6. August 2024

"Ich hoffe, dass unsere Plattenfirma die Nerven behält"

Interview geführt von

In einem Interview mit Pepe Deluxe erfahren wir viel über die finnische Kultur, warum eine Tropfsteinhöhle magisch ist, die Angry Birds eine Herausforderung waren und wie man eine Mammut-Flöte in den Bigger Than Life-Stil der Band integriert.

Pepe Wer? Das finnländische Projekt um Jamie Spectrum und Paul Malmström ist bei uns nicht sehr bekannt, dabei sampelten schon The Prodigy ihren Song "Salami Fever", und auch Angry Birds-Zocker haben vielleicht noch den Soundtrack des spaßigen Casual-Games im Kopf. Die finnischen Kreativ-Köpfe sind eben im Herzen noch Kinder, die in Indiana Jones-Manier ständig nach Artefakten suchen und diese auf ihren Alben verwenden.

Welche Band kann also schon behaupten, eine Mammut-Flöte zu bedienen oder auf einer Wurlitzer, die einst auch Frank Sinatra in einer Zeppelin-Bar bediente, zu spielen. Lustig, dass ausgerechnet eine alltägliche Sache wie die Teams-App Probleme bereitet, aber auch mit schwarzem Video-Fenster bleibt James Spectrum ein interessierter Gesprächspartner mit breitem finnischen Akzent. Nach dem Interview senden wir uns Emails über zukünftige Filme und ein paar Musiktipps hin und her, der Trailer zu dem Nosferatu-Remake von Robert Eggers löst große Begeisterung aus. James ist ein Type, mit dem man stundenlang in einer Bar in Helsinki sitzen und bis tief in die Nacht über alles Mögliche reden möchte. Eine Eigenschaft, die man gar nicht mehr so häufig in diesen Tagen antritt und natürlich das Interview sehr angenehm macht.

James: Hey, sorry. Ich kenne mich auch mit so etwas aus und benutze auch "Teams" öfter für Meeting, aber mein Notebook ist noch neu und da funktioniert leider noch nicht alles. Naja, so kommst leider doch nicht zu der Möglichkeit mein wunderschönes Gesicht und mein Bauhaus-Shirt zu sehen. Tut mir verdammt leid!

Tja, dafür musst du nun meine hässliche Fresse sehen. Technik halt. Hey, wo bist du gerade. In Helsinki?

Ja genau, heute ist mal ein Day-Off von meiner Studioarbeit und ich passe auf die Kinder auf. Die sind aber an einem so schönen Sommertag wie heute draußen und ich bastele weiter an elektronischen Dingen im Haus herum. Wo bist du gerade?

In Siegen, das wirst du wahrscheinlich nicht kennen. Aus der Nähe, in Kreuztal, kommt allerdings Hauschka. Der Musiker, der für "Im Westen Nichts Neues"unter anderem diesen Dreiton-Sound gemacht hat und dafür sogar den Oscar bekam.

Ja ich kenne Hauschka. Nicht persönlich, aber mein enger Freund und ehemaliger Pepe-Live-Schlagzeuger Samuli Kosminen hat einige Male mit ihm gearbeitet.

Wow, das ist interessant! Ihr habt ja eh ein gutes Netzwerk mit prominenten Namen. Ich habe gelesen, dass Pepe Deluxe bereits Remixe für Eminem, Tom Jones und viele sehr bekannte Künstler produzierten. Ist es für dich ärgerlich, wenn man dabei im Hintergrund bleibt und diesen Leuten zuarbeitet?

Da haben wir ehrlich gesagt nie wirklich drüber nachgedacht, gerade am Anfang waren wir einfach absolut froh, einen Deal bei einem Label zu haben. Zu dem Tom Jones-Remix kam es eigentlich, weil uns damals jemand bei Sony unter Vertrag nehmen wollt, aber das irgendwie doch nicht klappte. Der Typ, der uns unter Vertrag nehmen wollte, hat aber dann immerhin einen Remix klargemacht. Da waren wir also am Anfang unserer Karriere auf dem Remix-Album, in richtig guter Gesellschaft mit so namhaften Künstlern wie Portishead.

Wir haben in unserer Karriere mit wirklich berühmten Menschen zusammen gearbeitet, aber so wirklich Interesse an großer Berühmtheit war nie da. Du musst auch sehen, dass ich der Typ aus Finnland bin und DJ in einer großen Medienagentur in New York arbeitet. Ich bin da eigentlich "nur" James Spectrum aus dem kleinen Finnland, und er ist der große Kreativkopf in einer New Yorker Medienagentur.

Wir schauen bei Zusammenarbeiten nie darauf, ob das nun ein großer Name ist. Wir nehmen jede Arbeit ernst. Ein Problem, was ich da auch bei einigen berühmten Künstlern sehe: sie haben zwar ihren Fame, aber geben gleichzeitig ihre Kontrolle an alle möglichen Leute ab. Wir können in Ruhe an unseren verrückten Ideen arbeiten, ohne irgendeinen Manager oder jemand, der uns ständig reinredet. Wir sind damit unser Label wirklich sehr glücklich. Die lassen uns einfach machen oder unterstützen uns so gut wie sie können. Das ist eben auch das Problem mit den großen Majors, wo alle diese Promis an ihre Verträge gebunden sind. Da sitzt dann grundsätzlich ein Typ oder Anwälte, die deine Ideen sofort abschmettern oder versuchen aufzuhalten.

Finnland ist ja ziemlich bekannt für seine Metal-Kultur. Fühlt man sich mit euer Art Musik nicht eher wie ein Außenseiter?

Ja, das ist ja mittlerweile eine Art Meme. Wir haben hier Finnland die größte Metal-Gemeinde im Vergleich zu der Einwohnerzahl. Ich habe tatsächlich auch als Kind in einer Metal-Band gespielt, und einer unser Tracks "Salami Fever" ist voller Metal-Riffs. Ich mag die Metal-Leute grundsätzlich sehr, und wir haben auch schon mit dem Drummer von Nightwish zusammen gearbeitet, Wir schauen bei Pepe Deluxe grundsätzlich nicht auf den Genre-Background der Leute, mit denen wir zusammen arbeiten.

Euer neues Album heißt "Comix Sonix". Ihr verfolgt auf euren Alben diese Bigger-Than-Life-Muster.

Ja, definitiv! Einer meiner besten Freunde hat mal gesagt, dass ihn unsere Musik an "Comic-Book-Music"erinnert. Das ist die bisher die beste Beschreibung unsere Musik. Es ist auch eine Art Tribute an den Gründer von Catskill Records, der auch mal einen Comic-Laden besaß.

Also schön, dass so viele Künstler Musik über ihre Beziehungen schreiben wollen, aber wir von Pepe Deluxe haben grundsätzlich eine "The Bigger,The Better"-Haltung, wie eben in diesen Comics. Aber das soll nicht heißen, dass wir ein Haufen Komiker sind und das aller purer Quatsch ist. Wir nehmen das alles schon sehr ernst, aber natürlich mögen wir auch diese "Typ spielt auf der Spitze eines Berges und Laserstrahlen kommen aus seinen Augen"-Motive. Ich glaube, diese Begeisterung für diese Art kindliche Begeisterung kommt auch aus unserem Beginn als Hip Hop-Band. Diese Kultur hat was sehr Kompetitives, aber gleichzeitig ist da auch ein fast verspielter Umgang mit Musik.

Genau das wollte ich unbedingt ansprechen. Wie sehr mich eure Musik oder der Ansatz sehr an ein Kind erinnert, dass gerade wirklich eine neue Welt entdeckt und mit einer großen Neugier und Begeisterung alles ausprobieren möchte. Ich hoffe, das kommt jetzt nicht despektierlich rüber?

Ne, genauso ist es ja! Wir versuchen, diesen Spirit aus der Kindheit zu behalten. Je verrückter die Idee ist, desto mehr reizt sie uns. Weißt du, darum geht es eigentlich: Wir probieren viel aus, machen dabei auch einige Fehler. Ein paar Hardcore-Fans von uns behaupten, dass unsere Sachen total perfekt wären. Nee, ganz bestimmt nicht. Wir haben eine Unmenge an Musik produziert, wo wir uns auch beim Ausprobieren übernahmen oder es einfach im Endeffekt nicht gut war. Aber es geht echt nicht immer darum, dass man sich zu viel einen Kopf macht, sondern das innere Kind übernimmt und mal die Neugier aufrechterhält. Ich meine, wir sind umgeben von Dingen, die einen inspirieren, und hoffentlich inspirieren wir wiederum andere Menschen.

Als kleiner Junge habe ich auch alle paar Monate meine Interessen und Hobbys gewechselt und konnte nie wirklich lange an einem Ort bleiben. Musik war für Paul und mich auch immer der Aufhänger, um auf neue Abenteuer zu gehen und keinen Bürojob angehen zu müssen. Wir sind einfach an allem interessiert: Bücher, Filme, Instrumente, Wissenschaft. Wir werden auch immer nur als Musiker wahr genommen, aber das geht ja alles noch viel weiter, mit visuellen Dingen wie Videos, in die wir genauso viel Arbeit hinein stecken.

Und inspiriert einfach alles und das kommt aus allen möglichen Richtungen. Wir haben auch einen Song über Architektur. Darauf sind wir gekommen, weil wir einen Haufen Geschichtsbücher durchgelesen haben. Pepe Deluxe sind auch sehr visuelle denkende Menschen. Wir sehen die Musik eigentlich erstmal vor unserem geistigen Auge. Ich sende Paul manchmal zuerst, was sich gerade in meinem Gehirn für Bilder aufbauen. So etwas wie "Lass uns ein Gitarren-Solo erschaffen, das so klingt, als ob ein japanischer Samurai eine Horde Dämonen niedermetzelt." Er setzt sich dann sofort dran und arbeitet das weiter aus.

Kannst du dir eigentlich vorstellen, auch noch ein Comicbuch über "Comix Sonix" heraus zu bringen?

Tatsächlich hatten die Leute von Catskills Records das mal angeregt. Aber das ist eben auch eine finanzielle Überlegung, und man darf sich grundsätzlich auch nicht komplett übernehmen. Du solltest die Musik praktisch erstmal mit Ohren sehen, also es ist immer halb visuell und halb Musik. Ich glaube, die komplette Experience unserer Musik bekommst tatsächlich, wenn du dir richtige fette Kopfhörer aufziehst, die Rollläden runterdrehst, dich total drauf einlässt und sich dann wahrscheinlich in deinem Gehirn großes Kopfkino bildet. Vielleicht ist verrückt auch gar nicht das richtige Wort, um die Musik zu beschreiben. Ich lese das häufig in Reviews. Es wird wahrscheinlich als bekloppt oder verrückt angesehen, weil der Reviewer seine Standards eher woanders hat und ihm das extreme over-the-Top vorkommt. Der derzeitige Popmusikstandard ist leider nicht sonderlich vielschichtig, wie das zum Beispiel noch bei "Good Vibrations" von den Beach Boys der Fall war.

"Es ist so etwas wie achte Weltwunder, und dieser Moment ist pure Magie."

Den Satz mit der Inspiration anderer Menschen fand ich gerade besonders schön. Musik sollte eh eine Sache sein, die man mit vielen Leuten teilt oder was zurückgibt. Also keine Audienz, wo Unwürdige Teil deines Genies sein sollen.

Also wir lieben es, mit großartigen und sehr talentierten Musikern, die wahrscheinlich alle viel besser als wir sind, zusammenzuarbeiten. Ich würde mich selbst auch gar nicht so sehr in erster Linie als Musiker bezeichnen, sondern eher eine Art Director, der Musik richtig arrangiert, und manchmal brauche ich dafür eben einen großartigen Metal-Drummer, der meine Idee besser umsetzen kann, als ich es je könnte. Ich bringe sie umgekehrt dazu, mal außerhalb ihres Genres neue Sachen auszuprobieren und mal etwas zu improvisieren. So entstehen Synergien, und am Schluss profitiert jeder davon. Es geht nicht immer darum, Dinge zu nehmen, sondern auch weiterzugeben.

Es ist fast wie in den Sechzigern, wo die Bands sehr kreativ waren und vollkommen neue Sounds ausprobierten. Mit jedem neuen Instrument und Sound tut sich plötzlich eine komplett neue Ebene oder neue Variante auf. Manchmal sind alle diese tollen Musiker sehr selbstkritisch und denken, dass sie es nicht gut genug oder fehlerhaft spielen. Das ist dann mein Part zu sagen: Neinnein, genau das ist gerade spannend und einzigartig, lass uns das auf jeden Fall behalten!

Neue Ansätze findest du bestimmt auch mit diesen Instrumenten, die ihr auch auf dem neuen Album wieder ausprobiert, zum Beispiel diese uralte Mammut-Flöte. Da gibt es ja auch keine großen Referenzen, wie man so ein Instrument spielt und man muss sich da herantasten.

Ja, wie ich bereits sagte: Ich bin kein wirklich talentierter Musiker und muss mir da Hilfe von begabteren Leuten holen. Ich finde das aber toll, wenn Leute mit solchen eher ungewöhnlichen Instrumenten wie der Mammut-Flöte, die übrigens kein Original, sondern nur ein Replikat ist, plötzlich eine vollkommen neue Perspektive aufzeigen. Die Frau, die auf "Comic Sonix" diese Mammut-Flöte spielt, hat diese Technik auch jahrelang studiert. Wir werden natürlich trotzdem nie erfahren, ob sie nun 100 % genauso klingt wie vor 10.000 Jahren in einer Höhle.

Ihr verwendet auch noch eine Menge anderer, unüblicher Instrumente. Wie sieht eigentlich die Reaktion der Museen aus, wenn ihr sie anfragt? Irgendwie stelle ich mir vor, dass sie erstmal verwirrt reagieren?

In der Tat braucht es eine Menge Überzeugungsarbeit. Also die meisten Museumsleute sind schon eher konservative Menschen, und man darf nicht einfach mit der Tür ins Haus fallen, sondern muss behutsam vorgehen. Wir müssen sie davon überzeugen, dass wir nicht einfache, daher gelaufene Deppen sind, die mal nur als Joke das Instrument wollen, sondern dass das zu unserem Konzept gehört und wir ein ernsthaftes Interesse haben. Es sind kleine Schritte, aber die Geduld zahlt sich aus, wenn du endlich nach sechs Jahren Kontakt in Virginia in einer Höhle stehst und mit der "The Great Stalacpipe Organ" das längste Instrument der Welt spielen darfst. Es ist so etwas wie achte Weltwunder und dieser Moment ist pure Magie.

Aber meistens sind die Museen sehr, sehr vorsichtig. Wir waren ja auch in Tübingen, und die Leute waren sehr freundlich zu uns. Allerdings wollten sie uns dann doch nicht das Instrument aushändigen. Aber mir fällt noch ein, dass die Instrumente in dem German National Museum ständig gestimmt werden und so wirklich als Instrument existieren. Für gewöhnlich kommen Instrumente in ein Museum und werden dann nie wieder gespielt. Es ist wie eine Art Friedhof.

Gab es auch mal Momente, wo die Leute strikt abgelehnt haben oder es schlichtweg aus verschiedenen Gründen auch komplett unmöglich war?

Ja, wir wollten mal nach Moskau und einen uralten Synthesizer aufnehmen. Allein das hat uns schon fast drei Jahre gekostet, um die Leute zu überzeugen. Einer der besten Synthesizer überhaupt, weil er Images in Musik umsetzt. Sie haben uns dann direkt gesagt: Nee, ist nicht drin oder ihr gebt ihr uns 10.000 Euro, dann reparieren wir es vielleicht. Was natürlich nicht stimmte und wir mussten warten, bis er endlich weg war, und wir haben das schnell aufgenommen. Das wäre gerade jetzt, in der politischen Lage, in der wir uns befinden, natürlich gar nicht mehr möglich. Und damals war es auch extrem schwierig, also mussten wir schnell diese einmalige Chance nutzen.

Wir hatten auch erst Probleme, an die Wurlitzer zu gelangen, weil uns der damalige Museumsdirektor gesagt hat, dass es nicht mehr funktioniert und wir darauf nicht spielen können, aber danach kam ein neuer Typ auf seinen Posten, und als wir noch mal Kontakt aufnahmen, war er überrascht und hat uns gesagt, dass die Wurlitzer in einem tadellosen Zustand ist und man sie ganz normal bedienen kann. Es braucht also im Endeffekt viel Vorarbeit. Die Recherche, um überhaupt auf solche Instrumente zu stoßen und dann noch mal viel Geduld, um dann den Zugang zu bekommen. Da können Jahre vergehen.

Mir fällt gerade noch die Glass Harmonica ein. Das Ding wurde ja 1761 von Benjamin Franklin entworfen, und es gibt bis heute so einen urban Mythos, dass der Klang von diesem Instrument die Leute komplett verrückt werden lässt.

Hm, ich bin mir gerade nicht sicher. Ach! Doch! Natürlich! Ich habe das allerdings schon für eine andere finnische Gruppe, die Johannson Brothers, aufgenommen und deswegen ist sie auf keinem unserer Alben. Ich will nicht eine Idee reproduzieren. Aber das Instrument ist auch ein gutes Beispiel, wie man sich diesen außergewöhnlichen Instrumenten annähern muss. Sie haben so einen eigenständigen Sound, dass man nicht einfach ein normales Arrangement drumherum bauen kann. Du musst dich da drauf einlassen und genau hinhören. Wir haben auch fast sechs Jahre gebraucht, um Stalacpine Organ richtig zu recorden. Ich hatte mich da natürlich schon vorher schlau gemacht und überlegt, ob wir damit wirklich was anfangen können. Das habe ich all die Jahre gelernt, also nicht einfach loslegen, sondern auch vorher länger mit dem Sound zu beschäftigen und ob wir das wirklich was Passendes zu finden. Manchmal hatten wir aber auch Instrumente, die so in der Theorie spannend waren, aber dann für uns einfach nur schrecklich klangen.

Warte, ich muss dir mal kurz das Otomatone zeigen, was hier neben dem Monitor steht. Klingt aber auch nicht so schön oder ich kann sie nicht richtig bedienen.

Haha ja, ich habe drei von den Dingern. Das Theremin des kleinen Mannes!

Naja, für einen Noob wie mich reicht es, und man kann es leicht spielen. Was war eigentlich diesmal auf "Comix Sonix" der schwierigste und der leichteste Part?

Puuh. Schwierig zu beantworten, weil ein paar Songs tatsächlich erst kurz vor der Produktion fest standen und ein paar Ideen haben wir schon seit 15 Jahren. Ein Album ist praktisch, wie so eine Setlist für ein Konzert, mit dem perfekten Einstieg und dem genau richtigen Closer.

Eigentlich denken wir bei so etwas auch nie an so etwas wie "Das wird besonders einfach oder schwer." Also eigentlich bleibt es dabei, dass die ganzen kleinen Schritte die größte Herausforderung sind und diese schiere Masse an Musik, die jeden Tag hochgeladen wird. Es wird natürlich auch für uns immer schwieriger etwas zu finden, was wir oder andere nicht schon längst gemacht haben. Nur einfach Musik machen reicht uns eben auch nicht aus, sondern auch neue Wege zu erkunden und unseren Horizont zu erweitern. Ok, ich habe mich glaube gerade etwas gehen lassen und zu weit ausgeholt. Sorry.

Ach Quatsch. Das ist für mich eigentlich perfekt. Was meinst du, wie vielen Künstlern man jedes Wort aus der Nase ziehen muss. Die antworten dann manchmal sogar überhaupt nicht oder nur ein schnödes 'Ja.' Anstrengend, wenn du die immer Diskussion antreiben musst und jemand sich so passiv verhält.

Hahahaha, wie bei unserem Kimi Räikkönen. Du weißt schon, dieser finnische Rennfahrer. Der ist auch so ein Typ. Es ist auch so: Je älter ich werde, desto mehr machen mich so kurz angebundene Leute wahnsinnig. Du musst immer den Ball zuspielen und die Leute förmlich anschubsen. Ich überfordere die Menschen aber evtl. auch schnell oder bin zu ungeduldig. Wir haben eben nur eine begrenzte Zeit auf diesem Planeten, und dann möchte ich die Dinge lieber sofort erledigt haben und nicht erst in zehn Jahren.

"Ich hoffe, dass unsere Plattenfirma die Nerven behält."

Wir kommen ziemlich häufig auf das Thema neue Ideen oder etwas Neues wagen. Irgendwie habe ich persönlich den Eindruck, dass wir derzeit einen ziemlichen konservativen Status Quo in der Musik haben. Es gibt bis auf ein paar wenige Ausnahmen wenig Grenzüberschreitungen und lieber Altbekanntes genommen. Ich romantisiere vielleicht auch im Rückblick vielleicht zu viel, aber ihr seid ja auch in 1996 gestartet. Ist das nur meine Einschätzung, dass in den Neunzigern so eine Euphorie und ein großer Willen herrschte, die Grenzen einzureißen und das Publikum sogar ein bisschen zu 'schockieren' oder das Risiko einzugehen, es auch mal zu überfordern?

Nein, ich verstehen das sehr gut. Für mich waren die Neunziger die neuen Sechziger. Überleg einfach mal, was nun in den ersten Jahren dieses Jahrzehnts passierte. Die rasant schnelle Entwicklung von House, zu Techno und dann Jungle. Und das war jetzt gerade einfach mal die Jahre 1990 - 1994. In dem gesamten Jahrzehnt ist so unfassbar viel mehr passiert als in den letzten 20 Jahren. Es gibt noch Trap, aber seit 15 Jahren verändert sich da auch nicht mehr viel.

Wir dürfen aber nicht davor die Augen verschließen, dass es auch extrem schwer geworden ist, kreative Künstler zu finden. Es gibt da draußen immer noch spannende Künstler, die mal neue Wege gehen, aber davon bekommst du wahrscheinlich gar nichts mit, weil die in dieser unglaublichen Masse an Musik untergehen. Ich will jetzt auch gar nicht unbedingt die Musik der Neunziger abkulten, aber der Spirit dieses Jahrzehnts hat mich schon sehr geprägt.

Aber manchmal hat schon Angst, dass man plötzlich genau der Typ wird, den man als Teenie selber so verachtet hat. Dieser alte Meckerheini, der den Kids erzählt wie grüner das Gras früher war, von 'ehrlicher' Musik schwätzt und nun den Leuten ihren Spaß nicht gönnt. Der typische Old man yelling at Clouds-Stereotyp eben.

Haha, ich verstehe schon deine Befürchtungen und man darf natürlich nicht in so eine Falle tappen, aber es ist ja keine grundlose Annahme, sondern auch faktisch belegt, dass Pop-Musik mittlerweile kürzer, komprimierter und simpler gehalten wird. Ich würde auch behaupten, dass die Charts diverser in ihren Musikstilen war. Ganz oben hattest du so einen Urban Schlager, dann direkt dahinter aber auch einen Rock-Song oder einen Track mit Klassik-Elementen. Momentan haben wir auch einen sehr starken Fokus auf Sänger*innen, in dem eher das Gesangstalent natürlich stark nach vorne gemischt wird, aber die Musik nur noch als Beilage im Hintergrund existiert. Das ist in der Rockmusik anders, wo du viele Elemente vorfindest.

Wir hatten ja auch das Thema mit visueller Kraft. Ich weiß noch wie lange ich das "Come To Daddy"-Video von Aphex Twin oder diesen Michel Gondry-Mindfuck verarbeiten musste. Dieser totale WTF-Moment.

Ja, genau das versuchen wir mit Pepe Deluxe zu erzeugen und die Leute, die mit uns arbeiten, sagen auch, dass es während der Aufnahme-Session immer genau diesen 'Was zur Hölle??'-Moment gibt. Wir versuchen so gut es geht, immer noch die Regeln zu brechen. Wir versuchen jedenfalls mit Pepe Deluxe noch irgendwie was zu wagen und alle möglichen Stile zu kombinieren. Wobei ich eher der Typ bin, dem es nicht verrückt und weit genug sein kann, und Paul der Typ ist, der eher mit ABBA sozialisiert wurde.

Du hattest ja deine Einflüsse aus dem Hip Hop-Genre auf deine Technik gesprochen. Also ist das auch etwas Sampling?

Ja, so haben wir angefangen, aber wir sind auch relativ schnell weg davon. Sampling ist unfassbar teuer geworden. Selbst wenn wir nur ein paar Sekunden und einen sehr kurzen Teil verwendet haben, standen direkt die großen Plattenfirmen bei uns auf der Matte und haben Ärger gemacht oder wollten sündhaft viel Geld dafür. Wir haben zwar eine Art Sampling-Herangehensweise, aber samplen keine Records.

Ich hatte das schon mal in einem andern Interview als Thema: Wir haben über "Paul's Boutique" geredet. Es war nahezu ein Schock. Die Leute waren massiv angepisst, dass die Beastie Boys plötzlich mit einer Masse an Samples und verrückten Ideen kamen. Alle wollten damals einen zweiten Teil von "Licenced To Ill" und waren überfordert. Heute gilt es längst als großer Meilenstein.

Haha ja, ich erinnere mich daran. Die meisten haben damals rumgemeckert und später frech behauptet, wie sie das Album natürlich schon immer krass abfeierten. Ich kann aber für mich sagen, dass "Paul's Boutique" ein sehr großer Einfluss auf mich war und "Odelay" von Beck. Die meisten 'Samples' hat Beck ja selbst erschaffen. Pepe Deluxe übernehmen ja diese Sound-Ästhetik, ohne dabei aber wirklich Samples zu verwenden. Wir sind da Geistesverwandte und haben den gleichen Ansatz, da wir nicht alltägliche Sounds aneinander bauen.

Ein anderer Ansatz war auch "Angry Birds Go". Ihr habt tatsächlich den Soundrack zu dem Mobile Game "Angry Birds - Go!" geschrieben?

Ja, also wir das erste Mal angefragt wurden, haben wir erstmal verwirrt abgelehnt und gedacht "Nene. No Way!", und dann haben wir doch mit dem Head Of Music von dem Studio getroffen. Der hat uns absolut künstlerische Freiheit zugesichert, und damit waren wir dann doch an Bord. Es war ja dann auch wieder eine schöne Herausforderung, weil wir nicht einfach schnell was Mittelmäßiges abliefern wollten, gleichzeitig darfst du es ja auch nicht für ein Game-Theme auch nicht zu komplex angehen.

Wir haben uns Jens Johansson dazu geholt. Einer der einflussreichsten und bekanntesten Keyboarder im Metal-Genre. Der war sofort Feuer und Flamme und hat gesagt "Ja, lass uns sofort angehen!" Es war also total interessant, so ein Neuland für uns zu betreten. Wir haben natürlich auch da auch wieder experimentiert und dann eine Hundepfeife eingebaut. Das Spiel hat ja auch einen Cartoon-Charakter, und wir müssten darauf den Sound anpassen. Also die Geschwindigkeit von einzelnen Parts verdoppeln. Es war auch fasziniert zu sehen, wie unfassbar groß dieses Game zu dem damaligen Zeitpunkt war. Ich glaube die Download-Zahlen liegen bei rund 100 Millionen.

Ich erinnre mich tatsächlich noch ganz gut an "Angry Birds Go". Es war ein netter Spaß, wenn ich gerade wieder in der S-Bahn saß. Es war für mich sogar der beste Teil der Angry Birds-Reihe ...

Ich habe das bis zu der Anfrage tatsächlich nie gespielt, aber musste ja damit ja auseinandersetzen. Wir haben auch die Musik zu der Anime-Reihe beigesteuert. Kombo hatte aus dem Grund sogar für einen kurzen Moment das größte Anime-Studio in Europa, was aber mittlerweile wieder geschlossen wurde.

Finnland ist für mich eh eine große Kreativzelle. Ein im Vergleich zu Deutschland kleines Land, aber unfassbar innovativ. Wobei ich bei manchen Dingen auch denke: "Sie haben gerade komplett den Verstand verloren." Das sage ich aber anerkennend, weil ich in einem der konservativsten und technikfeindlichsten Länder überhaupt lebe. Ihr habt auch Remedy Studios in Finnland, die für die weltweit bekannten Max Payne- und Alan Wake-Games verantwortlich sind. "Alan Wake" beschreitet auch komplett neue, narrative Wege. Die Grundstory des Spiels ist schon verrückt genug, aber tatsächlich kommt mittendrin aus dem Nichts einen Musical-Part. Da ist er wieder, dieser WTF-Moment, den wir bereits ansprachen.

Haha, das klingt großartig. Ich finde diese WTF-Szene in dem Spiel, die du mir gerade beschrieben hast, absolut wundervoll. Darum sollte es gehen. The KLF haben genau so etwas auch immer gemacht, eigentlich alles was sie machten, ging auf diesen "Was zum Teufel geht hier gerade vor sich?!?"-Moment zu. Ich finde, man kann gerade solchen Leuten nie genug danken. Es braucht viel Rückgrat und Mut, um so voran zu gehen.

Ihr geht in Finnland aber grundsätzlich gerne voran oder habt wenig Berührungsängste. Auch im Filmbereich. Aki Kaurismäki, der praktisch die Leningrad Cowboys miterfunden hat.

Ah, das ist eigentlich ganz witzig, weil diese fiktive Leningrad Cowboys-Sache tatsächlich auf der realen Band Sleepy Sleepers basiert. Kaurismäki ist auch gut darin, diese oldschoolige, knorrige Finnland-Mentalität in seine Filme zu transportieren. Dieses "Being Good in Not Saying Anything". Es spiegelt nicht unbedingt den heutigen, modernen Lifestyle in Finnland wider. Aber ich weiß noch genau, wie ich mit genau solchen Leuten aufwuchs. Hier in Helsinki ist das eh anders, aber diese ganz eigene kauzige Art findest du noch immer in den finnischen Provinzen. Ich habe auch noch Verwandtschaft dort, und die sprechen maximal ein Wort am Tag. Es ist wirklich das Gegenteil von dieser sehr kommunikativen, sehr gesprächigen Mittelmeer-Kultur. Wie in Italien, wo die Leute sehr viel sprechen und gestikulieren. Also kurz gesagt: Kaurismäki hat das also nicht für seine Filme erfunden, er spiegelt sehr gut unsere Kultur in diesen Bereichen wieder.

Wir kommen auch so langsam zum Ende des Interviews. Mit welchen Projekten können wir eigentlich bei Pepe Deluxe noch rechnen? Bei euch kann man ja mit allem rechnen: Soundrecording auf dem Mond oder der Klang von Insekten.

Hey, ich habe tatsächlich ein Insekt für "Back to The Future From The Beginning" aufgenommen. Es gibt da ja so einen "Bzzzz"-Sound, der kommt von einer Pferdefliege. Ich wollte auch mal ein spezielles Mikrofon kaufen, mit dem man Sound von Insekten vernünftig und klar aufnehmen kann. Dann habe ich den Preis von 10.000 Euro oder noch mehr erfahren, und damit hat es sich dann auch sofort wieder erledigt. Ich habe von jemand gehört, der versucht den wirklichen Sound von Dinosauriern, also nicht den aus den Filmen, zu rekonstruieren.

Wir denken bei Pepe Deluxe ständig über neue Wege oder Recording-Möglichkeiten nach. Ich bin zum Beispiel unfassbar von Drums fasziniert und würde da noch mehr ausprobieren. Und ich bastel ja jeden Tag selbst an neuen Tools. Ein Maler verwendet ja auch nicht immer die gleichen Farben oder verwendet immer den gleichen Pinsel. Ich möchte in einem ständigen Prozess bleiben. Aber manchmal überwirft man sich da auch, weil zu viel Ideen gleichzeitig auftauchen. Ich hoffe nur, dass unsere Plattenfirma da auch noch weiterhin die Nerven behält (lacht).

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