13. Mai 2016
"Wir wollten einfach schocken"
Interview geführt von Ingo ScheelKvelertak behalten ihren Dreijahres-Rhythmus bei: Nach dem selbstbetitelten Debüt (2010) und dem Nachfolger "Meir" (2013) folgt jetzt mit "Nattesferd" pünktlich der Nachfolger.
Dabei verlässt das norwegische Deathpunk/Metal-Kombinat in großen Teilen bewährte Pfade. Das schmeckt nicht jedem. Sänger Erlend ist das ziemlich wurscht. Oder besser gesagt: Es gefällt ihm.
Erlend, ich habe diverse Translation-Apps ausprobiert, keine konnte mir zufriedenstellend beantworten, was "Nattesferd" bedeutet.
Erlend Hjelvik: Es heißt so viel wie "Nachtpferd" oder auch "Nachtreisender".
Was verbirgt sich dahinter?
Das war meine Idee. Ursprünglich war etwas anderes geplant. Dann sah ich das Cover und dieser Titel ergab plötzlich viel mehr Sinn. Natürlich ist es der Klassiker, dass man einen Songtitel zum Albumtitel macht. Gleichzeitig erinnerte mich der Vibe des Motivs an das Rush-Album "Fly by Night", was eine meiner Lieblingsplatten ist. Ich liebe die Band einfach. Und das Motiv des Nachtreisenden entspricht dem Leben auf Tour, hat also auch direkt mit uns zu tun.
Es heißt oft, das dritte Album sei das schwierige. Erfolg mit dem ersten, nachlegen mit dem zweiten - Weiterentwicklung auf dem dritten. Wie war euer Gefühl in dieser Hinsicht, nachdem ihr zwei höchst erfolgreiche Alben vorgelegt habt?
Genau das haben uns die Leute schon beim zweiten Album gesagt, dass es so schwer sei. Ich denke, du hast ein Problem, wenn du zu viel nachdenkst und überlegst, was die Leute wollen. Am besten gehst du danach, was gut für die Band klingt, was du selbst willst. Wir müssen das in erster Linie mögen. Und auf unseren Instinkt vertrauen.
Kvelertak-Fans werden sich an einige Veränderungen gewöhnen müssen. Das Baizley-Artwork ist Geschichte, das neue Motiv stammt von Arik Roper.
Ich war schon immer ein riesiger Fan von ihm. Seit ich angefangen habe, Platten zu veröffentlichen, war er ganz oben auf meiner Liste. Ich wusste, dass er eines Tages ein Cover für uns gestalten würde. Natürlich ist Jon Baizley großartig, aber wir hatten Lust auf etwas anderes. Dazu muss man aber auch sagen, dass es nicht so weit weg ist von den bisherigen Kvelertak-Covern. Ich mag diesen 70s-Vibe und es passt gut zu meinen Lyrics, in denen mich alles mögliche von Conan bis H.P. Lovecraft inspiriert. Es könnte auch das Titelbild einer Pulp-Novel aus den 70er Jahren sein.
Gab es für ihn Vorgaben, abgesehen von: Die Eule muss drin bleiben?
In der Tat war genau das die einzige Bedingung. Ich habe ihm zudem meine Texte übersetzt, damit er in die Stimmung der Platte kommt. Ich denke, er hat erstklassig abgeliefert. Für mich das beste Albumcover, das wir je hatten.
Eine weitere Veränderung sind die Produktionsbedingungen. Nachdem ihr zweimal mit Kurt Ballou in den USA gearbeitet habt, wurde diesmal zu Hause in Norwegen produziert.
Wir sind ins Ampertone-Studio in Oslo gegangen. Bjarte, unser Gitarrist, hat viele Bands dort produziert und diesmal haben wir seine Erfahrungen genutzt. Unser Techniker war Nick Terry, der unter anderem mit Turbonegro und den Libertines, dazu mit vielen anderen britischen Bands gearbeitet hat. Es war großartig mit ihm, darüberhinaus hat eigentlich die ganze Band mitproduziert. Und es war schlicht und einfach sehr bequem, in Oslo zu arbeiten.
Gab es einen konkreten Anlass, nicht noch einmal mit Ballou zu arbeiten?
Es war super mit Kurt, ganz klar. Einer der Hauptgründe war tatsächlich auch die Logistik. Bei uns zu produzieren war um so vieles einfacher, als die komplette Band in die USA zu fliegen, wo man dann in einem kleinen Haus für diverse Wochen aufeinander hockte. In Oslo konnte man nach getaner Arbeit einfach nach Hause gehen oder in die Bar. Das war schon um einiges komfortabler.
"Die Leute mögen es halt hart und schnell."
Die Deadline dürfte dann auch weniger zum Problem werden als in den Staaten, wo der Termin für den Rückflug steht und bis dahin alles im Kasten sein muss.
Das war wirklich schwierig. Es gab dann auch Verzögerungen und wir mussten Bjarte da lassen. Während wir schon wieder zu Hause waren, hatte er noch eine ganze Woche allein, um die Gitarren zu komplettieren.
Gab es eine Art Mission-Statement, wie ihr diesmal klingen wolltet?
Nein, das haben wir beim letzten Mal immer wieder diskutiert und es gab etliche Ideen und Verweise. Wir sollten dies machen und jenes und heavier werden und was auch immer ausprobieren. Es kommt dann eh, wie es kommt. Vieles entsteht aus dem Jammen und dann geht es nur noch darum: Ist es cool? Klingt es gut? Dann machen wir es. Das Einzige war, dass wir irgendwann ziemlich viele, nun ja, 'Rock'-Songs hatten und mein Gefühl war, wir bräuchten noch den einen oder anderen derben Track, damit es rund wird. Das war der Punkt, an dem ein Song wie "Dendrofil For Yggdrasil" ins Spiel kam.
Der erste Track, mit dem ihr euch zurückgemeldet habt, war "1985". Warum ausgerechnet der?
Zunächst ist es einmal der radiofreundlichste Song (lacht). Er ist völlig anders als alles, was wir vorher gemacht haben. Wir wollten auch zeigen, wie wir uns weiterentwickelt haben. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Viele haben es geliebt, andere hassten es. Das hat mich nur darin bestätigt, dass es die richtige Wahl war.
Warum 1985? Boris Becker? Wimbledon?
Nein (lacht), es geht um Technologie und digitale Kommunikation. Ich mag die Richtung nicht, in die es sich entwickelt. Wie sehr das Internet das Dasein bestimmt. Mir ist das sehr fremd, ich mag diese Mentalität nicht. Meinetwegen hätten wir in den 80ern stehenbleiben können. Ich bilde mir ein, es war weniger kompliziert und wir hatten alles, was man braucht. Und die Musik war ziemlich cool.
Deine Lieblingsband aus den 80ern?
Hm, könnte man Black Sabbath eine 80s-Band nennen? Eher nicht, oder?
Nicht wirklich. Man könnte eine bestimmte Phase einer Band an der Dekade festmachen.
Stimmt. Dann sage ich Van Halen!
Womit wir fast wieder beim Songtitel sind.
Das war offen gestanden genau die Ursprungsidee - Van Halens "1984".
Du sprachst bereits von den Fans und ihren Reaktionen. Ich habe einen Kommentar gelesen, der lautete: "Enttäuscht nach dem ersten Durchlauf, nach dem zehnten Mal total hingerissen". Das umschreibt ziemlich genau, wie ich mich gefühlt habe.
Die Leute mögen es halt hart und schnell. Da war es richtig, sie mit etwas anderem zu schocken. Es ist schon verrückt, die ganzen Kommentare zu lesen. Einer meiner Favoriten: Der Weg, den ihr gewählt habt - ich werde ihn nicht mitgehen. Ein anderer meinte, wir sollten den Wikingerhelm und das Schwert zurück in den Schrank legen. Das alles aufgrund von einem Song. Ziemlich irre.
Der Song klingt regelrecht uplifting. Seid ihr heute glücklicher als zu Blodtørst-Zeiten?
Ich weiß nicht, ob wir glücklicher sind. Aber sind definitiv entspannter und selbstbewusster geworden.
"Das Bataclan-Attentat bringt einen schon zum Nachdenken"
Der Titelsong "Nattesferd" schlägt in eine ähnliche Kerbe.
Ja, das ist am ehesten ein typischer Skandi-Rocksong und geht in die Richtung älterer Tracks wie "Bruane Brenn", es ein sehr ähnlicher Vibe.
Mein Lieblinssong ist "Ondskapens Galakse".
Oh wirklich, meiner auch. Für mich ist es der beste Song, den wir je geschrieben haben.
Ich liebe den Track. Allein diesen schwebenden Akustikpart habe ich diverse Dutzend Mal auf Repeat gehört.
In meinen Ohren ist da eine Verbindung zu AC/DC, einem Song wie "Let me put my Love into You, Babe". Den Song liebe ich.
Ohnehin sind einige Stücke in Sachen Drums an Phil Rudd gemahnend, Midtempo, sehr gerade. Gab es bei dir mal den Gedanken, zu normalem Gesang zu wechseln?
Ich kann das gar nicht. Die konventionellsten Vocals, die du von mir hören kannst, sind auf "1985". Konventioneller geht es nicht. Aber hey, ich kenne meine Grenzen. Ich mache es auf meine Art, so gut es geht.
"Heksebrann" klingt wie das Gegenstück zu "Tordenbrak" - dramatischer Build-up, sehr viel drin, über neun Minuten lang. War das von vornherein als Epos gedacht?
Es ist wirklich lang, aber es kommt mir beim Zuhören überhaupt nicht so vor. Klar, man könnte auch sagen, der Song könnte dort erst beginnen, wo das Hauptriff reinkickt, aber alle Parts sind top. Wie sich dann am Ende der Kreis zum Anfang schließt - das macht alles Sinn. Wir haben es gespielt und geprobt und es sollte alles so sein. Es gibt die Idee eines Radio-Edits, aber ich habe keine Ahnung, ob das klappt.
Mit diesem derben Sound unterwegs - was läuft da eigentlich im Tourbus? Easy Listening? Reggae?
Alles mögliche. Wenn wir live spielen, sind wir danach ziemlich im Eimer. Dann hören wir viel Soul, 70er und 80er Sachen. Da läuft nicht viel Metal, kann ich dir sagen.
Hat sich das Leben in Norwegen für euch mit dem Erfolg sehr verändert?
Ach, es geht. Eine Folge ist, dass ich meinen Job an den Nagel hängen konnte. Ich jobbe nur noch ab und zu nebenbei in einer Bar und in einem Theater, wo ich mich um das Equipment kümmere, um ein bisschen Extrageld zu machen. Ansonsten liege ich auch einfach gern auf der Couch, treffe Freunde.
Die Welt ist eine andere als noch zu Zeiten eures ersten Albums von 2010. Legenden wie Lemmy und Bowie sind abgetreten, der Terrorismus hat den Rock'n'Roll erreicht. Fühlt sich das Touren nach dem Massaker vom Bataclan für euch heute anders an?
Das tut es schon etwas, aber ich versuche darüber nicht zu viel nachzudenken. Ich denke, es ist wahrscheinlicher, dass ich von einem Auto überfahren werde, wenn ich aus der Haustür auf die Straße trete. Dennoch berührt es uns natürlich. Wir waren auf Tour mit Slayer und haben eine Woche zuvor in Paris gespielt. Eine der Frauen, die für uns im Catering gearbeitet hat, hat im Bataclan eine Kugel ins Bein bekommen, ihr Freund hat sich für sie schließlich in die Kugeln geworfen. Das bringt mich schon sehr zum Nachdenken. Drei Tage danach haben wir in Brüssel gespielt und du siehst, wie viel mehr an Security plötzlich da ist. Das verändert die Stimmung einfach sehr.
Dennoch bleibt das Touren für euch ein maßgeblicher Teil des Lebens. In Deutschland gibt es zum Album noch nicht so viele Live-Dates. Wann gibt es mehr?
Wir spielen einige Festivals, in Hamburg bei den Turbojugend-Tagen, zwei Clubshows. Aber da wird mehr kommen. Ich denke, im Oktober oder November könnt ihr mit uns rechnen.
Wir sehen uns auf jeden Fall in Hamburg. Letzte Frage: Habt ihr Prinzessin Mette-Marit schon ein Album geschickt?
Ja, das sollten wir tun. Sie war schon bei unseren Konzerten. Ihr Mann steht auch auf Metal. Ich denke, ich leite das direkt mal in die Wege.
Vielen Dank für das Gespräch, Erlend.
Ich danke Dir, wir sehen uns im Sommer.
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