29. März 2010

"Wir waren die peinlichste Band der Welt"

Interview geführt von

Die mittlerweile 45 Jahre währende Karriere der Hannoveraner Schalentiere in Worte zu fassen, erscheint nahezu unmöglich. Frontman und Rock-Urgestein Klaus Meine und ich haben es dennoch versucht.An einem schönen Frühlingstag Ende März plaudert Klaus Meine entspannt mit mir am Telefon. Der Mann mit der Mütze, Scorpions-Frontman und Rock-Urgestein, erzählt von Höhen und Tiefen eines Rockerlebens und dem bevorstehenden Karriereende nach der folgenden finalen Welttournee.

Moin Klaus, es gibt ja durchaus Dinge in unser aller Leben, die gehören einfach dazu. Man hat den Eindruck, sie waren schon immer da. Bei euch habe ich das Gefühl, dass ihr schon seit der Völkerwanderung zur deutschen Musikgeschichte gehört ...

(Lacht) Ja, das kann man sagen. Wäre auch ein guter Slogan für eine Tour.

Du hast jetzt die einmalige Chance, unseren Lesern zu erzählen, dass alles nur ein Scherz von euch war und ihr noch weitere 45 Jahre fröhlich weitermacht!

Schön wär’s. Das wäre wirklich ein schöner Gedanke, aber dann hätten wir wirklich auch zehn Jahre früher anfangen müssen, um noch den Spielraum zu haben für die eine oder andere Comebacktour. Wenn man bedenkt, dass Rudolf und ich in diesem Jahr dann doch schon 62 Jahre werden, auch wenn wir natürlich noch jung im Herzen sind und auch noch gar nicht so aussehen, gehen wir immer zwei, drei Jahre mit jedem Release um die Welt. Dann muss man das ja nur mal hochrechnen. Wenn wir dann das nächste Album machen würden, wären wir 65. Dann gingen wir bei der nächsten Welttournee stark auf die 70 zu. Und das wollen wir uns und unseren Fans echt ersparen,

Ich kann mir aber nur schlecht vorstellen, dass man, ganz gleich welchen Alters, seinen Drang verliert, Musik zu machen. Du wirst dich doch wohl kaum in Niedersachsen auf den Deich setzen und die Schafe zählen?

Nein, auf keinen Fall. Das ist richtig. Obwohl es da noch keine konkreten Überlegungen dazu gibt: Wenn nach 40 Jahren immer nur die Scorpions Priorität hatten, da liegt es ja nahe, dass man sich sagt, ein Soloalbum wäre mal eine schöne Maßnahme. Falls das Leben zu langweilig wird, was ich befürchte, freue ich mich doch auf jede neue Herausforderung, die auf mich wartet. Ich denke, den anderen geht es genau so. Wir werden natürlich immer Musiker und Songwriter bleiben.

Ich finde, die neue Scheibe klingt ein bisschen wie die Rückbesinnung auf die glorreichen Zeiten zwischen "Lovedrive" und "Love At First Sting". Habt ihr das bewusst gemacht?

Sagen wir mal so: Wir haben wieder verstärkt auf Spielfreude gesetzt und auf die gute alte Heimat. Sprich, wir waren in unserem Studio ganz in der Nähe von Hannover. Ich glaube auch ganz besonders die Erfahrungen, die wir gemacht haben mit der L.A.-Produktion und Desmond Child ("Humanity - Hour I"). Es war in der Vergangenheit einfach sehr amerikanisch, mit Vocalcoach und Personal Trainer, also richtig Hollywood. Das wollten wir alles nicht mehr.

So gesehen war es schon richtig bewusst, dass wir zurück zu unseren europäischen Wurzeln kommen und diesmal ein Album machen, bei dem wir versuchen, relaxed zu arbeiten mit einem schwedischen Producerteam. Die hatten eine ganz gute Visitenkarte hinterlassen, so dass wir sie eingeladen haben, nach Deutschland zu kommen, weil wir nicht gerade in Schweden arbeiten wollten. Den Jungs hat es dann hier ganz gut gefallen. Das Arbeiten mit denen war einfach großartig. Unseretwegen hätte das ruhig noch drei Monate gehen können, so viel Spaß hatten wir. Nach besonders gut gelungenen Takes neigten wir dann immer zu dem Ausspruch: Alter Schwede, die bringen uns zu den Roots zurück!

"In den 90ern waren wir von gestern"

Ich persönlich bin ein sehr großer Freund eures Debütalbums "Lonesome Crow". Wie kam es eigentlich, dass ihr dort zunächst eher nach Krautrock klingt, fast schon in Richtung Can, danach aber vollkommen umschwenkt und als Hardrocker komplett andere Musik macht?

Tja, gute Frage. Ich glaube wir waren bei "Lonesome Crow" noch sehr auf der Suche. Dieses Psychedelische hat was, klar. Das macht wirklich Spaß. Hat aber mit den späteren Scorpions hat es natürlich wenig zu tun. Bei "I'M Going Mad" hat man schon gemerkt, dass Michael als ganz junger Gitarrist so genial war, dass klar war, dass er später mal ein ganz Großer wird. "Leave Me" war so ein Song, der von Chris Farlowe und Colosseum geprägt war. Wir waren auf der Suche.

"Inheritance" z.B. ist für eure Verhältnisse ungewöhnlich dunkler Stoff ...

Gott, das ist so lange her. Du kommst hier mit Sachen. Also, das allererste Album entstand im Studio in Hamburg, als junge Band, mit dem genialen Conny Plank. Der hat Kraftwerk gemacht, NEU und viele andere damals junge Kollegen. Er hat uns den Weg in die Welt der Aufnahmestudios geebnet. Den ersten Plattendeal mit Metronome hat er klargemacht. Und wir standen dann plötzlich in der Krautrockecke, obwohl das für uns damals eher ein Schimpfwort war. Heute ist es ja schon Kult. Da sieht man das anders. Wir haben uns aber auch nicht als Band gesehen, die man mit Can, Amon Düül oder Tangerine Dream vergleichen kann. "Lonesome Crow" war alles in allem ein Herantasten. Wir haben versucht, unsere musikalische DNA zu finden.

Ihr wart die ersten weltweit, die das Metalklischee 'Big in Japan!' eingeführt habt. Wie kam es denn dazu, dass ihr auf einmal 1975 in Japan – einer damals vollkommen verschlossenen Kultur - den Durchbruch hattet, noch bevor es hier in der Heimat funktionierte?

Also ganz so war es ja nicht. Wir hatten Mitte der Siebziger auch schon in Deutschland Fans, so ist es ja nicht. Ich glaube der Erfolg in Japan kam mit "In Trance" und dem "Virgin Killer". Aber nee, warte. Als deutsche Band, die mit englischen Lyrics arbeitete, haben wir uns vorher erstmal ein wenig Erfahrung von den Engländern geholt. Die haben gesagt: Geile junge Band! Der englische Melody Maker hat damals geschrieben 'Blitzkrieg! Achtung die Deutschen kommen!' Aber wenige Jahre später ging es nach Japan, und das war dann auch tatsächlich der erste Schritt in die internationale Karriere. Mit "Tokio Tapes" ging Uli Jon Roth und mit ihm ein Abschnitt. Die musikalische Form, die wir zusammen mit unserem Produzenten Dieter Dierks ab 1975 entwickelt hatten, wurde dann sogar noch etwas kompakter, als Matthias Jabs 1978 in die Band kam. In den Jahren zuvor hatte Uli - auch ein sehr starker Gitarrist - die Band musikalisch gespalten.

Das hörte man auch in der Phase sehr stark. Aber woran lag es denn genau?

Schenker/Meine hatten ihr Songwriting, und Uli hat seine Songs geschrieben, die natürlich komplett anders waren. Uli ist ja sehr von Jimi Hendrix inspiriert gewesen. Für viele Leute war das eine attraktive Zusammensetzung. Da bist du nicht der einzige. Aber Uli wollte sich dann auf eigene Beine stellen. Das hat sich einfach auseinander entwickelt. Als Matthias dann in die Band kam, hat sich unsere Musik eher noch verfestigt und mehr fokussiert auf eine Richtung. Wir sind dann ab 1979 in die USA mit den ersten Touren, und Anfang der 80er waren wir als Headliner in den großen Hallen. Da wurden wir dann Teil der internationalen Rockfamilie.

Ihr seid dafür bekannt, schon vor 30-40 Jahren großen Wert auf das Cover-Artwork zu legen. Man denke da nur an den Skandal mit "Virgin Killer" oder das "Blackout"-Cover von Gottfried Helnwein. Stimmt es, dass es in den 80ern fast mal zu einer Zusammenarbeit mit Popart Ikone Andy Warhol gekommen ist? Wie kann man denn so etwas ablehnen?

Es stand kurz davor. Wir hatten schon so ein Faible entwickelt für die Zusammenarbeit mit außergewöhnlichen Leuten. Und damals in dem alten Vinyl-Format hat das ja auch noch viel mehr Spaß gemacht, sich da künstlerisch auszudrücken. Für "Love At First Sting" haben wir mit dem legendären Helmut Newton zusammengearbeitet, das war ein Meisterwerk, was das Artwork angeht. Und aus der Phase heraus waren wir für das Album, das wir danach gemacht haben, "Savage Amusement", sehr dicht an Andy Warhol dran, der aber nicht ganz billig war. Aber aus heutiger Sicht ist es schon schade, dass wir das nicht gemacht haben. Eine Reihe Helnwein, Newton, Warhol wäre einfach fantastisch geworden.

Was ist eigentlich mit euch los gewesen in der Zeit von "Face The Heat" (1993) bis "Unbreakable" (2004)? Ich fand das damals alles sehr routiniert. Was war da bloß passiert mit euch?

Ich glaube, die Frage muss heißen: Was war los mit the world of music? Die Welt der Musik hatte sich einfach komplett geändert. Die 90er waren dominiert von Alternative und Grunge, wie wir alle wissen. Wir waren Überlebende. Wir hatten Punk überlebt und in den 90ern hatte uns der Mainstreamerfolg von "Crazy World" und "Wind of Change" über viele Jahre getragen. Aber für die Heavy Metal- und die Rock-Szene waren wir weitestgehend yesterday. Wie die meisten Bands, die in den 80ern erfolgreich waren, mussten wir in den 90ern wirklich kämpfen, und in der zweiten Hälfte der Dekade haben wir auch weitestgehend orientierungslos agiert.

Wenn du mich fragst: 'Was war los mit euch?', muss ich sagen, dass wir einfach keinen Boden unter den Füßen mehr hatten. Wir hatten keine Audience mehr, die uns inspiriert hätte und auf die wir hätten hinarbeiten können. Deswegen sind wir auch am Ende der 90er, und am meisten hat das in dem Album "Eye to Eye" Ausdruck gefunden, etwas orientierungslos geworden. Wir waren auch damals kurz davor, uns aufzulösen. Wenn wir damals aufgehört hätten, hätte kein Hahn nach uns gekräht. Wenn die gehört hätten, die Scorpions hören auf, hätten die gefragt, wieso? Gabs die echt noch? Viele Bands, die in den 80ern Erfolg hatten, wie wir auch, haben es auch in den 90ern gar nicht geschafft. Die Welt der Musik hatte sich einfach total verändert.

Hardrock und Heavy Metal galten damals als vollkommen uncool. Man kann ja auch nicht immer on top of the world sein. Wir hatten zum Beispiel auch diese Herausforderung, mit einem der besten klassischen Orchester der Welt zusammen zu arbeiten, und das hat uns ungemein Power und neuen Schwung gegeben. Und Anfang der Nullerjahre, mit der "Unbreakable", hatte sich die Welt der Musik auch wieder geändert. Wir haben wieder Feedback bekommen von den Fans und haben gespürt, dass unsere Musik wieder auf fruchtbaren Boden fällt. Und nur das hat uns immer wieder motiviert und inspiriert, neue Songs zu schreiben und ins Studio zu gehen.

Die andere Sache ist die, dass wir so viele Jungfans vor unserer Bühne sehen, die Lieder mitsingen, die geschrieben wurden, als sie noch gar nicht auf der Welt waren. Diese junge Rockergeneration hat unsere Songs vielleicht zuerst auf Youtube gesehen, denn unsere Konzerte, egal wo wir sie spielen, kannst du ja wenige Stunden später dort sehen. Nur so kann ich mir erklären, dass so viele junge Leute in unsere Shows kommen und als begeisterte Scorpions-Fans wieder rausgehen. Und das ist natürlich für uns total inspirierend - diese Energie floss ganz besonders in das neue Album ein.

Und diese Kids gab es in den Nineties nicht?

In den 90ern war davon wirklich nichts zu spüren. Man hätte nach "Wind Of Change" einfach aufhören können. Aber unsere Karriere hat sich dann in Asien weiterentwickelt. Die Sachen, die hier nicht so populär waren wie "Pure Instinct", die eher die softe Seite der Band präsentiert haben, waren dort Megaseller. Währenddessen waren wir hier aus der Sicht des Feuilletons die peinlichste Band der Welt. Aber die richtigen Rockfans sind jetzt wieder da.

"Das Herz schlägt doch zuhause am stärksten"

Auferstanden am Ort des Herrn in Wacken 2006!

Wenn du es so willst. Ja, eigentlich schon. Wacken 2006 war wieder die Visitenkarte, bei der wir zeigen konnten, wer wir eigentlich sind: Nämlich einfach eine geile Rockband! Wir kamen gerade aus der Mongolei, hatten in Ulan Bator gespielt und sollten zwei Tage später in Wacken spielen. Einen Tag vorher lese ich in Hamburg in der Zeitung: Die Scorpions spielen in Wacken. Was wollen diese Weicheier denn da? Denen wollten wir mal zeigen, dass die Scorpions eine Band mit Eiern sind. Tja Ulf, 60.000 Fans in Wacken können nicht irren. Die sind ja gnadenlos und unbestechlich, wenn man es nicht bringt.

Diese ganz verbundene Atmosphäre ist auch auf der DVD "A Night To Remember" wunderbar nachzuvollziehen. Damit konnten wir dann den Grund zeigen, warum die Scorpions weltweit so erfolgreich sind. Und eins sage ich dir, mein Lieber: Das kommt ganz bestimmt nicht, weil wir zwei Stunden nur Balladen spielen. Das ist so ein Image, auf das man uns hier in Deutschland aufgrund eines Songs reduziert hat. Um so mehr freut es uns, dass der Ticketverkauf so stark war, dass wir im November noch Zusatzkonzerte dranhängen mussten. Nach all den internationalen Erfolgen ist so etwas dann doch das, was uns am meisten berührt: Die verlorenen Söhne kommen wieder zurück. Das Herz schlägt doch zuhause am stärksten.

Heute ist eure Band eine Legende wie Kiss, Deep Purple oder Judas Priest. Schaffst du es, morgens aufzuwachen und dich selbst nicht 24 Stunden am Tag für den großen Scorpions-Rocker zu halten? Gibt es da auch noch diesen Typen, der einfach der Klaus aus Hannover ist und sich ganz norddeutsch fühlt?

Das ist ganz einfach, da brauche ich morgens nur in den Spiegel gucken. Das ist mir dann norddeutsch genug (lacht).

Das funktioniert tatsächlich so einfach? Es starrt dir quasi der niedersächsische Genpool ins Gesicht, und man ist gefeit vor dem Ruhm bedingten Ego?

Absolut! Zumindest was uns betrifft. Ich glaube, das wäre sonst auch furchtbar. Wir sind durch all die Jahrzehnte gegangen und dabei normal geblieben, was uns ja auch manchmal angekreidet wird. Der eine findet es herrlich normal, der andere findet es irgendwie langweilig. Wir haben einfach immer unser Ding durchgezogen und immer zu unserer Heimat gestanden. Wir haben unsere Familien und unsere Freunde hier und dort immer geliebt. Und wir sind immer durch die ganze Welt gezogen, und natürlich ist das auch ein schönes Gefühl. Aber du kannst nicht rumrennen und den Arroganten raushängen lassen. Wer will dann noch privat oder als Profi mit einem zu tun haben? Aber weißt du: Normalität ist für mich ja auch, daheim im Büro in Hannover zu sitzen. Und so manche Gold- und Platinplatte lacht mich von der Wand an. Natürlich bin ich immer und überall auf der Welt umgeben von 40 Jahren Rock'n'Roll mit viel Erfolg und auch allen Tiefen. Aber als Typen wir sind doch mehr Leute, die nach vorne schauen.

Aus deiner persönlichen Sicht, ohne den kommerziellen Erfolg zu beachten: Welches ist dein persönliches Lieblingsalbum der Scorpions?

Das kann ich echt nicht sagen. Jedes hat aus seiner Zeit seine Berechtigung. "Lovedrive", "Love at first Sting", "Crazy World" und "Sting In The Tail" sind meine ganz persönlichen Favoriten. Naja, aus 22 Alben fünf auszusuchen ist schon schwer. Aber eines? Neee, lass mal. Das klappt echt nicht.

Lieber Klaus, vielen Dank für das Gespräch.

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