laut.de-Kritik
Neue Tracks ernten Gegröle, aber keine Begeisterung wie die Klassiker.
Review von Giuliano BenassiDie Schweiz ist immer wieder für eine Überraschung gut. Drei Wochen bevor mit "Death Magnetic" das wohl am meisten erwartete Album der zweiten Jahreshälfte 2008 erscheint, spielen Metallica nicht etwa in der Heimatstadt San Francisco oder in einer namhaften europäischen Metropole, sondern in einem beschaulichen und musikalisch absolut unbekannten Städtchen namens Wil im Kanton St. Gallen, 17.000 Einwohner, gerade mal 30 Km von der laut.de-Redaktion entfernt. Wir machen uns auf den Weg in der Hoffnung, dass James Hetfield und Konsorten auch das eine oder andere neue Stück spielen, noch vor den offiziellen Release-Gigs in Berlin (12.9) und London (15.9.).
Bei bestem Wetter kann eigentlich nicht viel schief gehen. Denken sich wohl auch die weiteren 35.000 Zuschauer, die sich auf der großen Weidefläche getroffen und die für solche Dimensionen nicht geeignete Infrastruktur völlig überlastet haben. Dafür geht die Sonne direkt vor der Bühne hinter einem Waldstück unter. Metallica werden sich über den bukolischen Austragungsort genauso gewundert haben wie die vielen Fans aus den Nachbarstaaten.
Kaum ist die Sonne weg, geht es los. Spaghetti-Western-Intro, dann "Creeping Death", "For Whom The Bell Tolls" und "Ride The Lightning", die dem Publikum ordentlich einheizen, wobei es direkt vor der Bühne erstaunlich friedlich zugeht. Mehr zu tun gibt es bei der ersten Absperrung, vor der die Security teilweise übertrieben hart vorgeht und auch mal die Fäuste auspackt. Einzelne Episoden, die die gelassene Stimmung nicht trüben, zumal das Publikum vom Alter her bunt gemischt ist.
Hetfield, der aussieht wie ein gut 50-jähriger Harley-Fahrer, hat alle fest im Griff. "Leper Messiah" und "Welcome Home (Sanitarium)", dann endlich die Ankündigung , auf die wir gewartet haben. "Bald kommt ein neues Album raus. Es soll sehr gut sein. Wollt ihr etwas davon hören?"
"Cyanide" beginnt mit einem ordentlichen Riff, besitzt ein paar langsame Passagen, handelt von Selbstmord und Tod und weist wieder ein Solo vor. Back to the Roots, also? Schwer zu sagen, aber bezeichnenderweise spielen Metallica bis auf zwei Songs von ihrem schwarzen Album von 1991 nur Stücke aus den 80er Jahren. Kein "Load", "Reload" oder "St. Anger" – sehr zur Freude der Anwesenden, die den neuen Track mit höflichem Gegröle quittieren.
Begeisterungsstürme lösen die Klassiker aus, die anschließend pausenlos aufeinander folgen, von "And Justice For All", "Fade To Black", "Master Of Puppets" und "Whiplash" bis zur Schnulze "Nothing Else Matters". Ein gewaltiges Feuerwerk rüttelt bei "One" alle wieder wach, bevor die Zugaben "So What", "Motorbreath" und "Seek & Destroy" den gelungenen Auftritt abschließen.
Vielleicht hätten Metallica noch länger gespielt, wenn nicht um 22 Uhr Deadline gewesen wäre, dafür lassen sie sich noch lange feiern und werfen Dutzende Plektren in den Zuschauerraum. "Hey Switzerland, you motherfuckers are fucking great", bedankt sich Gitarrist Kirk Hammett artig. Bald werden wir wissen, ob die neue Platte hält, was sie verspricht. Eines steht fest: Metallica lassen sich nächstes Jahr wieder auf der Bühne blicken.