laut.de-Kritik
Die Zelebrierung musikalischer Open-Mindedness.
Review von Alexander EngelenDer Tontechniker im Blind Guardian-Shirt, Jamiroquai für den Soundcheck, der Mikrofontester präsentiert sich mit Ugly Kid Joe-Print auf der Brust, und etliche hundert Zuschauer warten gespannt auf den Beginn eines Hip Hop-Konzerts. Das passt nicht zusammen? Oh doch, denn alles steht an diesem Sonntagabend für die Zelebrierung musikalischer Open-Mindness. Max Herre, Freundeskreis-Frontmann auf Solo-Pfaden, hält Einzug im Wiener WUK, das angesichts des hohen Besuchs aus allen Nähten platzt. Schade dabei ist nur, dass die Meute sich eher skeptisch gegenüber dem Support-Act Franky Kubrick verhält. Hat der Stuttgarter Rapper doch neben einem herausragenden Album auch die eine oder andere Ähnlichkeit mit dem Protagonisten des Abends.
Zumindest gilt das für die Deutschrap-Seite von Max Herre, die zwar lediglich eine Variante des schier endlosen musikalischen Horizonts des Wahl-Berliners beschreibt, aber trotzdem auch bei diesem Konzert nicht zu kurz kommen sollte. Gegen 21 Uhr betritt Max schließlich die Bühne, die voll gestopft mit Instrumenten kaum Platz für ausschweifenden Bühnensport bietet. Im Cord-Sakko entspricht der 31-Jährige zwar gar nicht mehr dem Bild, das er in den frühen Freundeskreis-Zeiten abgegeben hat, aber er ist mittlerweile eben zweifacher Familienvater. Außerdem sieht man vereinzelt Mitglieder des Teams in den von ihm besungenen Armyparkas über die Bühne huschen und zwar sogar in spezieller Form: die 73 auf dem rechten Arm könnte als Geburtsjahr Herres nur Zufall sein, der andere Arm verrät aber durch das Emblem des Gitarre haltenden Weltbürgers die Spezialanfertigung.
"Mein Song" eröffnet, gefolgt von "1ste Liebe", das das gesamte Publikum in bester En Directo-Manier lauthals mitträllert. Wie auch auf der angesprochenen Live-Platte "En Directo" (wohl eine der besten, die jemals in Deutschland gemacht wurden) unterstützen Max eine Vielzahl von Musikern: zwei Percussionisten, ein Bass, der aus "Deutschland sucht den Superstar" bekannte Pianist/ Keyboarder Lillo Scrimali, Freundeskreis-Gitarrist Frank Kuruc, sowie die Background-Sänger Celina Bostic und Fetsum. Besonders Celina und Fetsum machen dank stimmlich perfekter Unterstützung und pantomimisch-schauspielerischer Interpretation des Gesungenen eine wunderbare Figur. Bei der späteren Vorstellung ihrer Solo-Stücke drohen sie sogar Max selber die Show zu stehlen. Während Fetsum noch in bester Soul-in-Deutsch-Manier à la Xavier Naidoo die Massen begeistert, bringt Celina mit atemberaubender Stimme auf einem alles zerstörenden Synthie-Beat das Publikum zur Ekstase. Max selbst rückt bei diesen Performances in den Hintergrund, hat er doch die unbeschreibliche Stimmung durch seine Songs erst auf dieses Level gebracht. Dabei kommen die Songs der neuen Platte genauso beim Publikum an, wie die Stücke aus der Freundeskreis-Vergangenheit. Max gelingt es, zwischen Nostalgie und Aktualität, Vergangenheit und Gegenwart zu pendeln, um so die neuen, wie auch die alten Fans vollends zu befriedigen. Einen dieser Höhepunkte der Verbindung aus Alt und Neu bildet "Erste Schritte", das Max, Band und Celina nach einiger Zeit in Kanye Wests "All Falls Down" übergehen lassen.
Wie schon gesagt, sein musikalischer Horizont ist unermesslich, was sicher auch mit seinen endlosen musikalischen Talenten Hand in Hand geht. Er rappt, singt, spielt Gitarre und lässt es sich nicht nehmen, einen kleinen, aber feinen Freestyle zu kicken. Was bisher verborgen blieb: Max ist auch als Prince-Double äußerst talentiert. Denn wenn Wien den funky Shit mag, kann Wien den funky Shit in Form von Princes Single "Musicology" haben. Inklusive Keyboard-Solo von "The Artist Formerly Known As Maximilian". Schließlich kommt auch Max' erster großer Hit, besonders aus dem Grund, da sich auf dem neuen Album eine Fortführung der Geschichte des Kassenerfolgs "A-N-N-A" befindet. Dementsprechend mixt er Teil Eins und Zwei ineinander und malt sich aus, was wohl geschehen würde, wenn er seine Regenbekanntschaft von vor neun Jahren wieder sähe. Gefühlvolles Storytelling gibt es damit auf ganz persönliche Art und Weise, und die Zusammenführung von früher und heute klappt erneut. Die erste Zugabe nach eineinhalb Stunden beinhaltet "Zu Elektrisch", das Max mit sichtlicher Freude performt. Als Argument für den Vorteil einer Live-Band und den Beweis für die Klasse der Musik, lässt er das Instrumental kurzweilig stoppen, um sich über das Wohlbefinden eines Fans zu erkundigen. Ist alles klar, kann der Song ohne Absprache beim letzten Takt weiterlaufen.
Nach knapp zwei Stunden steht schließlich die Frage im Raum, wie man so einen exzellenten musikalischen Abend enden lässt. Viele wünschen sich den Überraschungsauftritt von Joy Denalane für Zugabe Nummer Zwei. Leider erfüllt Max dem Publikum diesen Wunsch nicht und reagiert auf die zahlreichen "Mit Dir"-Forderungen aus dem Publikum mit einem scheinheiligen "Mit wem denn?". Ohne Ehefrau Joy, die sich wohl in Berlin um die Kinder kümmern muss, geht es natürlich nicht. So muss schließlich das Rio Reiser-Cover "Halt An Deiner Liebe Fest" als Outro herhalten. Der Stimmung tut das keinen Abbruch, schließt dieser Roots-Reggae-Track doch noch einmal den Kreis der musikalischen Offenheit, die Max Herre nicht nur an diesem Abend, sondern auch in seiner langjährigen Karriere immer wieder unter Beweis gestellt hat.