laut.de-Kritik
Der Mickey Rourke des Rock poltert und pöbelt in Berlin.
Review von Matthias MantheMarilyn Manson anno 09: So sehr Brian Warner in den Nullerjahren noch um neue (Horror-)Looks bemüht gewesen ist, so sehr bleibt er unter dem Make-up schon seit langem derselbe.
Egal ob hinter Mickey Mouse-Maske oder clownesk weißgepudert, das Koordinatensystem aus tradierten Provokationen und pöbelhaftem Arena-Rockstardom öffnete der Manson-Gangleader seit 2000 weder musikalisch noch inszenatorisch weit genug, als dass von einer Weiterentwicklung gesprochen werden kann.
Auch der Ankündigungstext auf der Webseite des heutigen Austragungsorts, dem Tempodrom in Berlin-Mitte, kommt nicht an der Formulierung "Mal ehrlich, wirklich schocken kann uns Amerikas ungeliebtes Kind nach all den Jahren nicht mehr" vorbei. Was nicht weiter schlimm wäre, wenn, ja wenn der einst tatsächlich streitbare Rocker nicht immer noch an den überkommenen Gesten von vor mindestens zehn Jahren festklebte.
Zu prallem New Metal-Sound, für den der 2008 zurückgekehrte Twiggy Ramirez maßgeblich verantwortlich zeichnet, setzt der Frontmann auch heuer den bewährten Sturmhelm auf, wickelt sich in eine Deutschlandfahne und proklamiert – welch Brüskierung – vor "Dope Show" überbildhaft den Drogenkonsum, indem er sich von einem Assistenten nicht genauer erkennbare Pillen zuführen lässt.
Die plakative Koketterie mit vermeintlich doppeldeutigen Symbolen mündet in eine üble Beschimpfung eines Tontechnikers: Weil der, nachdem er Warner ein neues Mikrofon überreicht hat, nicht wie von diesem aufgefordert stagedivend in die Menge springt, um endlich ein wenig "Pussy abzustauben", stachelt der Manson-Kopf das Publikum zu Buhrufen auf, die er selbst mit Fuck yous Richtung Bühnenrand krönt.
Das Verhältnis Marilyn Manson und Fans indes besitzt durchaus einige Herzlichkeit. Wenn er sich von Anhängern Handtücher zum Schweißtrocknen reichen lässt, wenn der 41-Jährige die vorderen Reihen freundschaftlich abklatscht, wirkt er fast ähnlich tragisch-rührend wie Mickey Rourke in "The Wrestler". Die mit ihm gereifte Zuhörerschaft grölt die meisten Zeilen ("We hate love, we love hate!") inbrünstig mit, zu "We're From America" lebt sogar ansatzweise die Tradition des Moshpits wieder auf und auch sonst scheinen Hardrocker und Fetisch-Freunde an diesem Abend fröhlich vereint.
"Don't let me down, Berlin …", fordert Manson irgendwann in der Mitte des Konzerts, als der eingeforderte Applaus nur verhalten einsetzt. Als einem früher relevanten Künstler, der wie wenige das Timing für einen gesamtkünstlerischen Umschwung verschlafen hat, wünscht man ihm das fast: Mögen ihn die Wogen treuer Fans demnächst recht sanft in den Vorruhestand tragen.