laut.de-Kritik
Leise Elektro-Chansons vor lautem Publikum.
Review von Michael SchuhUm gezügelte Aufmerksamkeit seitens des Publikums ist es auf Depeche Mode-Konzerten eher schlecht bestellt. Vielmehr steht devotes Ab- und Sich-Selbst-Feiern auf dem Plan, ein Schauspiel, das sich bei der ersten Solo-Show von Songwriter Martin L. Gore auf deutschem Boden selbstredend wiederholte. Dass sich sein neuestes Album "Counterfeit²" dazu eigentlich überhaupt nicht eignet, spielte keine Rolle: penetrante Martin-Rufe und E-Werk-weite Hooligan-Sprechchöre stießen selbst dem Meister irgendwann unangenehm auf, als er nämlich den Velvet Underground-Klassiker "Candy Says" mit den Worten ankündigte: "Beim nächsten Song müsst ihr etwas ruhiger sein, wie eigentlich bei jeder Nummer".
Ein schwieriges Unterfangen für eine Fanmasse, die ihre Liebe zu Gores Hauptband noch immer durch Frisur-Imitationen, seltenen Fanclub-Shirts und Federboas zum Ausdruck bringt. Der Meister selbst stand ihnen im schwarzen Netzhemd mit Kettenring (!) allerdings in nichts nach. Dennoch: Martin L. Gore glänzte über die vollen eineinhalb Stunden als elegisch wimmernder Chansonnier der Neuzeit, indem er gestenreich die düsteren Highlights seiner persönlichen Plattenkiste unters Volk brachte. Peter Gordeno am Synthesizer und Album-Produzent Andrew Philpott am Programming-Pult sorgten für die minimal-elektronische Unterstützung. Neue Songs wie "I Cast A Lonesome Shadow" oder "Stardust" wurden artig beklatscht, das Traditional "Never Turn Your Back To Mother Earth" seines '89er Solo-Werks bereits als Oldie bejubelt. Überraschend zog Gore auch die Leonard Cohen-Coverversion "Coming Back To You" des Tribute-Albums "Tower Of Songs" aus dem Ärmel.
Die Dämme brachen jedoch erst bei Gores großer Depeche Mode-Show. Seine Umsetzung von "The Sweetest Perfection" setzte den Song nochmal neu unter Strom, bei "The Love Thieves" vom "Ultra"-Album durfte Gore seine Liebe zur Slide Gitarre unter Beweis stellen. Zum Höhepunkt des Abends avancierte die Endlos-Version von Nick Caves "Loverman", bei dem Gore sein stimmliches Können am eindrucksvollsten offenbaren konnte. "Walking In My Shoes" hätte dem Seismographen-Pegel dann endgültig den Garaus gemacht, hätte der Wahl-Kalifornier nicht noch zwei weitere Oldie-Schmankerl in den Zugabenblock verfrachtet: "A Question Of Lust" gefolgt von "Shake The Disease" trieben sogar Kollege und Fotogott Mengele zu ungeahnten Gefühlsregungen ("Mann Schuh, das is ja aus meiner Jugend ..."). Schade nur, dass der selbst ernannte Deutschland-Fan Gore den Kölnern ausgerechnet Nicos Ballade "Das Lied Vom Einsamen Mädchen" vorenthielt. Angst vor der korrekten deutschen Intonation hätte er bei seinem partywilligen Fan-Publikum jedenfalls nicht haben müssen.