiß, was und wie da abgelaufen ist.

"Anna Und Die Liebe", ist auf - wenn ich richtig informiert bin - 252 Folgen angelegt. Bei welcher Nummer seid ihr inzwischen angelangt?

Wir drehen gerade Folge 160. Direkt auf Sendung müssten wir im Moment so bei 120 sein.

Wie das so ist bei vielen TV-Formaten: Gerade zu Beginn wurde eine Menge daran rumgemeckert, in erster Linie, was die Quoten anging. Das hat sich inzwischen aber entwickelt?

Ach, zunächst wurde wirklich so viel Wind darum gemacht. Ich habe immer gesagt: "Leute, das ist eine Telenovela, gebt den Zuschauern doch erst mal eine Chance, die zu entdecken." Es gab ja auch viele, die überhaupt gar nicht wussten, dass wir damit an den Start gingen. Im Moment haben wir so um die 13 % Marktanteil, was einfach klasse ist. Da bin ich happy!

In der Serie spielst du die schüchterne, zurückhaltende Anna. Auf der Bühne bist du der selbstbewusste, extrovertierte Star. Wo ist zwischen diesen Polen die wahre Jeanette Biedermann?

Mehr die auf der Bühne, ganz klar! Da darf ich mich ausleben. Oder Teile von mir, zumindest die exhibitionistischeren, wilderen und lasziveren Parts. Das bin auf jeden Fall ich. Die Anna ist wirklich nur eine Rolle, weil ich überhaupt nicht schüchtern bin, in keinster Weise. Das dürfte ich in meinem Job auch gar nicht, sonst könnte ich das alles knicken! lacht Aber es macht sehr viel Spaß, einmal in einen ganz anderen Charakter zu schlüpfen, und jemand ganz anderes zu sein.

"Ich trage in mir viele Farben"

Bevor du entdeckt wurdest, hast du beim Berliner Prominentenfriseur Udo Walz eine Lehre als Friseurin gemacht. Gab es dadurch Verbindungen, die dir ins Showgeschäft geholfen haben?

Überhaupt nicht. Ich wusste erst überhaupt nicht, wer Udo Walz überhaupt ist und welchen Status er innehat. Zu der Zeit habe ich bereits nebenbei als Sängerin gearbeitet und hatte erste Auftritte. Ich wollte gern Demos in einem Plattenstudio aufnehmen, Fotos machen, um damit zu den Plattenfirmen zu gehen. Aber ich hatte keine Kohle! Ich dachte: "Scheiße, ich muss irgendeinen Job machen, um endlich Geld dafür zu verdienen!" Aber wo könnte ich möglichst schnell einsteigen, was mir auch Spaß macht? Dann habe ich nur eine Bewerbung abgeschickt - die an Udo Walz. Und ich wurde genommen, und hatte dann bald endlich mein erstes Geld verdient. Bald darauf konnte ich damit meine Sachen finanzieren, und mitten in der Lehre kam der Plattenvertrag.

Das war in Verbindung mit einem damaligen Talent-Wettbewerb der BILD-Zeitung, und du gewannst mit dem Titel "Er Gehört Zu Mir" von Marianne Rosenberg.

Es gab nur vier Songs zur Auswahl, und ich hab' mich für Marianne entschieden, weil das noch das beste von den vier Angeboten war. Daran geknüpft war im Falle des Sieges die Bedingung zur Teilnahme am nationalen Vorentscheid zum Grand Prix in Verbindung mit dem Plattenvertrag. Als das vorbei war, bin ich volles Risiko gegangen. Ich habe gedacht: "Wenn ich schon alles verderbe, dann gleich richtig". Ich bin zu Holger, meinem Manager, gegangen und habe gesagt: "Pass auf, das ist nicht meine Musik, ich möchte was anderes machen, ich möchte Pop-Musik machen, englischsprachige Pop-Musik, und wenn du sagst, 'Okay, das war's dann,' muss ich damit leben. Aber ich will etwas machen, das ich liebe, und mich nicht in etwas hereinzwängen lassen." Seine Antwort war: "Gut, dass du das sagst - mir geht's genauso!" Wir sind daraufhin zusammen ins Studio gegangen, und erst danach ging dann alles richtig los.

Wie sehen deine Zukunftspläne aus?

Ich bin ein sehr gegenwartsbezogener Mensch. Vieles, was man sich so vornimmt oder zurechtlegt - das trifft dann gar nicht ein, und es entwickelt sich etwas völlig anderes. Jetzt die Platte! Wenn die raus ist, dann ist das wie eine Geburt - endlich ist es geschafft, und endlich kann man sich einfach nur freuen. Das ist dann der eigentliche Abschluss der gesamten Produktionsphase.

Dann folgt die Neugierde, wie alles so ankommt.

Ja, neue Sachen werden nur mit Mut gemacht. Wenn man nicht den Mut hat, sich auch mal zu verändern, etwas ganz neues zu probieren, entgeht einem vieles. Natürlich gibt es dann auch mahnende Stimmen. "Wieso machst du das jetzt? Zuerst Rockpop, und dann das hier, das geht doch gar nicht richtig zusammen?" Und ich frage: "Warum? Wer verbietet mir das? Ich bin ein freier Mensch, und ich trage in mir so viele Farben. Und ich will mit diesen Farben herummalen, wie ich es möchte. Ich bin niemand, der dazu verflucht ist, nur eine Musikrichtung zu machen. Das ist nicht mein Fall. Ich trage auch verschiedenfarbige Kleider, ich esse verschiedene Sachen, trinke verschiedene Sachen, reise an die verschiedensten Orte. Und ganz genauso möchte ich eben die Musik machen, nach der mir gerade ist.

Die Interview-Zeit ist fast um, die Frage nach einigen Fotos bejaht Jeanette unkompliziert und freundlich. Es ist ihr letzter Termin an diesem Tag. Wir nehmen gemeinsam den Fahrstuhl, draußen steht ihr Taxi, der Zug zur Heimreise nach Berlin wartet schon.

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