laut.de-Kritik
Die neuen Arrangements verstecken sich in krautigen Sounds.
Review von Philipp SchiedelPortishead sind zurück. Unglaubliche zehn Jahre brauchte die Band, die so markant cool den Sound des Trip-Hops aus den Clubs ihrer Heimatstadt Bristol in die Cafes der ganzen Welt gesandt hat, um ihr drittes Album mit dem schlichten Titel "Third" fertig zu stellen.
Portishead und Massive Attack trafen Mitte der Neunziger einen Nerv der Zeit. Ihre Musik war kein Extremum wie Metal, nicht so massiv für die Tanzfläche gedacht wie House und zu weicheiereisch für Hip Hop. Aber genau das war eine gute Abwägung. Bei Portishead traf man sich in der Mitte und merkte, dass es dort eigentlich gar nicht so schlecht ist. Die Band um Sängerin Beth Gibbons machte Musik, die jedermann begriff und die jedermann mitfühlte, aber niemals war sie auch nur annähernd dumm oder anbiedernd. Fast wie Elvis eben.
Nun also das Comeback, die neue Plattenfirma bat zur Präsentation in das Funkhaus an der Nalepastraße im tiefen Berliner Osten den großen Sendesaal. Dieser große Raum aus feinster Holzvertäfelung und sauber geschliffenem Parkett diente der ostdeutschen Regierung als Vorzeigeobjekt in ihren Rundfunk-Studios. Eine riesige Orgel besetzt nahezu eine komplette Querwand. Bis heute gilt seine Akustik als eine der besten weltweit.
In der Mitte senkt sich der imposante Ort drei Stufen ab und bildet eine kleine Wanne, in der die Band ihrer Instrumente aufgebaut hat. Die Zuschauer setzen sich drum herum auf die Treppen. Da kommen schnell die Eindrücke des legendären Roselands Konzerts auf, das Portishead 1997 gemeinsam mit dem New York Philharmonic Orchestra spielten. Ein ähnliches Konzert hätten sich wohl auch die Verantwortlichen an diesem Abend gewünscht. Ein wahres Event, über das man noch lange redet.
Aber bei Portishead ist man eigenbrötlerisch und schert sich einen wahren Dreck um Opinion-Leadership. Dieser Band geht es um Perfektion bis zum Erbrechen. Entsprechend kümmern sich die Briten nicht wirklich um eine Erschaffung eines solchen Events, sondern lieber darum, auf der Aufzeichnung absolut zu klingen, die der Berliner Sender Radio Eins an diesem Abend mitschneidet. Das mag arrogant sein, ist aber wohl einfach nur ausgelebtes Nerdtum, ohne das diese Band niemals bestehen könnte.
Ein Konzert wurde angekündigt, das "Making Of" einer Radioaufnahme geboten. Das hat natürlich auch seine Reize. Hautnah steht man daneben, wenn Mastermind Adrian Utley mit seinem Kalifornien-Outfit die so charakteristischen Sounds aus seinen Drum-Pads rausholt. Dieses Mit-Dabei-sein ist die lange Anfahrt an diesem Abend schon wert. Und es ist schön zu sehen, dass Portishead als komplett analoge Band funktionieren. Hier leuchtet kein silberner Apfel durch die Gegend. Es geht im weitesten Sinne um wahre Instrumente. Portisheads Equipment ist so angestaubt charmant wie ihre immer etwas verruchten Bässe.
Unübersehbar sind die Südengländer nicht mehr die Frischesten. Gitarrist Geoff Barrow wirkt wie die Definition eines alteingesessen Pub-Wirts und klemmt einen runden Wohlstandsbauch zwischen sich und seine Gitarre. Hauptattraktion Beth Gibbons schaut dagegen schlecht drein. Ihr hagerer Körper wirkt ausgemergelt und mitgenommen, ihre Haltung ist nicht viel mehr als ein Buckel. Als Portishead 1998 auf dem Bizarre Festival spielten, rauchte Gibbons unentwegt, heute trinkt sie während des kompletten Showcases nur Wasser.
Auch musikalisch ließen die drei festen Mitglieder Portisheads und ihre drei Begleiter (Marke Musikschullehrer) es etwas schleifen. In fast jedem Stück verspielt sich die Band und beginnt von vorne. Unendliche technische Probleme und etwas hilflos erscheinende Diskussionen der Bandmitglieder verzögern die Pausen zwischen den einzelnen Songs bis zu zehn Minuten.
Portishead sitzen, diskutieren, beginnen, stoppen, beginnen erneut. Während dieser langwierigen Prozedere wird das Publikum kaum beachtet. Eine intime Atmosphäre, die ja gerade für das Eintauchen ins Portisheads deepen Sound so wichtig ist, entsteht auf diese Weise nicht. Die grelle Saalbeleuchtung tut ihr übriges, um diesem Konzert weiter an Glamour zu nehmen.
Nach einer Weile nimmt die Ehrfurcht ab, die einen immer voller Gänsehaut durchfuhr, wenn Gibbons Stimme einsetze und den kompletten Raum sofort in sich aufnahm. Im Publikum entsteht ein ständiges Kommen und Gehen zwischen Saal und Toilette. Und auch die Akteure des Abends verschwinden gelegentlich im Backstage, kommen dann nach ein paar Minuten wieder - der nächste Song kann beginnen. Sichtlich erschöpft von der ganzen Situation setzt sich Beth Gibbons sogar zweimal auf eine Treppe zwischen die Zuschauer.
Wenn Portishead denn mal spielen, wird bis auf "Mysterons", nur neues Material vorgestellt. Dessen Sound ist dann gar nicht so extrem industriell ausgefallen wie die harsche Single "Machine Gun" erwartet ließ. Düster geht es zu, Beth Gibbons Stimme klingt immer noch so einnehmend wie anno dazumal. Nur sind Portishead etwas weniger offensichtlich geworden und verstecken ihre Arrangements in kruden, zischenden und krautigen Sounds.
Dieser öffentliche Einblick ins Studiogeschehen ist ein durchaus interessantes Erlebnis, aber schlussendlich nicht viel aufregender als zwei Stunden Bonusmaterial auf einer DVD. Dort die Band, da das Publikum. Beide haben quasi nichts miteinander zu tun. Eine seltsame Auslegung für ein Konzert, aber dieses Kautzige und Widerspenstige ist natürlich auch genau das, was Portishead ausmacht. Sie sind einfach anders in der Mitte.