laut.de-Kritik
Rebellion ist und bleibt die sexieste Verheißung im Pop.
Review von Matthias MantheDie Krux mit der Authentizität. Ist es fast zwanzig Jahre nach dem ersten zaghaften Wurzelschlag des Grunge legitim, sich in Sound und Attitüde aus dessen reichhaltigem Repertoire zu bedienen? Wie viel Coolness besitzt die Positur Drumset-zerstörender Trümmerfrauen im Jahr 14 nach Nirvana und im Jahr 6 nach Hole?
Man kommt auch an diesem Abend im lebenswerten Zürich nicht umhin, die zwei Teenager von Jolly Goods abzugleichen: Unstreitige Ausstrahlung vs. Gefahr plakativen Rrriot-Girlisms, brachiales Krachmachertum vs. die Klischee-Destruktivität einer Courtney Love. Alles egal irgendwie, wenn Tanja Pippi mit knallroten Lippen trashige Simple Chords gen auf Sicherheitsabstand bedachte Zuhörerschaft prügelt.
Lüstern liegt sie auf dem Boden, Gitarre auf der Brust, Blick aufs Plastikskelett an der Decke des zweistöckigen Etablissements gerichtet und so manche Verzögerungssekunde auskostend. Dann die Eskalation: Die rosa Wegwerfbrille ins Eck, Stampfen, Fauchen, Singen, Schreien, Blackout. Odenwald halt. Da muss man ja irgendwann aus der Haut fahren. Juveniler Aggro-Ausbruch aus der Provinz-Gefangenschaft ist und bleibt einfach eine der sexiesten Verheißungen im Popzirkus.
An den Drums behält Schwester Angy, die im heimatlichen Rimbach noch zur Schule geht, weitgehend die Contenance. Später übernimmt sie die Roland-Keys, klimpert die schrullige Gefühligkeit "Piano", bricht aber, der Applaus bleibt im verkühlten Schweizerland sowieso aus, mit Dissonanz ab. Zurück an die Sticks und dann hinter den roten Vorhang des Bühnendreiecks und auf the invisible drummer gemacht, während Tanja Pippi an der Gitarre poststrukturalistischen Eskapismus intoniert. Schluss aus.
Angy gröhlt noch kurz ein unglamouröses "Daaaankeschöööön" ins Sprachrohr, weil sonst keiner der paar Dutzend Anwesenden versteht, dass die "Show" vorbei ist. What a dead beat audience. Am Merch-Stand gibt es wenig zu holen, bald setzen Jolly Goods ihre Dorfflucht mit ihrem Eröffnungsakt Dillon fort. Ein abwechslungsreiches halbes Stündchen vor dem Gespann hatte die neunzehnjährige Solistin aus Berlin nicht minder Mühe gehabt, die Geister der draußen vorbeifließenden Sihl zu beschwören.
Dillon singt mit beeindruckendem Organ über zurechtrationalisierten Tastenanschlägen, spittet CocoRosie-eske Verse durchs Megaphon, verziert ihre drumcomputergestützte Performance mit gegen sich selbst gerichteten Ohrfeigen und muss sich einzig ankreiden lassen, in Sachen avantgardistischen Elektropop-Balladentums noch ein wenig zu oft auf das Stilmittel der Repetition zu vertrauen.
Ansonsten funkeln und perlen die Worte, die diese vorzügliche Stimme formt, gerne auch mal durch Eingeweide und Gefühlswindungen. Besonders toll: Die Darbietung ihrer Ende Januar via Kitty-Yo erscheinenden Ghettotech-Single "C Unseen Sea". Vielversprechend, da kommt garantiert was nach.