30. Juni 2021

"Ich bitte niemanden, mir zu helfen"

Interview geführt von

Joan Armatrading hat keine Lust auf Wiederholung — das hat die in Saint Kitts geborene und in England aufgewachsene Singer/Songwriterin immer wieder bewiesen. Noch weniger als Wiederholung mag sie Kompromisse.

Aus diesem Grund produziert Armatrading ihre Alben seit 1986 nicht nur selbst, sondern spielt auch seit langem alle Instrumente selbst ein. Das ist auch auf ihrem 22. Studioalbum "Consequences" nicht anders. Thematisch geht es einmal mehr um das universale Thema Liebe — jedoch sind nicht die zwischenmenschlichen Beziehungen das Thema unseres Gesprächs, sondern der handwerkliche Aspekt ihrer Musik.

Ms. Armatrading, Sie sind auf Ihren Alben Produzentin, Multiinstrumentalistin, Komponistin, Texterin und Arrangeurin. Beschreiben Sie doch mal, wie Ihr Arbeitsprozess in der Regel so aussieht.

Nun, das Wichtigste ist, dass sich der Song auf der Gitarre oder auf dem Klavier spielen lässt. Ein fertiger Song, das ist der erste Teil. Dann mache ich mich an die Arrangements. Ich habe aber bereits schon beim Schreiben eine Vorahnung, wie die Arrangements ungefähr aussehen werden, in welche Richtung es geht. Ich schreibe keinen Song und denke mir, wenn er fertig ist: "Ich sollte da jetzt einen Blues daraus machen". Ich spiele anschließend alles selbst ein, also muss ich jeden Part aufnehmen, Spur auf Spur aufbauen. Meistens fange ich mit dem Schlagzeug an - man will ja etwas haben, zu dem man spielt. Manchmal programmiere ich aber auch einfach einen Klick. Es gibt keine feste Art und Weise, wie das passiert. Manchmal kommt das Klavier zuerst, manchmal die Gitarre. Zudem Zeitpunkt habe ich bereits eine Vorstellung von dem Sound, den ich will. Aber das heißt nicht, dass ich mich notwendigerweise gleich für diesen Sound entscheide. Wenn ich zum Beispiel eine Gitarre aufnehme und weiß, dass ich einen bestimmten Hall und ein Delay darauf haben möchte, kann es sein, dass ich den Hall und das Delay nicht einsetze, während ich die Gitarre aufnehme - weil ich meine Meinung über das Delay, das ich haben möchte, ändern könnte. Also mache ich das manchmal hinterher.

Sie nehmen ja seit vielen Jahrzehnten in Ihrem eigenen Studio auf, ich nehme an, das war diesmal nicht anders?

Ja genau, ich nehme schon seit 1986 in meinem eigenen Studio auf. Seit dem Album "Sleight Of Hand". Zunächst hatte ich noch andere Leute, die auf meinen Alben gespielt haben — aber irgendwann dachte ich, nachdem ich das auf den Demos auch alles selber mache, kann ich das im Studio auch tun. Wenn Sie Alben von mir hören, bin das seit 2003 also zumeist alles ich. Früher hatte ich noch Schlagzeuger mit dabei, aber irgendwann habe ich auch beschlossen, das Schlagzeug selbst zu programmieren. Ich kann zwar Schlagzeug spielen, aber ich bin nicht gut genug, um auf meinen Platten zu spielen. Das fällt mir alles leicht, deswegen mache ich es.

Weil Sie "Sleight Of Hand" erwähnten: Ab diesem Album haben Sie auch alles selbst produziert.

Meine erste Platte habe ich 1972 veröffentlicht. Schon da habe ich an den Produktionen mitgearbeitet, aber nie einen Credit als Co-Producer dafür erhalten — was mir eigentlich zugestanden hätte. Über meine Songs haben nie Produzenten oder die Band bestimmt, die Entscheidungsgewalt hatte immer nur ich. Ich gehe also nicht ins Studio und denke, wenn ich dem Produzenten und dem Rest der Band helfe, kann dieser Song ein guter Song werden. Ich gehe mit einem kompletten Song hinein. Niemand sagt mir: Hier, lass uns da noch eine Strophe oder einen neuen Refrain machen, das ist nur mein Job. Ich kenne auch die Instrumentierung, die ich haben möchte. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich weiß, dass die Musiker natürlich einen großen Beitrag leisten. Die Platten wären ohne die teilnehmenden Personen nicht dieselben gewesen, sie würden ganz anders klingen. Jeder Musiker klingt anders. Ich sage immer, man kann zehn verschiedenen Keyboardern sagen: "Geh und schlag das mittlere C auf einem Klavier an" — und du bekommst zehn verschiedene Klänge. Du hast jemanden, der es sehr schnell anschlägt, einige sehr langsam, einige laut, einige leise, einige dreimal, weißt du, du würdest immer etwas anderes bekommen, nur auf dieser einen Note von zehn verschiedenen Leuten. Jeder trägt etwas dazu bei. Aber der Song an sich selbst ist immer der Song, den ich kreiert habe. Und wie ich schon sagte, ich bitte niemanden darum, mir zu helfen, den Song zu kreieren, das kann ich schon, ich weiß, wie man das macht.

"Wir sind da, um zu lieben"

Aber haben Sie das Produzieren angefangen, um schneller und kompromissloser zu Ihrer Vorstellung zu finden? Ist es einfach eine effektivere Art, zu arbeiten?

Nicht einmal das. Ich habe es einfach getan, weil ich es wollte. Ich wusste immer, dass irgendwann alles selbst produzieren werde. Es war für mich keine große Sache, ich hatte ja bereits Erfahrung, hatte es auf meinen Demos gemacht. Als ich mit dem Schreiben begonnen habe, gab's noch keine Kassetten, dann gab's plötzlich Twotracks, Eighttracks, 16-Tracks. Ich bin mitgegangen, wie sich die Dinge entwickelt haben, ich musste nichts nachholen. Ich habe mich mit der Technologie verändert und versuche, das auch heute noch zu tun. Für mich war das nie eine große Sache. Ich erinnere mich an eine Session in einem Studio, als ich an einem 48-Track-Mischpult saß, das waren echt große Pulte. Man sieht sie sich an und denkt sich: "Mein Gott, das sind echt viele Knöpfe, wie zur Hölle machen die das". Aber dann merkte ich, man muss nicht alle 48 auswendig lernen, sondern nur einen verstehen. Und dann lernte ich, wie man routet, wie man Effekte sendet, das war damals ja wie bei alten Telefonen. Und je mehr man das macht, desto besser wird man. Ich wollte immer autonom sein, so war ich schon immer.

Wie sind Sie denn an "Consequences" rangegangen? Haben Sie auf bereits bestehenden Songs aufgebaut?

Bei mir besteht jedes Album stets aus neuen Songs. Es sind nie Lieder drauf, die etwa vom letzten Album noch übrig geblieben sind. Bei mir ist es so: Ich schreibe, wenn mir danach ist und ich habe einfach das Glück, dass mir eben ziemlich oft danach ist. Ich denke nicht darüber nach. Ich habe schon immer im Hinterkopf, wo ich mit dem Album hin will. Das letzte Album wollte ich sehr akustisch halten, viele Akustikgitarren, weniger Klavier. Diesmal sollte es sehr keyboard-orientiert sein. Es dreht sich alles ums Keyboard. 2007 habe ich eine Trilogie aus Blues, Rock und Jazz geschrieben. Ich setze mir kleine Challenges und versuche mein bestes. Ich arbeite aus, wie es klingen soll. Das Thema ist dabei stets dasselbe: Liebe, Gefühle, wie Menschen interagieren und aufeinander reagieren. Das bleibt stets gleich – davon handeln Menschen, deswegen sind wir hier. Wir sind da, um zu lieben, um uns umeinander zu kümmern. Die Natur ist toll, aber alles, was wir sind, wird erst dann lebendig, wenn wir mit anderen Menschen zusammen sind.

"Mein Vater hat seine Gitarre vor mir versteckt"

Lassen Sie uns über Gitarren sprechen. Wie kamen Sie eigentlich zu dem Instrument?

Mein Vater hatte eine Gitarre. Er wollte aber nicht, dass ich sie spiele und hat sie deswegen versteckt. Ich konnte sie also nicht spielen, nicht einmal anfassen — und genau deswegen wollte ich Gitarre spielen. Irgendwann habe ich in einem Pfandleihhaus eine Gitarre gesehen und mein Mutter angebettelt, sie mir zu kaufen. Das war meine erste Gitarre. Es waren also keine anderen Gitarrist*innen, die mich dazu brachten, spielen zu wollen. Es war das Faktum, dass mein Vater nicht wollte, dass ich spiele. Aber wenn wir über Einflüsse reden wollen, mein Gott, diese Liste ist lang. Muddy Waters ist brillant. Mark Knopfler ist mein Lieblingsgitarrist. Ich liebe Jimmy Page, Leslie West. Aber wie gesagt, es waren nicht diese Typen, wegen denen ich zu spielen begann. Es war einfach etwas Verbotenes.

Wie gehen Sie in Sachen Equipment vor?

Ich verwende, was eben gebraucht wird. Das, was der Song verlangt. Es gibt auf dem Album einen Song namens "To Be Loved", für den habe ich eine Martin-Akustikgitarre verwendet. Und bei E-Gitarren war es entweder eine Strat oder eine Variax. Variax sind tolle Gitarren, man bekommt mit ihnen einen Fender- oder einen Gibson-Sound, einen Jazz-Sound oder was auch immer man will. Per Knopfdruck. Und man bekommt verschiedene Stimmungen, eingebaute oder Custom-Tuning. Und sie kann auch Akustikgitarren simulieren, sechs- oder zwölf-saitig. Die habe ich auf meiner letzten Tour verwendet, damit ich nicht ich nicht dauernd Gitarren wechseln muss.

Sind Sie Gitarrensammlerin?

Ich werde jetzt nicht verraten, wie viele Gitarren ich habe. Aber alle, die ich besitze, waren entweder mit auf Tour oder im Studio.

Und in Sachen Klavier — akustisch oder E-Piano?

Heutzutage meistens elektrisches Piano. Das ist einfach so praktisch. Ich spiele auch die Streicher über Keyboard ein. Das Schöne an der heutigen Technik: es gibt so viele Dinge, die man machen kann. All das Outboard-Zeugs, die Plugins, Reverbs, Delays, Limiters: Man kann sich selbst in den finanziellen Ruin treiben vor lauter Plugins (lacht).

Mögen Sie das? Sind Sie eine Gear-Enthusiastin oder ist das eher eine Notwendigkeit?

Ich liebe es, herauszufinden, was neu ist. Ich bin immer auf der Suche nach Neuem. Aber es trifft beides zu. Es ist schon auch eine Notwendigkeit, ich kaufe diese Dinge ja, weil ich sie brauche. Aber manchmal ist es auch einfach toll, etwas zum Rumexperimentieren zu haben. Vielleicht wird man das Teil nie benutzen, aber es macht Spaß herauszufinden, was man damit anstellen kann.

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