15. April 2011
"Ich bin halt kein Dave Matthews"
Interview geführt von Artur SchulzIm Gespräch mit laut.de reflektiert der Sänger die politische Lage in seinem Heimatland, erläutert den Einfluss Springsteens auf seine Arbeit und verrät das Rezept eines guten Songs.Das Interview mit Milow findet in einem nüchternen, für kleine Konferenzen ausgelegten Raum in einem Hamburger Hotel statt. Der Sänger verfügt über eine gleichermaßen höfliche wie freundliche Ausstrahlung. Er bietet Getränke an, ich nehme gern einen Becher Kaffee mit Milch und Zucker. Bereits im Small Talk-Verlauf der Begrüßung entwickelt sich eine angenehme Atmosphäre. Im eigentlichen Gespräch zeigt sich Milow offen, unkompliziert, und auch nachdenklich.
Hallo Milow, in Sachen Promo-Tagen bist du derzeit europaweit unterwegs. Wie gefällt es dir hier in Deutschland?
Von jeher mag ich es, in Deutschland zu sein. Und das ist nicht nur der übliche Schmus, den jeder Musiker in jedem Land von sich gibt! Dafür gibt es eine Menge Gründe. Seit meinen Anfängen war da immer was ganz Spezielles zwischen mir, meiner Musik und den Menschen hier. Das liegt daran, dass es nirgendwo in der Welt so viele Leute gibt, die mir und meiner Musik außerhalb Belgiens eine Chance gegeben haben. Und von vornherein offen waren, sich mit ihr auseinandersetzen. Nirgendwo anders habe ich so viele Konzerte - auch richtig große! - gegeben. Mehr als zu Hause in Belgien. Irgendwie ist das unglaublich. Allein drei meiner Auftritte habe ich hier in Hamburg gespielt - auch als Support-Act -, diese Stadt hat also was für mich Besonderes. Das Telefon klingelt, oder eine Mail kommt mit einer Anfrage für Hamburg - und ich sage mir: Klasse, es geht wieder los, hierher komme ich besonders gern zurück.
Du sollst zu den Künstlern zählen, die ohnehin viel lieber live auftreten, als im Studio zu sitzen. Oft ist es umgekehrt. Ist das richtig?
Ja. Das mag ich, und das brauche ich. Denn das ist die eigentliche Essenz des Musikmachens: auf der Bühne zu stehen, und diese besondere Magie zu zelebrieren, zwischen den Zuhörern, Musikern und mir. Es ist ein ständiges Geben und Nehmen. Der eigentliche Grund, Alben zu machen, ist der, um danach wieder mit neuen Sachen auf die Bühne gehen zu können. Ob nun vor 5.000 oder nur vor fünf - das ist egal. Wichtig ist, dass etwas Positives passiert, man sich gemeinsam austauscht. Es ist ein Gemeinschaftserlebnis, das ich nicht missen möchte.
Was ist das Besondere am neuen Album? Worin unterscheidet es sich von den Vorgängern?
Ich versuche, mich nicht zu wiederholen. Ich versuche immer, neue Dinge mit einzubringen. Hier ist es mein zweites reguläres Studio-Album, in Belgien sind insgesamt drei erschienen. Das dortige zweite erschien in Deutschland ergänzt mit Stücken aus dem ersten. Neue Sounds sind wichtig. Es ist natürlich ein Milow-Album, das keinen radikalen Umbruch beinhaltet. Aber ich habe Wert darauf gelegt, frische Elemente einzubauen und einzubinden. Beispielsweise in den Arrangements: dort finden sich mehr elektronische Parts als früher. Auch am Gesang habe ich gefeilt. Nun gelte ich stimmlich als sanfter Sänger, habe aber daran gearbeitet, in einigen Tracks mehr Druck und Volumen einzubringen. Ich kein Typ, der sagt: "das und das habe ich erreicht, so hat es zu bleiben".
Ich versuche, mich als Sänger und Songwriter weiterzuentwickeln, gerade live auch aus alten Songs Neues herauszukitzeln. Sei es im Arrangement, oder der persönlichen Interpretation. Irgendwie findet sich nie etwas, von dem sich sagen lässt, das ist nun die einzig allgemeingültige Herangehensweise. Balance und Struktur kann man, soll man verändern, eben, um zu verbessern. Was aber auch Gefahren mit sich bringt: in Form von womöglich nicht so gelungenen Resultaten. Aber ich bemühe mich!
Der Alben-Titel "North And South" assoziiert konträre Dinge, ebenso wie die Unterschiede zwischen Liebe und Hass. Ist dir diese Gegenüberstellung verschiedener Pole ein besonderes Anliegen?
Ich kann Alben nicht einfach als eine beliebige Ansammlung von Songs angehen, es bedeutet mir mehr als nur eine schlichte Kollektion. Es gibt immer Ansatzpunkte und Positionen, die für sich allein stehen, aber in Verbindung mit anderen Dingen gesehen werden müssen. Ein Album reflektiert die jeweilige persönliche Periode, in der man sich in seinem Leben befindet. Für mich beinhaltet das die Auseinandersetzung mit Sachen, die mich bewegten in der Zeit seit der letzten Veröffentlichung, inklusive allen Gegensätzen und Widersprüchlichkeiten. Du hast gute Tage, du hast schlechte Tage. Extreme bestimmen unser Leben. Die Dinge, die dazwischen geschehen, benutze ich gern als Themen für meine Songs. Und setze das im Text auch gern als Gegensatz zu dem um, wie ich die Dinge eigentlich sehe, etwa bei "You And Me (In My Pocket)".
Politik ist mir ebenfalls ein Anliegen, wie in "The Kingdom" umgesetzt. Da beleuchte ich aus meiner Sicht die derzeitige Konflikt-Problematik zwischen dem Norden und Süden Belgiens. Mit jedem Song versuche ich, etwas Besonderes, Eigenes umzusetzen und zu verarbeiten. Nicht nur in den Lyrics, auch in den Arrangements, was sich z. B. in den elektronischen Parts widerspiegelt. Elektronik ist wird eher als kalt assoziiert, und meine Gitarren-Musik eher warm. Manche mögen denken, derartige Kontraste lassen sich nicht miteinander vereinen. Doch das bringt meine Vorgehens- und Sichtweise vielleicht am besten auf den Punkt: durch das Brechen eigentlich feststehender Gewohnheiten dennoch etwas Harmonisches zu erschaffen. Das dann beim Hören schlicht Spaß macht.
Wie etwa bei der berühmten "Ayo Technology"-Single?
Genau. Das war ein früher Versuch, und ich glaube, dass das gut funktionierte.
"Radio-Sender spielen niemals Alben-Tracks"
Kann man "North And South" als ganz altmodisches Konzept-Album bezeichnen?In meiner persönlichen Plattensammlung finden sich eine ganze Menge solcher Alben, die ich sehr mag. Aber ich würde nicht so weit gehen, "North And South" als handfestes Konzept-Album zu bezeichnen. Es sind Umsetzungen verschiedener Beobachtungen, jeweils für sich allein stehend, aber dennoch in der Zusammensetzung als großes Ganzes zu verstehen. Natürlich steht hinter jeder der Platten ein gewisses Konzept, das ich umsetze. Wie bereits erwähnt, war meine erste Veröffentlichung im deutschsprachigen Raum die Zusammenfassung zweier separater Alben. Rückblickend empfinde ich das gerade heute nicht als beste Idee, eben weil sich das Ganze so mehr wie eine Compilation anhört, statt wie ein eigenständiges Album. Was die CDs separat auszeichnet, kommt in so einer Zusammenstellung nicht richtig zum Ausdruck.
Ich glaube, ein altmodisches Konzept-Album hätte es heutzutage viel schwerer als früher, weil sich der Umgang mit Musik und die Hörgewohnheiten stark verändert haben. Nehmen wir Radio-Sender: die spielen heutzutage niemals Alben-Tracks, die spielen nur Singles. Oder die Songs werden auf einem IPod gehört, mit dem man ständig zwischen den einzelnen Tracks hin- und her skipt. Das, was ein Konzept-Album ausmacht, geht dabei natürlich völlig unter. Ich hoffe für mich, dass sich die Leute - gern - die Mühe machen, in Ruhe die komplette Platte anzuhören. Ich mag Alben, bei denen es sich lohnt, sie in voller Länge zu spielen. Das mache ich gern im Auto: ich skippe ungern hin und her, sondern lege ein, und lasse laufen von A-Z. Es gibt leider zu viele Alben, auf denen sich nur eine Handvoll guter Songs befinden, es zum Ende hin aber immer weiter bergab geht. Ich versuche, das besser zu machen! (Schmunzelt) Ohnehin sollte es für jeden Musiker Anspruch sein, einen Longplayer ohne Füller und überflüssige Nummern einzuspielen.
Das gelingt nicht vielen. Aktuell fälllt mir da nur das Album von Ron Sexsmith ein ...
... ja, ein toller Sänger! Du hast es schon gehört? Ich bin noch nicht dazu gekommen, aber schon sehr gespannt. Er ist ein aufregender Künstler, und es ist schon erstaunlich, dass er - obwohl ja nie den Massengeschmack bedienend - dennoch den verdienten Erfolg hat. Wir sind beides Musiker, die trotz unterschiedlicher Umsetzung ähnliches Terrain beackern, in gewisser Weise ein recht altmodisches. Ist das neue Album gut?
Unbedingt hörenswert! Nicht mehr ganz so indie-like in den Arrangements wie früher, aber auch nie zu, hmm ...
... cheesy?
Genau. Macht es dir viel Spaß, mit anderen Künstlern zusammenzuarbeiten? Ich sah dieser Tage ein Video von dir, im Verbund mit Marit Larsen und "Out Of My Hands".
Mit Marit war es eine tolle Sache. Sie ist ähnlich Old School gelagert wie ich. Mir gefällt besonders ihre Stimme. Als ich sie das erste Mal hörte, musste ich sofort an Dolly Parton denken - nicht im Negativen, ganz im Gegenteil! Ich mag eben einzigartige, unverwechselbare Stimmen, wie etwa bei Emmylou Harris. Vergleiche gehören einfach dazu.
Würdest du dich als innovativen Künstler bezeichnen?
Nun, als Musiker stehen wir heute ja nicht mehr am Anfang der Entwicklung von Sounds und Stilen, die Zeit der großen, bahnbrechenden Entdeckungen und das Austüfteln neuer Genres ist seit den Fünzigern und Sechzigern eigentlich vorbei, mit gewissen Ausnahmen. Ich kann auch von mir nicht behaupten, nun gänzlich Neues zu erfinden. Ich mache eher ein Update dessen, was bereits existiert. Man sollte nicht den Fehler begehen, alte Sounds einfach nur zu kopieren. Ich lebe hier und heute, und darum muss meine Musik ebenfalls wie von heute klingen - auch, wenn die Basis in früheren Jahrzehnten gelegt wurde.
Persönlich bin ich von all den großen Singer/Singwritern vergangener Epochen beeinflusst. Es kommt alles einmal zurück, was es früher gab. Das gilt es dann, aufzugreifen und so umzusetzen, dass es in die jeweilige Zeit passt. Ich liebte früher - und heute - Alben von Joni Mitchell, Neil Young und Bruce Springsteen. Was ich an der Entstehens-Periode jener Tage liebe, ist: da war kein langer Weg zwischen dem Schreiben und dem Aufnehmen der Songs. Es wurde nicht ellenlang herumgetüftelt, umgeändert und herumgebastelt zwischen der eigentlichen Ur-Version und den Einspielungen für die Platten. Ein guter Song ist ein guter Song, und fertig. Der braucht nicht viel Brimborium drumherum in Sachen Nachbearbeitung. Das ist eine Erkenntnis, die ich mir für meine Sachen stets vor Augen halte. Weniger ist mehr!
"Springsteen ist der Größte"
Du hast gerade für Springsteen sehr viel übrig. Ist er eine Art Idol für dich und deine Arbeit?Ich würde ihn nicht als Idol bezeichnen. Ich habe in meiner Jugend auch nie irgendwelche Poster von ihm oder anderen Stars in meinem Zimmer gehabt. Der Begriff "Idol" hat immer so etwas Irritierendes. Ich respektiere ihn und seine Arbeit sehr, und er hat mich sehr beeinflusst. Es geht dabei weit über etwas rational Erklärbares hinaus. Ich mag die Art seiner Sprache, wie er in den Texten Gefühle und Empfindungen umsetzt. Und es dabei schafft, eine in sich stimmige, besondere Geschichte zu erzählen. Mitsamt Bildern, die im Kopf des Hörers entstehen. Springsteen arbeitet ähnlich, wie gute Bücher und Filme aufgebaut sind: mit einem Anfang, einem Mittelteil und einem befriedigenden Schluss. Das ist etwas, was ich von Springsteen gelernt habe: einen Song aufzubauen. Ihm eine Einleitung zu geben, und dann immer weiter zu gehen, alles immer besser zu entwickeln.
Richtig gutes Storytelling ist eine der wunderbarsten Sachen überhaupt, und der Boss ist da einfach der Größte. Er ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich ein Künstler auf dem schwierigen Grad zwischen Authentizität und kommerziellem Erfolg, Airplay usw. bewegen muss. Er hat "Nebraska" gemacht, er hat "Born In The USA" gemacht - künstlerisch zwei völlig unterschiedlich zu bewertende Alben. Die Balance stimmt bei ihm, zwischen Erfolg und gleichzeitiger Bodenständigkeit als Musiker. Für Leute meiner Generation ist er einfach nur Wow und unglaublich in dem, was er gemacht und erreicht hat. Man kann so viel von ihm lernen. Doch man soll nicht den Fehler begehen, jemanden bloß zu imitieren. Springsteen lebt in Amerika, und schreibt über die die dortigen Verhältnisse. Ich lebe in Belgien, und schreibe über meine Welt. Alles andere wäre aufgesetzt und unglaubwürdig.
Du legst sehr viel Augenmerk auf deine Lyrics. Was ist da der Antrieb? Viele machen es sich einfacher mit ihren Texten.
Das hat mit der gesamten Glaubwürdigkeit eines Songs zu tun. Ich möchte kein Blabla anbieten. Wenn ich nicht wirklich an etwas glaube, kann ich es auch nicht überzeugend rüberbringen. Die Leute glauben mir, wollen meinen Songs glauben, und da habe ich die Verpflichtung, mein Bestes zu geben. Ich bin kein sonderlich guter Gitarren-Spieler ...
... das sehen viele aber gewiss anders, mich eingeschlossen ...
... mag sein, aber ich bin halt kein Dave Matthews, versuche dennoch, mein Bestes herauszuholen. Viel entscheidender sind meine Stimme und meine Stories. Damit muss ich das Publikum überzeugen. Mit meiner Perspektive der Dinge, wie ich sie umsetze. Die Songs müssen überzeugen. Ich möchte kein austauschbarer, nur weiterer Singer/Songwriter sein. Das geht nur mit echten Gefühlen und echten Gedanken. So entsteht dann ein Song wie "The Kingdom". Ich mag international klingen, spiele in vielen Ländern. Doch so ein Song ist meine Art, den Zuhörern zu erläutern, woher ich eigentlich komme, wo meine Wurzeln sind.
Für einen Außenstehenden wie mich ist schwer nachvollziehbar, warum gerade jetzt die Nationalitäten-Konflikte in Belgien einen so großen Raum einnehmen. Ich hatte immer den - wohl blauäugigen - Eindruck, dass sich das Verhältnis zwischen Flamen und Wallonen eigentlich entspannt und normalisiert hat.
Ach, darüber könnte ich Stunden sprechen, was dort derzeit alles geschieht, und in der Vergangenheit geschah. Es ist eine sehr trübsinnige, komplizierte Situation. Es geht zurück auf die Zeit um 1830, als Belgien gegründet wurde. Dinge, die im zweiten Weltkrieg passierten, tragen ebenso dazu bei. Politisch blieb vieles seit Staatsgründung unaufgearbeitet, es wurden immer wieder zu viele faule Kompromisse gemacht, die heute einfach nicht mehr funktionieren. Es fehlte stets an richtigen Lösungen, diesen Staat auf ein solides Fundament zu stellen. Die Politiker des Nordens und des Süden waren dazu nie in der Lage. All das schlummerte seit Jahrzehnten unter der Oberfläche, und der Rest der Welt nahm davon nie richtig Notiz. Bis jetzt, wo so Vieles wieder aufbricht, was Rivalitäten innerhalb des Landes angeht.
Wir haben mittlerweile 2011, die EU hat ihr Hauptquartier in Brüssel, doch viele Leute haben das Gefühl, dass ihnen alles aus der Hand gleitet, außer Kontrolle gerät. Die Welt ändert sich eben, entwickelt sich globaler, und gerade in so einer Phase halten viele den Fokus ausschließlich aufs eigene Land.gerichtet. Und da sind eben die alten Gegensätze zwischen Nord und Süd bei uns, oder Gegensätze zwischen Jung und Alt. Anstatt vernünftig miteinander zu reden und gemeinsame Lösungen zu finden, macht man sich untereinander Vorhaltungen, und schiebt Schuldzuweisungen hin und her. Nun kann ich nur für mich selbst sprechen, und in dem Song bringe ich meinen Frust über all das zum Ausdruck. Ich bin gern ein optimistischer Mensch, habe aber im Moment nicht die große Hoffnung, dass sich derzeit all das lang Angestaute in einem für Belgien positiven Kontext aus der Welt schaffen lässt. So heißt es im Kleinen zunächst nur, abzuwarten, und zu sehen, was die Zukunft bringt.
Milow, vielen Dank für das offene Gespräch!
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