laut.de-Kritik
Großes Pop-Entertainment des Ex-Take That-Revoluzzers.
Review von Michael SchuhEs hätte zwar wirklich keines Beweises mehr bedurft, dafür ist es nun aber amtlich und höchst offiziell: Selbst wenn man Robbie Williams auf den Kopf stellt, ist er mit Haut und Haaren Entertainer. Zur Eröffnung seiner Deutschland-Tournee in München baumelte der Brite vor 65.000 Zuschauern an ein Seil gespannt von mächtigen Stahltraversen herunter und ließ es sich dabei nicht nehmen, ins Publikum zu winken. Anstatt der Skyline von Los Angeles, wie auf dem Cover seines jüngsten Albums, tat sich dieses Mal der Sicherheitsdienst unter Robbie auf, um die vom Meister gepredigte Entfesselungskunst ("Escapology") am Objekt der Begierde selbst vorzunehmen.
Schließlich, wir schreiben Sonntag Abend, 21.03 Uhr, ist es so weit: The ego has landed. Robbie Williams ist alleiniger Gastgeber der Robbie Williams Show, in deren Verlauf seine Bandmitglieder und in rot gekleidete Tänzerinnen erwartungsgemäß zum Statisten-Stab verkommen. "Let Me Entertain You" - kein Songtitel hätte die Richtung der folgenden 120 Minuten programmatischer vorgeben können als Robbies Opener. "Ich bin ein Rockstar", brüllt Williams der tosenden Menge anschließend entgegen, die in diesem Moment wohl nichts mehr fürchtet als einen irreparablen Defekt der zwei übergroßen Videoleinwände. Denn erst sie geben der Figur des Legenden umrankten Popstars ein Gesicht: Plötzlich ist er jedem Fan im entlegensten Winkel des Stadions nahe, der Ex-Take That-Revoluzzer, der unkaputtbare Frauenschwarm und rechtmäßige Ablöser des King of Pop. Zumindest wirken seine Initialen "RW" auf T-Shirts und Bühnen-Design vertrauter, als es "MJ" wohl jemals gewesen ist.
Im dritten Song "Monsoon" taut Williams endgültig auf, stolziert, kniet und rutscht lachend auf dem kleinen Steg in den Innenraum und bringt seine neuesten Deutsch-Kenntnisse selbst in den Strophen unter: "And if you've got no love for me, you're full of Scheiße" ("Let Love Be Your Energy"). Die Leinwand-Aufforderung "Warning! Audience Participaton Imminent" übersetzt er zwar nicht, müht sich ansonsten aber in verständlichster Aussprache um die Interaktion mit dem Publikum, was schließlich einen wesentlichen Bestandteil seiner Show ausmacht.
Als dann die ersten Songzeilen von "Strong" grell auf der Leinwand blinken, reißt sich die Menge begierig um den Bonus-Service und verwandelt den Hit seines zweiten Albums in ein tausendkehliges Karaoke-Highlight (Dem Hinweis "Air Guitar" zum Gitarrensolo kommen leider vergleichsweise weniger nach). Mit einer solch massiven Unterstützung im Rücken lässt sich gut entertainen, das spürt wohl auch der Gastgeber des Abends. "Alles gut?", fragt Robbie des öfteren rhetorisch und bittet seine weiblichen Fans, ihm während des Songs "Me And My Monkey" doch keinesfalls die nackten Brüste zu zeigen, denn "deswegen habe ich schon vorgestern in Wien meinen Text vergessen". Seine Swing-Phase streift Williams mit "Mr. Bojangles", einem seiner Lieblingssongs, zu dem er ebenfalls eine amüsante Anekdote parat hält.
Vor "She's The One" sucht er sich ein Pärchen im Publikum aus, das innerhalb von Sekunden auf die Leinwände projiziert wird: "Are you boyfriend and girlfriend? Yes? Are you married? No? Why not? She's gorgeous. Come on, marry her!" Wenn anschließend ein Stadion voll wildfremder Menschen in die von Williams initiierten Sprechchöre "Marry her!" und "Kiss her!" einfällt, kann man gar nicht anders, als Mitleid mit den beiden zu empfinden - selbstverständlich erst, nachdem man sich ausgeschüttet hat vor Lachen! Auch Miriam aus Reihe Eins muss sich den Scherzen des großen Alleinunterhalters ergeben, da sie ihrem Idol allzu offensichtlich Stift und Papier entgegen streckt. "Miriam, ich weiß nicht, ob du es bemerkt hast, aber hier sind 65.000 Menschen, die unterhalten werden wollen", feixt Williams, bevor er sich zur allgemeinen Begeisterung auf dem Bühnenboden entlang fläzt, um der Glücklichen "Ohhhlll Maaaiii looohhhv, Rooohbiiiih Willjääms" aufs Papier zu kritzeln.
Es sind vor allem diese Details, die den Interpret der allseits bekannten und sich vom seichten Pop-Mainstream der heutigen Zeit wohltuend abhebenden Songs wie "No Regrets" oder "Love Supreme" sympathisch machen. Mit viel Verve gibt Robbie live den spitzbübigen Schuljungen, der sein unbestritten komödiantisches Talent vor einer größeren Menschenmenge ausleben darf, als er es sich je selbst erträumt hat. Und das macht Spaß: Seine Show wirkt nicht nur angesichts der Armada an gecasteten TV-Freundeskreisen in beschämender Weise ungekünstelt und authentisch, sie ist es. Wenn er Justin Timberlake mit Falsettgesang und Hüpfeinlagen disst und dabei gleichzeitig auf seine eigene Boygroup-Vergangenheit anspielt, wenn er Take Thats "Babe" ansingt und sich anschließend darüber mokiert, dass diejenigen, die sich vor Jahren aufgrund seines Weggangs noch umbringen wollten, heute nicht mal mehr den Text auswendig hinkriegen; dann ist das nichts weniger als großes Pop-Entertainment.
So ganz scheint sich Williams dessen dennoch nicht bewusst zu sein, als er am Ende der Show, auf seine privaten Skandalgeschichten anspielend, lauthals proklamiert: "I'm a singer! I'm a songwriter! I'm a born entertainer!" Wissen wir. So don't cry for America, Robbie, das alte Europa steht zu dir!