6. August 2015
"Wir sind an der ganzen Scheiße gewachsen"
Interview geführt von Kai ButterweckNach gerade mal zwei veröffentlichten Alben liegen den drei Wahl-Berlinern von Kadavar bereits Fans aus Australien und Amerika zu Füßen. Mit ihrem dritten Album "Berlin" soll nun auch der Rest der Welt erobert werden.
Innerhalb von drei Jahren eroberten Kadavar nicht nur die Herzen nahezu aller Psychedelic-, Stoner- und Classic-Rock-Liebhaber zwischen Flensburg und München. Mittlerweile fahren auch die Amis, die Australier und die Südamerikaner auf den urbanen Sound der drei Wahlberliner Christoph "Lupus" Lindemann (Gesang, Gitarre), Simon "Dragon" Bouteloup (Bass) und Christoph "Tiger" Bartelt ab.
Mit ihrem neuen Album "Berlin" wollen die drei passionierten Vollbartträger nun weitere Türen öffnen. Helfen sollen ihnen dabei experimentellere Songs, die beweisen, dass sich in den Köpfen der drei Protagonisten nicht alles nur um die Glanzzeiten von Bands wie Black Sabbath, Pentagram und Hawkwind dreht. Kurz vor der Veröffentlichung des neuen Studiowerks holten wir uns Kadavar Schlagzeuger "Tiger" ans Telefon und plauderten mit ihm über intensive Momente in Übersee, neue musikalische Wege und abgeschlossene Personal-Kapitel.
Hi Christoph. Wo steckst du gerade?
Christoph "Tiger" Bartelt: Ich bin momentan bei meinem Vater. Der feiert heute seinen 60. Geburtstag.
Happy Birthday!
Danke, werde ich ausrichten.
Hättest du den Promo-Tag heute nicht lieber verschoben?
Ach, das passt schon alles. Hier ist ja keine Party im Gange. Topfschlagen haben wir auch schon hinter uns (lacht). Alles easy.
Seit wann hängst du denn schon am Telefon?
Ich bin heute früh um sieben Uhr aufgestanden. An den ersten Call kann ich mich nicht mehr erinnern. Schon gar nicht an die Uhrzeit. Ich weiß nur noch, dass ich heute schon mit vielen Australiern telefoniert habe.
Schon krass, oder?
Das Pensum?
Nein, die Tatsache, dass ihr als noch relativ junge Berliner Band bereits am anderen Ende der Welt für Furore sorgt.
Ja, das ist schon echt heftig. Da sind wir auch total dankbar für. Ich kann mich noch erinnern, wie wir das erste Mal in Amerika auf Tour waren. Das begreift man alles erst viel später. Man geht zwar nicht anders auf die Bühne. Aber man saugt alles durch andere Kanäle auf. Man blickt in Gesichter, die man nicht kennt. Man redet den ganzen Tag englisch. Es ist irgendwie alles viel intensiver. Wahrscheinlich achtet man im Ausland auch viel mehr auf Kleinigkeiten. Man will ja nichts verpassen. Man will alles mitkriegen, speichern und sich später daheim noch einmal genüsslich vor Augen führen.
Mittlerweile werdet ihr ja auch in Australien und Südamerika abgefeiert. Im September gehts erneut auf große Reise. Gehörte das eigentlich von Beginn an zu eurem Plan?
Natürlich haben wir davon geträumt, irgendwann auch mal im Ausland zu spielen. Aber dass das alles so schnell gehen würde, hätten wir nicht gedacht.
Wir reden hier ja auch nicht von Belgien oder der Schweiz.
Das ist auch das eigentlich Irre daran. Mexiko, Australien, Nordamerika: Da verschlägt es einem als Wahlberliner schon mal schnell die Sprache.
"Wir wollen nicht, dass jede Textzeile von uns auf die Goldwaage gelegt wird"
Eure deutschen Fans liegen euch aber auch am Herzen. Das neue Album heißt nicht nur "Berlin"; ihr habt mit der Coverversion von Nicos "Reich Deiner Träume" sogar euren ersten deutschsprachigen Song aufgenommen. Wie kam es dazu?
Das mit dem Albumtitel war uns eine Herzensangelegenheit. Wir leben ja mittlerweile alle in Berlin. Hier haben wir uns getroffen. Und hier haben wir die Band gegründet. All das, was wir vorher gemacht haben, hat sich hier in der Stadt gebündelt. Ich meine, vielleicht hätten wir die Band auch irgendwo in der Pampa aus dem Boden stampfen können. Gut möglich, dass es irgendwo anders auch geklappt hätte. Aber es hat sich alles nun mal hier in Berlin zugetragen. Daher der Albumtitel. Den Song von Nico haben wir ausgewählt, weil uns der Albumtitel allein zu dünne war. Also haben wir uns auf die Suche nach einem passenden Berlin-Song gemacht. Dabei ging es uns aber nicht um irgendeine platte Stadthymne, sondern um etwas Tieferes. Wir hatten das Ganze auch schon fast aufgegeben, als unser Bassist (Simon "Dragon" Bouteloup) irgendwann mit eben jenem Song durch die Tür kam. Da hats sofort klick gemacht.
Der Song unterscheidet sich ja nicht nur musikalisch vom Rest der Platte.
Nein, da hast du Recht. Ein deutschsprachiger Song ist eine ganz andere Baustelle. Da ist man irgendwie viel sensibler. Vor allem Lupus (Christoph "Lupus" Lindemann, Sänger) musste sich erst einmal mit dem Gedanken anfreunden. In dem Song steckt ne Menge Arbeit drin (lacht).
Habt ihr jetzt Blut geleckt?
Naja, nicht wirklich. Ich denke, dass dieser Song eine Ausnahme bleiben wird. Wir sind mittlerweile so tief drin, in dem, was wir machen, dass uns eine komplette Kehrtwende wahrscheinlich um Jahre zurückwerfen würde. Da haben wir kein Bock drauf. Wir wollen auch nicht, dass jede Textzeile von uns auf die Goldwaage gelegt wird. Das wäre aber der Fall, wenn wir in Deutsch singen würden. Die englische Sprache passt einfach besser zu unserer Musik. Daran gibt es nichts zu rütteln.
Der Rest der Platte hält auch noch ein paar andere Überraschungen bereit. Gerade in punkto Dynamik und Tempo habt mir meines Erachtens nochmal eine Schippe draufgelegt. Eine bewusste Entwicklung?
Ja, irgendwie schon. Wir wollten uns mit diesem Album etwas freischwimmen. Natürlich klingt es noch nach Kadavar, so wie man die Band kennt. Aber wir haben diesmal schon versucht, das Spektrum etwas zu erweitern. Wir wollten mehr reinlegen als die typischen Trademarks. Dass wir auf Bands wie Black Sabbath, Pentagram und Hawkwind abfahren, sollte mittlerweile kein Geheimnis mehr sein. Wir sind aber auch in der Lage, unserer Basis eine Frischzellenkur zu verpassen. Das war uns wichtig. Wir wollten etwas mehr experimentieren. Es gibt schnellere Songs und Songs, die eine tiefere Atmosphäre mit sich rumtragen.
"Ans Aufhören haben wir nie gedacht"
Du sprachst vorhin euren Bassisten an. Simon ist jetzt zwei Jahren mit dabei. Wie läuft's denn so mit ihm?
Simon passt perfekt zu uns. Als Philipp (Philipp "Mammut" Lippitz, Ex-Bassist) uns damals praktisch über Nacht verließ, brauchte Simon ganze fünf Tage um unser komplettes Live-Programm auf die Reihe zu kriegen. Das war schon ziemlich beeindruckend. Wir waren dann knapp zwei Jahre fast durchgehend auf Tour. In dieser Zeit haben dann alle gemerkt, dass es nicht nur musikalisch sondern auch menschlich wunderbar funktioniert.
Konnte Simon dann im anschließenden Songwritingprozess weitere Ausrufezeichen setzen?
Absolut. Normalerweise kommt die Masse an Ideen schon von mir. Aber letztlich muss ja alles im Kollektiv miteinander verschmelzen. Das war früher so. Und das ist auch heute noch so. Soll heißen: Meine Ideen und Skizzen werden erst dann lebendig, wenn die Gedanken und Vorschläge der beiden anderen mit einbezogen werden. Da hat sich dann schnell gezeigt, dass wir mit Simon die richtige Wahl getroffen haben.
Habt ihr eigentlich noch Kontakt zu Philipp?
Nö.
Stress?
Nein, gar nicht. Die Sache liegt einfach hinter uns. Der Cut wurde auch relativ frühzeitig gezogen. Philipp ging, und Simon kam. Dazwischen ist nicht viel passiert. Das war auch gut so. Hätten wir erst einmal wochenlange Diskussionen geführt, wäre vieles ins Stocken geraten. Das wollten wir natürlich nicht. Die Band genießt oberste Priorität. Und das soll auch so bleiben.
Philipps Ausstieg war ja seinerzeit nicht der einzige Schock, den ihr innerhalb kürzester Zeit verdauen musstet. Ich erinnere nur an den Visa-Stress den ihr hattet, als ihr in die Staaten wolltet. Als ihr dann endlich dort wart, flog euch auch noch ein teurer Ford Galaxy während eines Videodrehs um die Ohren. Denkt man in so einer Phase nicht auch mal daran, die Brocken hinzuwerfen?
Nein, nicht wirklich. Sicher, während dieser Zeit kam es ziemlich geballt. Und – weiß Gott – es war anstrengend, nervend und bisweilen auch frustrierend. Aber ans Aufhören haben wir nie gedacht. Ich würde sogar behaupten, dass uns diese Zeit gestärkt hat. Wir sind an der ganzen Scheiße, die uns damals wiederfahren ist, gewachsen. Man muss sich halt auch immer vor Augen führen, über was man sich gerade aufregt.
So ein spontaner Ausstieg eines Bandmitglieds ist schon heftig, ganz klar. Aber alles andere war nicht ganz so tragisch. Ich meine, wir reden hier über einen Videodreh in den Staaten. Das allein ist schon der Hammer. Dass da auch mal was schief gehen kann, ist doch klar. Das soll jetzt nicht bedeuten, dass mir das alles am Arsch vorbei ging. Ich war auch genervt. Aber das war auch alles schnell wieder vergessen. Uns haut so schnell nichts um. Dafür stecken wir viel zu viel Herzblut in die Band.
Wie siehts nach der Tour im Herbst aus? Gibts schon Pläne? Wäre vielleicht mal an der Zeit, alles mal so ein bisschen zu verarbeiten, meinst du nicht?
Keine Ahnung. Gut möglich, dass wir nach der Tour mal ne Woche abschalten und die Füße kurz hochlegen. Aber das wird sicherlich nicht von Dauer sein. Dafür sind wir einfach viel zu geil auf all den Scheiß, der rund um die Band passiert. Urlaub machen können wir später immer noch. Momentan passiert einfach zu viel. Diesen Auftrieb wollen lieber nutzen um noch weiter nach vorne zu kommen.
Machen, machen, machen?
So lautet die Devise (lacht).
Na dann, weiterhin frohes Schaffen.
Vielen Dank.
4 Kommentare mit 3 Antworten
"Wir wollen auch nicht, dass jede Textzeile von uns auf die Goldwaage gelegt wird. Das wäre aber der Fall, wenn wir in Deutsch singen würden." Geile Aussage Der Plan könnte nur schief gehen, wenn man demnächst in Nordamerika auftritt. Da gibt es ja sogar einige Menschen, die englisch sprechen können.
Vieles was auf Englisch funktioniert, geht auf Deutsch einfach nicht. Nimm irgend einen Sabbath song und übersetz ihn ins Deutsche, es würde gesungen wirklich richtig lächerlich klingen. Elektrisches Begräbnis!
Nah, das ist eine diffuse Scham, was die eigene Muttersprache angeht. Dass wir die übersetzten Zeilen als lächerlich empfinden ist eine Verschwörung der Plattenfirmen Angelsachsens, um ihre Absatzzahlen in D zu steigern und uns vor der Volksmusik zu retten.
@nackenöffner
das haben cindy & bert damals doch glänzend widerlegt
Hier ich bin, rock mich wie ein Wirbelwind
Als ich letzte Nacht nach Hause ging, es war schon spät, da erschrak ich mich plötzlich. Ja, ich schaute durch das Fenster und was ich sah, überraschte mich. Eine Fee, die Stiefel trug, tanzte mit einem Zwerg.
Jetzt wird mir alles klar.
Feen tragen Stiefel, das musst du mir glauben.
Kadavar !!!
Der Gitarrist ist die Gesangssäule, mit SG und den Zwillingen Marschall & Hiwatt. Der Drummer ist Super und das Herz der Band. Während der Basser der melodiöse ruhende Pol ist.
Sehr gut hat mir gefallen: Living in Your Head.