laut.de-Kritik
In Thom Yorkes Gesicht spiegeln sich Schmerz und Energie ...
Review von Andreas BättigWo früher Gladiatoren sich wilde Kämpfe lieferten oder der Pöbel sich an Theaterspielen erfreute, findet heute ein Festival der besonderen Art statt. Umringt von Burgtürmen und einem prächtigen Schloss, befindet sich das Amphitheater des idyllischen und kleinen Städtchens Avenches, das für fünf Tage den Rahmen für die internationalen Acts von RockOzArènes bildet. Nach dem Erklimmen des Burghügels geht es durch schmale Gassen in Richtung Arena. Auf dem kleinen Berg angekommen, bietet sich dem Auge ein wunderschönes Bild. Der Burgturm ist in verschiedenen Farben beleuchtet, das Schloss ragt majestätisch über den Konzertbesuchern.
Nach dem 'Kid A Amnesiac Special Edition - Die gibt es nur hier'-Kauf meines Begleiters (seine achtzehnte Radiohead-Platte), wagen wir einen Blick in das Amphitheater. Mit seiner runden Form und den extrem steilen Tribünen gleicht es einem runden Kessel. Als wir uns zuoberst hinsetzen, beginnt bereits die Vorband The Magic Numbers. Ziemlich fader Rock prasselt auf das Publikum nieder. Definitiv eine Radiohead-unwürdige Vorband, ein Cäsar hätte den Daumen wohl nach unten gedreht.
Nach einer langen Umbauphase ist es bereits dunkel und das Theater gefüllt bis auf den letzten Platz. Es gibt kaum einen Ort, an dem man nicht perfekt auf die Bühne sieht. Das Publikum wird immer ungeduldiger, fordert die Band auf die Avenches-Bretter, klatscht, ruft, pfeift. Dann endlich, Radiohead betreten den Olymp. Eine kühle Gänsehaut überzieht den Körper. Die Menschen sind fokussiert auf eine Figur, einen Eraser, einen Thom Yorke. Dieser verzehrt sich bei Songs vor Leidenschaft, in seinem Gesicht widerspiegeln sich Schmerz und Energie. Er ist in seiner eigenen Welt. Wo sich die befindet, lässt sich nur anhand der Texte erahnen. Aber "Everything In Its Right Place".
Die Lichter auf der Bühne wechseln die Farben. Von Violett zu Grün, dann wieder Blau oder Rot. Von links nach rechts, von oben nach unten strahlen die Scheinwerfer. Monitore beleuchten in verschiedenen Mustern den Hintergrund. Was für eine Bühnenshow! Leinwände auf den Seiten der Stage zeigen rasterförmig Schwarzweißaufnahmen der Radioheads. Nahaufnahme der Gitarre, Yorkes Gesicht, des Schlagzeugs. Es wirkt surreal, es ist surreal. Bei "Karma Police" singt der Kessel mit, versucht, dem schüchternen Wesen nah zu sein. Schwenkt bei "No Surprises" die Feuerzeuge, jubelt frenetisch bei "I Might Be Wrong".
Als die ersten Töne vom "Pyramid Song" erklingen, ist das ganze Theater absolut still. Selbst das Klicken des Kamera-Verschlusses stört. Thom Yorke auf der Bühne am Klavier, mit dem Rücken zum Publikum. Von oben beleuchtet ihn ein einziger Scheinwerferstrahl. Die Menschen sind erstarrt. Niemand rührt sich. Was für eine Aura. Gänsehaut überzieht den Körper, das Stadion hüllt sich in blauem Licht. Die Stimme Yorkes bohrt sich in den Kopf. Immer tiefer "Black-eyed angels swam with me / A moon full of stars and astral cars / All the things I used to see /All my lovers were there with me / All my past and futures."
Die ersten Regentropfen fallen, und für einen Augenblick ist er da. Der perfekte Moment. Das ist Radiohead. Auf Platte bezaubernd, live fast unbeschreiblich – in Avenches, im Kessel eines 2000 Jahre alten Amphitheaters.