laut.de-Kritik
Der Australier pfeift auf den bestuhlten Saal.
Review von Benjamin Fuchs"Angeschmiert", mochte man schadenfroh denken, als Nick Cave nach einigen Songs die Zuschauer in der vollbestuhlten Bonner Beethovenhalle bat, nach vorne zu kommen und das Konzert stehend vor der Bühne zu verbringen.
Angeschmiert waren vor allem jene, die sich eine Karte der besten Plätze knapp unter 100 Euro haben kosten lassen. Das Spontane daran gefällt zwar, denn Cave pfeift damit auf das Argument, dass wer mehr bezahlt hat, auch mehr sehen sollte, aber seinem Portemonaie gereicht es schließlich nicht zum Nachteil. Dennoch: Dort sitzen nicht nur gesetzte Damen und Herren mit dicker Börse, die Champagner mit Blattgoldeinlage schlürfen, sondern auch Studenten. Ergebene Fans, die lange auf den Abend hingefiebert - und denen dieser Geldbetrag weh tat.
Die Zuschauer auf den teuren Plätzen sollten bei Cave jedoch das gleiche bekommen wie alle anderen. Wozu dann gestaffelte Eintrittspreise? Fair wäre gewesen, einen einheitlichen Preis zu verlangen, wenn der Sinn von Platzkarten ohnehin untergraben wurde.
Und so passierte an diesem Abend auf dem Solo-Konzert von Nick Cave so einiges überraschendes. Vieles davon irritierte, manches machte glücklich. Doch arbeiten wir zunächst an den irritierenden Momenten weiter: Das Konzert ist keineswegs eine Solo-Show. Die drei anderen Musiker - aus der Besetzung der Bad Seeds, Teufelsgeiger Warren Ellis, Bassist Martyn Casey und Drummer Jim Sclavunos - sind nicht stille und passive Begleitmusikanten. Wer Nick Cave im Anzug hinter seinem Klavier erwartet hatte, der seine schönsten Balladen präsentiert, hatte Pech gehabt. Denn obwohl das Plakat eben dies suggerierte, schien Cave darauf keine große Lust zu haben.
Vielmehr spielte er eine Rockshow, die in weiten Teilen ausgiebig lärmte. Und es lärmte sehr sehr gut. Schade, dass in dieser Konstellation ausgerechnet "Babe, I'm On Fire" von "Nocturama" fehlten. Die Beethovenhalle kam dem Treiben mit ihren Klangeigenschaften entgegen, der Sound war auch in lauten Momenten differenziert, wenn es leiser wurde, blieb er dennoch satt.
Beim gospeligen "God Is In The House" forderte Cave das Publikum zum Mitsingen auf. Sie folgten ihm bedingungslos. Gegen Ende des Songs, in dem eine Acapella-Passage an der Reihe war, verpassten die Besucher jedoch den Einsatz völlig. Cave kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Immer wieder fragt er das Publikum, was sie hören möchten, geht aber nur auf wenige Wünsche ein. Er spielt "The Weeping Song", People Ain't No Good", "Abbatoir Blues", zwischendurch kommen ein paar trockene, aber lustige Sprüche über seine Lippen.
Den größten Eindruck hinterlässt aber Warren Ellis. Was für ein Geiger er doch ist. Im schummrigen Licht der nachkriegsbarocken Beethovenhalle gab er alles, schüttelte sein Haar, sprang auf der Bühne herum, krümmte sich ekstatisch bewegt zur Musik und verursachte im Haar des Geigenbogens mehr als nur Spliss. Wer so spielt, braucht vermutlich alle zwei Abende einen neuen. Ellis entlockte seiner Geige jeden erdenklichen Ton und machte das eigentlich zarten Klängen vorbehaltene Instrument zu einem des R'n'R. Ja, eine Geige kann die Rolle einer Solo-E-Gitarre einnehmen und ein Geiger kann zu einer Art Jimi Hendrix werden - wenn er weiß, wie mans macht.
Die erste Zugabenrunde konnte noch begeistern, mit der zweiten zeigte Cave den Willen, sein Publikum Heim zu schicken. Nach "Wonderful Life" verließen Glamour und ausgelassene Begeisterung die Halle, um mäßig spannenden Songs Platz zu machen. So forderte nach knapp zwei Stunden Konzert kaum jemand eine dritte Zugabe, die Cave ohnehin nicht gegeben hätte, denn das Licht ging im Eiltempo wieder an.
Ein schaler Beigeschmack von Routine blieb nach der Show übrig. Ebenso die Erkenntnis, dass es kaum möglich ist, einer Ticketpreisspanne zwischen 50 und 100 Euro gerecht zu werden. Denn mal ehrlich: Welches noch so gute Konzert rechtfertigt derartige Eintrittspreise?